Das im Dezember 2008 durch die Bundesregierung beschlossene
Maßnahmenpaket „Pakt für Beschäftigung und Stabilität in Deutschland zur
Sicherung der Arbeitsplätze, Stärkung der Wachstumskräfte und
Modernisierung des Landes“ (Konjunkturpaket II) sah unter anderem vor,
dass der Bund zusätzliche Investitionen der Kommunen und der Länder
unterstützt. Die Umsetzung des Maßnahmenpakts erfolgte insoweit durch
das am 6. März 2009 in Kraft getretenen Zukunftsinvestitionsgesetz
(ZuInvG). Danach stellt der Bund die Finanzhilfen für die in den
Förderbereich fallenden Investitionsmaßnahmen den Ländern zur eigenen
Bewirtschaftung zur Verfügung. In der zwischen Bund und Ländern
getroffenen Verwaltungsvereinbarung zur Durchführung des
Zukunftsinvestitionsgesetzes sind Berichts- und Nachweispflichten der
Länder festgelegt. In § 7 Abs. 1 ZuInvG ist ein Rückförderungsanspruch
des Bundes bei Nichterfüllung der Fördervoraussetzungen bzw.
zweckwidriger Verwendung der Finanzierungshilfen geregelt.
Vor diesem Hintergrund bestimmt § 6a ZuInvG:
§ 6a Prüfung durch den Bundesrechnungshof
Der Bund kann in Einzelfällen weitergehende Nachweise verlangen und
bei Ländern und Kommunen Bücher, Belege und sonstige Unterlagen
einsehen sowie örtliche Erhebungen durchführen. Ein
unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand ist zu vermeiden. Der
Bundesrechnungshof prüft gemeinsam mit dem jeweiligen
Landesrechnungshof im Sinne von § 93 der Bundeshaushaltsordnung,
ob die Finanzhilfen zweckentsprechend verwendet wurden. Dazu kann er
auch Erhebungen bei Ländern und Kommunen durchführen.
Die Regierungen der Länder Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, des
Saarlandes, des Freistaates Bayern und des Freistaates Sachsen sowie der
Senat der Freien und Hansestadt Hamburg halten § 6a Satz 1, Satz 3 und 4
ZuInvG für verfassungswidrig und haben im abstrakten
Normenkontrollverfahren die Feststellung der Nichtigkeit der
beanstandeten Vorschriften beantragt. Für die dem Bund danach
zukommenden aktiven örtlichen Kontroll- und Erhebungsrechte fehle es an
einer grundgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Sie verletzten daher den
Grundsatz der Haushaltsautonomie der Länder. Zudem würden dem
Bundesrechnungshof neue eigenständige Prüfungsrechte eingeräumt, die
seinen verfassungsrechtlich bestimmten Prüfungsraum überschritten.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die
Bestimmungen des § 6a Satz 1 und 4 ZuInvG aufgrund fehlender
Bundeskompetenz mit der Verfassung teilweise unvereinbar sind, während
die ebenfalls angegriffene Regelung des § 6a Satz 3 ZuInvG mit dem
Grundgesetz im Einklang steht.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Die in § 6a Satz 1 ZuInvG vorgesehene Befugnis des Bundes zu einer
aktiven Informationsbeschaffung bei den Landesverwaltungen -
einschließlich der nachgeordneten Stellen und der Kommunalverwaltungen -
berühren den Grundsatz der Selbständigkeit und Unabhängigkeit der
Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern gemäß Art. 109 Abs. 1 GG und
die grundsätzliche Länderkompetenz gemäß Art. 30 GG. Sie bedarf daher
eines grundgesetzlichen Kompetenztitels.
Eine solche Bundeskompetenz besteht nur insoweit, als der Bund nach § 6a
Satz 1 ZuInvG zu örtlichen Erhebungsmaßnahmen bei den Ländern und
Kommunen ermächtigt wird, die der Prüfung eines Rückforderungs- bzw.
Haftungsanspruchs nach § 7 Abs. 1 ZuInvG und Art. 104a Abs. 5 Satz 1 2.
Halbsatz GG dienen, vorausgesetzt, das Vorliegen eines solchen Anspruchs
erscheint aufgrund konkreter Tatsachen im Einzelfall möglich. Soweit §
6a Satz 1 ZuInvG dem Bund darüber hinaus gehende Befugnisse einräumt,
ist die Norm verfassungswidrig und nichtig.
Art. 104b Abs. 2 Satz 1 GG ermächtigt den Bund lediglich, das Nähere zu
den Voraussetzungen der von ihm gewährten Finanzierungshilfen an die
Länder, insbesondere die Art der zu fördernden Investitionen, gesetzlich
zu regeln, enthält aber keine Ermächtigung zu Regelungen, die dem Bund
Verwaltungsbefugnisse gegenüber den Ländern einräumen.
