Auf den Normenkontrollantrag der Landesregierung Rheinland-Pfalz hat der
Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 12. Oktober
2010 die Regelung zur Kleingruppenhaltung von Legehennen (§ 13b
TierSchNutztV) für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Ebenfalls
für unvereinbar erklärt wurden die zugehörigen Übergangsregelungen (§
33 Abs. 3 und 4 TierSchNutztV in der zur Prüfung gestellten Fassung,
zwischenzeitlich § 38 Abs. 3 und 4 TierSchNutztV). Eine Neuregelung muss
bis zum 31. März 2012 erfolgen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte in einer Entscheidung aus dem Jahr
1999 die Hennenhaltungsverordnung vom 10. Dezember 1987 für nichtig
erklärt, weil es die Flächenvorgaben für die in dieser Verordnung
vorgesehene konventionelle Käfighaltung für unvereinbar mit den
Anforderungen des Tierschutzgesetzes erachtete; zudem sah es das
Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG verletzt (BVerfGE 101, 1).
Zur Schließung der durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
entstandenen Regelungslücke und zur Umsetzung einer kurz nach dem Urteil
erlassenen EG-Richt¬linie (Richtlinie 1999/74/EG) wurde im Februar 2002
die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung um Bestimmungen für das
Halten von Legehennen ergänzt. Mit dieser Ergänzung wurde die
konventionelle Käfighaltung abgeschafft. Auch sogenannte „ausgestaltete
Käfige“ nach der Richtlinie 1999/74/EG (größere Käfige, die zudem über
eine bestimmte Ausstattung - Sitzstangen, Nest, Scharrfläche - verfügen
mussten) wurden nicht zugelassen. Als Haltungsformen waren nur noch die
Boden- und die Volièrenhaltung vorgesehen.
Aufgrund eines Maßgabebeschlusses des Bundesrates wurden die
Haltungsanforderungen für Legehennen und die zugehörigen
Übergangsfristen durch die Zweite Verordnung zur Änderung der
Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vom 1. August 2006 erneut
geändert. Die Käfighaltung wurde wieder eingeführt, allerdings nicht
mehr in Form der konventionellen Käfige, sondern in Form der sogenannten
Kleingruppenhaltung (§ 13b TierSchNutztV), deren Anforderungen über die
Mindestanforderungen nach der Richtlinie 1999/74/EG hinausgehen. Die
Übergangsvorschriften wurden großzügiger ausgestaltet.
Gegen diese Bestimmungen - in einer inhaltlich unveränderten späteren
Verordnungsfassung - richtet sich der Normenkontrollantrag, der das
Verfahren des Zustandekommens der Vorschriften beanstandet und geltend
macht, die vorgesehenen Haltungsbedingungen seien tierschutzwidrig.
Ursprünglich war vorgesehen gewesen, die
Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung nur durch Einfügung von
Bestimmungen zur Schweinehaltung zu ändern. Dieser Änderung stimmte der
Bundesrat jedoch im April 2006 nur mit der Maßgabe zu, dass auch die
genannten Bestimmungen zur Legehennenhaltung eingefügt würden. Der Text
der geplanten Neuregelung in der Fassung des Maßgabebeschlusses des
Bundesrates vom April 2006 wurde der Europäischen Kommission noch im
April 2006 notifiziert. Das Kabinett nahm den Maßgabebeschluss des
Bundesrates Anfang Mai 2006 zustimmend zur Kenntnis. Danach wurde die
Tierschutzkommission beteiligt.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Die zur Prüfung gestellten Vorschriften halten sich nicht im Rahmen
der nach Art. 80 Abs. 1 GG erforderlichen gesetzlichen
Ermächtigungsgrundlage, weil die Tierschutzkommission nicht in der nach
dem Tierschutzgesetz (§ 16b TierSchG) erforderlichen Weise angehört
wurde. Sieht das Gesetz für den Erlass einer Norm ein
Anhörungserfordernis vor, so zielt es darauf, dass das Ergebnis der
Anhörung als informatorische Grundlage in die Abwägungsentscheidung des
Normgebers einfließt. Die Anhörung ist nicht ordnungsgemäß, wenn sie nur
pro forma durchgeführt wird, ohne dass beim Normgeber noch die
Möglichkeit oder Bereitschaft besteht, das Ergebnis in der
Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall wurde die
Anhörung nicht beratungsoffen durchgeführt.
Bereits vor der Sitzung der Tierschutzkommission hatte das Kabinett den
Maßgabebeschluss des Bundesrates vom April 2006 zustimmend zur Kenntnis
genommen. Ebenfalls bereits vor der Sitzung der Tierschutzkommission war
die Notifizierung an die Europäische Kommission erfolgt. Die
Bundesregierung hat sich mit einem auf Staatssekretärsebene gefassten
Beschluss vom Januar 2005, den sie im vorliegenden Verfahren vorgelegt
hat, über wesentliche Modalitäten der Notifizierung verständigt. Üblich
ist es danach, Verordnungsentwürfe erst nach den erforderlichen
Anhörungen zu notifizieren und erst im Anschluss daran das Kabinett zu
befassen. Ein Vorziehen der Notifizierung oder der Kabinettsbefassung
vor die vorgesehenen Anhörungen ist dagegen für keinen Fall vorgesehen.
