Der Beschwerdeführer befand sich seit Mitte Juni 2005 wegen des
Verdachts des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge in Untersuchungshaft. Am 31. Oktober 2005 begann die
Hauptverhandlung vor dem Landgericht. Eine Verfassungsbeschwerde gegen
die Fortdauer der Untersuchungshaft nahm das Bundesverfassungsgericht
durch Beschluss vom 19. September 2007 nicht zur Entscheidung an, wies
aber darauf hin, dass das Landgericht künftig vermehrt verhandeln müsse,
um dem Beschleunigungsgebot Rechnung zu tragen; monatlich
durchschnittlich an acht Tagen ganztägig zu verhandeln, sei nicht
unzumutbar. Ende Mai 2008 verurteilte das Landgericht den
Beschwerdeführer nach 88 Hauptverhandlungstagen wegen drei der insgesamt
14 angeklagten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und ordnete an, dass davon ein
Jahr und zehn Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung
als vollstreckt gelten. Hinsichtlich der übrigen 11 Tatvorwürfe wurde
das Verfahren wegen der insoweit zu erwartenden umfangreichen
Beweisaufnahme und angesichts der Geschäftsbelastung der Kammer mit
Beschluss vom gleichen Tag abgetrennt und ausgesetzt. Nachdem der
Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Sache
zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen hatte, hob das Landgericht den
Haftbefehl Ende August 2009 auf, weil die Fortdauer der
Untersuchungshaft nicht mehr verhältnismäßig sei. Der Beschwerdeführer
wurde am gleichen Tag aus der Haft entlassen. Nach Ver-bindung des
abgetrennten Verfahrens wurde für den 18. Dezember 2009 erneut ein
Hauptver-handlungstermin anberaumt, zu dem der Beschwerdeführer, der
mittlerweile aufgrund einer Abschie-beanordnung nach Albanien ausgereist
war, nicht erschien. Das Landgericht erließ daraufhin einen erneuten
Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer, gestützt auf sämtliche
angeklagten 14 Tatvorwürfe. Das Oberlandesgericht verwarf die hiergegen
eingelegte Haftbeschwerde.
Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen und die angegriffenen
Haftentscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts
aufgehoben, weil sie den Beschwerdeführer in seinem Freiheitsgrundrecht
und seinem Recht auf ein faires Strafverfahren verletzen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Weder das Landgericht noch das Oberlandesgericht lassen bei der Prüfung
der Verhältnismäßigkeit des weiteren Vollzugs der Untersuchungshaft die
gebotene Abwägung mit dem Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers
erkennen. Das in dem Grundrecht auf persönliche Freiheit
verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen hat
zur Folge, dass die Untersuchungshaft zur Durchführung eines geordneten
Strafverfahrens und zur Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung
grundsätzlich nicht mehr als notwendig erachtet werden kann, wenn ihre
Fortdauer durch vermeidbare und nicht von dem Beschuldigten zu
vertretende Verfahrensverzögerungen verursacht ist.
Die Gerichte haben sich hinsichtlich der erneuten Anordnung der
Untersuchungshaft mit der hier vor-liegenden Verletzung des
Beschleunigungsgebots nicht auseinandergesetzt. Das Verfahren ist nach
Beginn der Hauptverhandlung trotz des Hinweises des
Bundesverfassungsgerichts zur Anzahl der monatlichen Verhandlungstage
ersichtlich zu wenig gefördert worden. Während der über zweieinhalb
Jahre dauernden Hauptverhandlung wurde durchschnittlich weniger als an
einem Tag pro Woche verhandelt, ohne dass stichhaltige
Rechtfertigungsgründe ersichtlich sind. Das verfassungsrechtliche
Beschleunigungsgebot in Haftsachen fordert aber stets eine
vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende
Hauptverhandlungsplanung mit mehr als nur einem durchschnittlichen
Hauptverhandlungstag pro Woche. Zudem trat in Bezug auf die 11 noch
nicht abgeurteilten Taten jedenfalls 15 Monate lang, nämlich von der
Abtrennung dieses Verfahrens Anfang Juni 2008 bis zum Beginn der
erneuten Planung des gesamten Verfahrens Ende August 2009, ein völliger
Verfahrensstillstand ein, während dessen der Beschwerdeführer sich
weiterhin in Untersuchungshaft befand.
Vor diesem Hintergrund und angesichts der bereits erlittenen
Untersuchungshaft von über vier Jahren und zwei Monaten hat das
Landgericht beim Neuerlass des Haftbefehls dem Freiheitsgrundrecht des
Beschwerdeführers nicht genügend Gewicht beigemessen. Die erneute
Anordnung der Untersuchungshaft rechtfertigt sich nicht durch die
Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und das
Gewicht der 11 noch nicht abgeurteilten Taten bzw. die aus beidem
folgende Höhe der zu erwartenden Gesamtstrafe. Das Beschleunigungsgebot
verliert seine Bedeutung nicht durch den Erlass des erstinstanzlichen
Urteils, sondern gilt für das gesamte Strafverfahren. Allein die Schwere
der Taten und die sich daraus ergebende Straferwartung können jedenfalls
bei erheblichen vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden
Verfahrensverzögerungen nicht zur weiteren Rechtfertigung einer ohnehin
schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen werden.
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