Die in § 6a Satz 1 ZuInvG geregelten Befugnisse des Bundes können auch
nicht auf Art. 104b Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG gestützt werden. Nach
Art. 104b Abs. 2 Satz 2 GG besteht die Pflicht des Bundes, die
Verwendung der Mittel regelmäßig zu überprüfen; Art. 104b Abs. 3 sieht
vor, dass Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat auf Verlangen über
die Durchführung der Maßnahmen und die erzielten Verbesserungen zu
unterrichten sind. Diese Unterrichtung besteht darin, dass der
Verpflichtete Informationen zusammenstellt und berichtsmäßig
zusammenfasst. Die Bundesorgane informieren sich nicht durch
Ermittlungen selbst, vielmehr sind sie nach dem Wortlaut der Vorschrift
zu unterrichten. Demgegenüber schafft § 6a Satz 1 ZuInvG eine Befugnis
der Bundesverwaltung, nach ihrem Ermessen Nachweise erstellen und
vorlegen zu lassen, Unterlagen einzusehen und am Sitz der betroffenen
Stelle Erhebungen durchzuführen, bei denen außer der Vorlage von
Unterlagen auch die Erteilung von Auskünften gefordert werden darf.
Zudem können diese Informationen nach Wahl der Bundesverwaltung nicht
allein bei den obersten Landesbehörden, sondern bei jeder Stelle, also
auch nachgeordneten Landesbehörden und unmittelbar bei den Kommunen,
angefordert werden. Für eine solche aktive und unmittelbare
Informationsbeschaffung verleihen Art. 104b Abs. 2 Satz 2 GG und 104b
Abs. 3 GG der Bundesverwaltung keine Kompetenz.
Schließlich kann § 6a Satz 1 ZuInvG nicht als Ausprägung der
Bundesaufsicht gemäß Art. 84 Abs. 3 GG verstanden werden, da sie nicht
der Einheitlichkeit der Gesetzesausführung durch die Länder dient,
sondern der Kontrolle der Ausgabenpraxis ihrer Verwaltungsbehörden.
Jedoch hat der Bundesgesetzgeber nach Art. 104a Abs. 5 GG die
Möglichkeit, der Bundesverwaltung die Befugnis einzuräumen, zum Zwecke
der Feststellung des Vorliegens eines Haftungsanspruchs und unter der
Voraussetzung, dass aufgrund konkreter Tatsachen ein solcher Anspruch
möglich erscheint, bei den Landesverwaltungen Berichte anzufordern,
Akten beizuziehen und Unterlagen einzusehen; dazu kann die
Bundesverwaltung sich unmittelbar an nachgeordnete Behörden auch der
Länder und Kommunalverwaltungen wenden und örtliche Erhebungen
durchführen. Denn es ist eine wirksame Geltendmachung von
Rückforderungsansprüchen bei nicht zweckentsprechender Verwendung von
Finanzmitteln geboten. § 6a Satz 1 ZuInvG ist daher verfassungsgemäß,
soweit die darin vorgesehenen Befugnisse der Wahrnehmung dieser
Kompetenz dienen und auf Einzelfälle beschränkt bleiben, in denen
aufgrund konkreter Tatsachen ein Rückforderungsanspruch möglich
erscheint.
2. Auch die Erhebungen des Bundesrechnungshofs bei Ländern und Kommunen
gemäß § 6a Satz 4 ZuInvG berühren die grundsätzliche Zuständigkeit der
Länder und bedürfen daher einer Ermächtigung im Grundgesetz.
Nach Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG ist der Bundesrechnungshof zur
Rechnungsprüfung sowie zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit und
Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes
ermächtigt. Unter Berücksichtigung der Haushaltsautonomie der Länder
rechtfertigt Art. 114 Abs. 2 Satz 2 GG jedoch Erhebungsbefugnisse des
Bundesrechnungshofs bei Ländern und Kommunen im Falle der Gewährung von
Finanzhilfen nur in dem Umfang, in dem dem Bund Verwaltungskompetenzen
zukommen. Die Rechtsaufsicht des Bundes gemäß Art. 84 Abs. 3 GG verleiht
dem Bundesrechnungshof somit zunächst die Befugnis, zum Zwecke der
Feststellung von Rechtsverletzungen seitens der Landesbehörden
Erhebungen bei den obersten Landesbehörden durchzuführen. Hierzu kann er
sich, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen Rechtsverstoß vorliegen, von
diesen Behörden auch Akten übersenden lassen. Erhebungen unmittelbar bei
nachgeordneten Landesbehörden und Kommunen sind dem Bundesrechnungshof
von Verfassungs wegen dagegen nur dann gestattet, wenn entweder die
Zustimmung der obersten Landesbehörde vorliegt bzw. durch den Bundesrat
ersetzt wurde oder wenn die Erhebungen die Feststellung eines
Haftungsanspruchs im Sinne des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 2. Halbsatz GG
bezwecken, der aufgrund konkreter Tatsachen möglich erscheint.
Soweit § 6a Satz 4 ZuInvG auch ohne das Vorliegen einer dieser
Voraussetzungen den Bundesrechnungshof zu Erhebungen ermächtigt, ist die
Norm verfassungswidrig, weil die erforderliche Bundeskompetenz fehlt.
3. Die Vorschrift des § 6a Satz 3 ZuInvG ist dagegen mit dem Grundgesetz
vereinbar. Denn der dem Bundesrechnungshof darin erteilte Auftrag,
gemeinsam mit dem jeweiligen Landesrechnungshof die zweckentsprechende
Verwendung der Finanzhilfen zu prüfen, berührt nicht den
Kompetenzbereich der Länder. Die Regelung hält den Bundesrechnungshof
lediglich zu einer kooperativen und Verwaltungsressourcen schonenden
Vorgehensweise an.
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