Wenn demgegenüber im vorliegenden Fall die Tierschutzkommission erst
befasst wurde, nachdem der Verordnungsentwurf sowohl durch das Kabinett
gegangen als auch der Europäischen Kommission notifiziert worden war,
spricht dies dafür, dass der Verordnungsinhalt zum Zeitpunkt der
Befassung der Tierschutzkommission bereits beschlossene Sache war.
Dies wird bestätigt und bekräftigt durch die besondere Lage, die mit dem
Maßgabebeschluss des Bundesrates entstanden war. Die in § 65 der
Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien normativ aufgenommene
Praxis solcher Maßgabebeschlüsse ist verfassungsrechtlich als solche
nicht zu beanstanden. Welche Grenzen des Sachzusammenhangs dabei gewahrt
bleiben müssen und was die Konsequenzen einer Überschreitung dieser
Grenzen sind, bedarf hier keiner Entscheidung. Der Beschluss zeigt, dass
zum Zeitpunkt der Befassung der Tierschutzkommission die für eine
Anhörung erforderliche inhaltliche Offenheit nicht mehr gegeben war. Das
Verordnungsverfahren stand, nachdem die Bundesrepublik Deutschland vom
Europäischen Gerichtshof im Jahr 2005 wegen Nichtumsetzung von
Richtlinien zur Schweinehaltung verurteilt worden war, auch in
zeitlicher Hinsicht unter Anpassungsdruck. Unter diesem Druck konnte das
zuständige Ministerium sich dem Ansinnen des Bundesrates nicht
entziehen. Dass das Verfahren infolgedessen unter dem Eindruck gestaltet
war, man befinde sich unter einem faktischen Zwang, die Verordnung mit
den vom Bundesrat gewünschten Inhalten zu erlassen, zeigt sich nicht nur
darin, dass von den im Beschluss der Staatssekretäre vom Januar 2005
vorgesehenen Abfolgen von Anhörung, Notifizierung und Kabinettsbefassung
abgewichen wurde, sondern auch darin, dass entgegen der Empfehlung
dieses Beschlusses, zustimmungspflichtige Rechtsverordnungen erst nach
Ablauf der Stillhaltefrist des Notifizierungsverfahrens dem Bundesrat
zuzuleiten, im vorliegenden Fall die Notifizierung im Anschluss an das
Bundesratsverfahren erfolgte. Ein Maßgabebeschluss des Bundesrates führt
nicht dazu, dass ein im Gesetz für den Erlass einer Rechtsverordnung
vorgesehenes Anhörungserfordernis seine Geltung verliert. Vielmehr darf,
wenn der Maßgabebeschluss wesentliche Änderungen vorsieht, die
Verordnung mit den vorgesehenen Änderungen erst nach erneuter Anhörung
erlassen werden. Auch der Zeitdruck, unter dem der Verordnungsgeber sich
im Hinblick auf die notwendige Anpassung der
Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung an gemeinschaftsrechtliche
Vorgaben befand, kann eine solche Abweichung von den
verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht rechtfertigen. Es ist Sache
der zuständigen Normsetzungsorgane, notwendige Maßnahmen zur Umsetzung
von Richtlinien so frühzeitig einzuleiten, dass das nationale
Rechtsetzungsverfahren gemäß den verfahrensrechtlichen Vorgaben des
deutschen Rechts durchgeführt werden kann.
2. Mit dem Verstoß gegen das Anhörungserfordernis hat der
Verordnungsgeber auch Art. 20a GG verletzt.
Art. 20a GG verpflichtet die staatliche Gewalt zum Schutz der Tiere. Als
Belang von Verfassungsrang ist der Tierschutz im Rahmen von
Abwägungsentscheidungen zu berücksichtigen. Den normsetzenden Organen,
die dem Staatsziel Tierschutz mit geeigneten Vorschriften Rechnung zu
tragen haben, kommt dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Hat
allerdings der Gesetzgeber in Ausfüllung dieses Gestaltungsspielraums
das Ermessen des Verordnungsgebers durch Verfahrensvorschriften
beschränkt, die gerade das Zustandekommen materiell tierschutzgerechter
Ergebnisse des Normsetzungsverfahrens fördern sollen und damit dem
Staatsziel Tierschutz dienen, so ist nicht nur einfaches Recht, sondern
zugleich Art. 20a GG verletzt, wenn nicht wie gesetzlich vorgegeben
verfahren wird. Eine Verordnung, die unter Verstoß gegen das
Anhörungserfordernis des § 16b Abs. 1 Satz 2 TierSchG erlassen wurde,
verletzt danach zugleich Art. 20a GG.
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