Nach § 2 Abs. 1 EStG unterliegen der Einkommensteuer nur solche
Einkünfte, die sich einer der dort aufgeführten sieben Einkunftsarten
zuordnen lassen. Für die Besteuerung ist nach § 2 Abs. 3 EStG die „Summe
der Einkünfte“ maßgeblich, das heißt, positive und negative Ergebnisse
sind zu saldieren (periodeninterner Verlustausgleich). Soweit die
negativen Einkünfte die positiven Einkünfte im jeweiligen
Veranlagungszeitraum übersteigen, werden die übrigen Verluste nach § 10d
EStG in anderen Veranlagungszeiträumen zum Abzug gebracht
(periodenübergreifender Verlustausgleich). In den neunziger Jahren war
ein erheblicher Rückgang des Aufkommens aus veranlagter Einkommensteuer
von 41,5 Milliarden DM im Jahr 1992 auf 11,6 Milliarden DM im Jahr 1996
und 5,8 Milliarden DM im Jahr 1997 zu verzeichnen, während das
Lohnsteueraufkommen im gleichen Zeitraum nahezu unverändert blieb (247,3
Milliarden DM im Jahr 1992 und 248,7 Milliarden DM im Jahr 1997). Dies
wurde insbesondere auf die Inanspruchnahme steuerlicher
Gestaltungsmöglichkeiten durch gut verdienende Steuerpflichtige
zurückgeführt.
Um dem entgegenzuwirken, führte der Gesetzgeber im Rahmen des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 mit Wirkung ab dem
Veranlagungszeitraum 1999 eine allgemeine
Verlustverrechnungsbeschränkung ein. Danach konnte das positive
Einkommen, soweit es 100.000 DM überstieg, nur noch zur Hälfte durch
gegenläufige Verluste gemindert werden, so dass zumindest die Hälfte des
100.000 DM übersteigenden Betrags der Besteuerung unterlag (sog.
Mindestbesteuerung). Danach nicht verrechnete Verluste blieben nach § 2
Abs. 3 EStG n.F. im Jahr ihrer Entstehung unberücksichtigt, konnten aber
- nach § 10d EStG n.F. ebenfalls entsprechend begrenzt - in anderen
Veranlagungszeiträumen ausgeglichen werden. Der Verlustausgleich war
allerdings nur für den Fall beschränkt, dass die Verluste in einer
anderen Einkunftsart angefallen waren als die positiven Einkünfte.
Innerhalb derselben Einkunftsart war die Verlustverrechnung weiterhin
uneingeschränkt möglich. Im Einzelnen führte dies zu einem komplexen
Rechenweg, der viele, zum Teil sich wiederholende Einzelschritte
umfasste. Mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2004 wurde diese
Regelung mit der Begründung wieder abgeschafft, sie habe sich in der
Praxis als schwer handhabbar erwiesen.
Die Vorlage des Bundesfinanzhofs betrifft den Veranlagungszeitraum 1999,
in dem die Kläger des Ausgangsverfahrens - zusammen veranlagte Ehegatten
- nach dem zuletzt während des Revisionsverfahrens geänderten
Steuerbescheid insgesamt positive Einkünfte vorwiegend aus
Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) in Höhe von knapp 1,8 Millionen DM erzielt
hatten. Diesen standen Verluste des Ehemanns aus Vermietung und
Verpachtung (§ 21 EStG) in Höhe von knapp 1,3 Millionen DM gegenüber,
wovon das Finanzamt jedoch in Anwendung von § 2 Abs. 3, § 10d EStG in
der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 nur knapp 1
Million DM als abzugsfähig anerkannte. Die erhobene Klage führte zur
Vorlage durch den Bundesfinanzhof, der die Regelungen über die
„Mindestbesteuerung“ in § 2 Abs. 3, § 10d EStG in der Fassung des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 aufgrund ihrer Komplexität und
schweren Verständlichkeit wegen fehlender Normenklarheit für
verfassungswidrig hält. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts
hat entschieden, dass die Vorlage unzulässig ist.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Ein Gericht kann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die
Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Vorschrift nach Art. 100 Abs. 1
GG nur einholen, wenn es ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft
hat. Das setzt voraus, dass sich das Gericht mit der zur Prüfung
gestellten Norm im Einzelnen auseinandersetzt, die in Rechtsprechung und
Literatur entwickelten Auffassungen berücksichtigt und auf
unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten eingeht. Die verschiedenen
Auffassungen zu den denkbaren Auslegungsmöglichkeiten des einfachen
Rechts sind mit Blick auf den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt
darzulegen, zu erörtern und verfassungsrechtlich zu würdigen. Geht es
dabei um die Anforderungen an hinreichende Bestimmtheit und Klarheit der
Norm, so hat das vorlegende Gericht insbesondere auch zu begründen,
inwiefern eine Entscheidung für eine der dargelegten
Auslegungsmöglichkeiten den Rahmen der Aufgabe der
Rechtsanwendungsorgane sprengen würde, Zweifelsfragen zu klären und
Auslegungsprobleme mit den herkömmlichen Mitteln juristischer Methode zu
bewältigen.
Dem wird der Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs
nicht gerecht. Der einfachrechtliche Gehalt des § 2 Abs. 3 und des § 10d
EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 und die
entsprechenden Erörterungen im Schrifttum werden nicht hinreichend
aufbereitet.
Vergleichsweise ausführlich befasst sich der Vorlagebeschluss mit den
Regelungen zur Einschränkung des individuellen Verlustausgleichs, ohne
aber aufzuzeigen, dass diese für sich gesehen besondere
Verständnisschwierigkeiten bereiten. Soweit der Bundesfinanzhof in
diesem Zusammenhang Bedenken gegen einzelne Begriffe formuliert, handelt
es sich um lediglich stilistische Mängel, die nicht ohne weiteres zur
Unklarheit über den Inhalt dieser Begriffe führen. Zu den erheblichen
Klarheitsproblemen der Vorschriften über den ehegattenübergreifenden
Verlustausgleich sowie der Verweisungen auf diese Vorschriften im Rahmen
des Verlustvortrags und Verlustrücktrags aus anderen
Veranlagungszeiträumen beschreibt der Vorlagebeschluss Aspekte der
Komplexität jedoch im Wesentlichen nur allgemein auf einer abstrakten
Ebene. Obwohl die Vorschriften - wie die Erörterungen im Schrifttum
zeigen - einer systematischen Aufbereitung zugänglich sind, fehlt es an
einem Versuch, deren Regelungsgehalt konkret zu erschließen. Diejenigen
Stimmen, die die Normen für insgesamt auslegungsfähig und daher
verfassungsgemäß halten und insofern auch konkrete, in sich schlüssig zu
nennende Vorschläge unterbreitet haben, bleiben unberücksichtigt.
Insgesamt geht der Vorlagebeschluss auf die - im Wege der Auslegung
durchaus zu ermittelnde - rechensystematische Grundstruktur nicht in der
gebotenen Weise ein, obwohl erst auf dieser Grundlage eine sachgerechte
Prüfung der Klarheitsproblematik möglich ist. Zwar bezeichnet er mit der
unübersichtlichen Verweisungstechnik und der Vielzahl der
durchzuführenden Rechenschritte weitere Gesichtspunkte, die im Hinblick
auf die Problematik der Normenklarheit von Bedeutung sein können. Die
systematische Aufbereitung des einfachen Rechts in Auseinandersetzung
mit den im Schrifttum vertretenen Auslegungen wird dadurch aber nicht
ersetzt.
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