Der Beschwerdeführer ist emeritierter Professor der Politikwissenschaft.
Im Jahr 2004 erschien ein von ihm verfasster Aufsatz mit dem Titel
„Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte“ in der Zeitschrift
„Deutschland Archiv“, die ein privater Verlag im Auftrag der
Bundeszentrale für Politische Bildung herausgibt. Der Aufsatz befasst
sich u. a. mit der Verbreitung des Antisemitismus in der deutschen
Bevölkerung während der NS-Zeit. Er vertritt die These, dass die
Mehrheit der Deutschen seinerzeit nicht antisemitisch eingestellt
gewesen sei, sondern mit den verfolgten Juden sympathisiert habe, wobei
er unter anderem von einer „deutsch-jüdischen Symbiose unter dem
Hakenkreuz“ spricht. Erst nach Auslieferung der Zeitschrift an mehrere
tausend Abonnenten erlangte die Leitungsebene der Bundeszentrale
Kenntnis vom Inhalt des Aufsatzes und richtete ein Schreiben an die
Abonnenten, in dem sie die Veröffentlichung des Aufsatzes, durch den sie
ihre eigene Arbeit „desavouiert“ sehe, „außerordentlich“ bedauert und
versichert, dass dieser „einmalige Vorgang“ sich nicht wiederholen
werde; der Rest der betreffenden Auflage der Zeitschrift werde
makuliert. Das Schreiben endet mit einer Entschuldigung gegenüber allen
Lesern, „welche sich durch den Beitrag verunglimpft fühlen“.
Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, dass die Ausführungen in
dem Schreiben der Bundeszentrale für ihn als Mensch und Wissenschaftler
rufschädigend und herabsetzend seien. Seine Klage vor den
Verwaltungsgerichten blieb in allen Instanzen erfolglos.
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen und
die angegriffenen Entscheidungen aufgehoben. Das beanstandete Schreiben
der Bundeszentrale für Politische Bildung wird ihrer Aufgabe, die Bürger
mit Informationen zu versorgen und dabei Ausgewogenheit und
rechtsstaatliche Distanz zu wahren, nicht gerecht und verletzt den
Beschwerdeführer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Die
angegriffenen Entscheidungen beruhen auf dieser Grundrechtsverletzung.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch den Schutz vor solchen
Äußerungen, die - ohne im engeren Sinne ehrverletzend zu sein - geeignet
sind, sich abträglich auf das Ansehen des Einzelnen in der
Öffentlichkeit auszuwirken. Eine solche Herabsetzung geht von der
abschätzigen Kommentierung des Aufsatzes in dem beanstandeten Schreiben
der Bundeszentrale aus. Er wird als Autor eines Aufsatzes dargestellt,
der nicht mehr diskursiv erörtert, sondern nur noch makuliert werden
kann, was vor dem Hintergrund des sensiblen Themas Antisemitismus eine
erhebliche Stigmatisierung des Betroffenen mit sich bringen kann.
Die Bundeszentrale kann sich nicht wie Private auf Grundrechte wie etwa
die Meinungsfreiheit berufen. Sie nimmt als Anstalt des öffentlichen
Rechts für die Bundesregierung die Aufgabe wahr, die Bürger mit solchen
Informationen zu versorgen, deren diese zur Mitwirkung an der
demokratischen Willensbildung bedürfen. Im Rahmen ihres Bildungsauftrags
ist sie zwar nicht gehalten, alle grundrechtlich geschützten Meinungen
formal gleich zu behandeln; vielmehr kann sie insoweit auch wertende
Unterscheidungen treffen, wobei es ihr grundsätzlich nicht verwehrt ist,
Extremmeinungen am Rande des politischen Spektrums nicht zu
berücksichtigen und sie als solche zu bezeichnen. Da zu den Grundlagen
ihrer eigenen Tätigkeit auch das öffentliche Vertrauen in die eigene
Glaubwürdigkeit und Integrität gehört, kann es ein legitimes Interesse
darstellen, sich von ihr zuzurechnenden Beiträgen, die von dem Anspruch
einer ausgewogenen Informationstätigkeit auffällig abweichen, weil sie
etwa extreme oder extremistische Meinungen vertreten, zu distanzieren,
um so die eigene Reputation wiederherzustellen. Hierbei hat die
Bundeszentrale jedoch Ausgewogenheit und rechtsstaatliche Distanz zu
wahren. Von vorneherein ausgeschlossen sind insoweit jedenfalls
öffentliche Äußerungen gegenüber Einzelnen, die allein dem Bestreben
dienen, eine behördliche Auffassung, namentlich eine von der
Bundeszentrale für richtig gehaltene spezifische
Geschichtsinterpretation zur Geltung zu bringen und als einzig legitim
oder vertretbar hinzustellen.
Hiervon ausgehend ist vorliegend nicht ersichtlich, dass das Schreiben
der Bundeszentrale den ihr einzuräumenden Einschätzungs- und
Handlungsspielraum wahrt und als nach den Anforderungen des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderliche und angemessene Reaktion
auf den Artikel des Beschwerdeführers angesehen werden kann. Weder
hinsichtlich der Ankündigung der Makulierung noch hinsichtlich der
Entschuldigung für eine etwaige Verunglimpfung ist erkennbar, dass diese
von dem legitimen Zweck gedeckt sein können.
weitere Pressemitteilungen
|