Nach der im Jahr 2007 geltenden Fassung des Solidaritätszuschlaggesetzes
1995 wird zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer ein
Solidaritätszuschlag von 5,5 % der Bemessungsgrundlage als
Ergänzungsabgabe erhoben. In seiner Entscheidung vom 9. Februar 1972
(BVerfGE 32, 333 ff.) hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich zur
Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Ergänzungsabgaben
Stellung genommen und u. a. entschieden, dass eine zeitliche Befristung
nicht zum Wesen der Ergänzungsabgabe gehört. Der Kläger des
Ausgangsverfahrens wandte sich mit seiner Sprungklage vor dem
Niedersächsischen Finanzgericht gegen die Festsetzung des
Solidaritätszuschlags für den Veranlagungszeitraum 2007 durch das
Finanzamt. Das Finanzgericht hat dem Bundesverfassungsgericht im
konkreten Normenkontrollverfahren die Frage vorgelegt, ob das
Solidaritätszuschlaggesetz vom 23. Juni 1993 in der für das Streitjahr
2007 geltenden Fassung verfassungswidrig sei. Seine Auffassung von der
Verfassungswidrigkeit des Gesetzes stützt das Finanzgericht im
Wesentlichen darauf, dass die über mehr als ein Jahrzehnt andauernde
Erhebung des Solidaritätszuschlags mit der Vorstellung des
Verfassungsgebers von der Ergänzungsabgabe als nachrangiges, zeitlich
beschränktes Finanzierungsmittel nicht vereinbar sei.
Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat
entschieden, dass die Vorlage unzulässig ist, weil sich das
Niedersächsische Finanzgericht mit der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zum Wesen der Ergänzungsabgabe nicht
hinreichend auseinandergesetzt hat.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Ein Gericht kann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die
Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Vorschrift nur einholen, wenn es
zuvor selbst ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat. Hierbei
hat es insbesondere die Bindungswirkung der verfassungsgerichtlichen
Entscheidungen zu beachten und sich mit den ihnen zugrunde liegenden
tragenden Erwägungen auseinanderzusetzen; hinsichtlich bereits
entschiedener Rechtsfragen bestehen erhöhte Begründungsanforderungen.
Diesen Anforderungen wird die Vorlage nicht gerecht. Zwar hat sich das
Bundesverfassungsgericht mit der Verfassungsmäßigkeit des
Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 inhaltlich noch nicht
auseinandergesetzt. Es hat jedoch im Rahmen seiner grundsätzlichen
Stellungnahme zu den Voraussetzungen einer verfassungsrechtlich
zulässigen Ausgestaltung einer Ergänzungsabgabe entschieden, dass es von
Verfassungs wegen nicht geboten ist, eine solche Abgabe von vornherein
zu befristen oder sie nur für einen ganz kurzen Zeitraum zu erheben.
Das Finanzgericht lässt wesentliche Gesichtspunkte in der Begründung
dieser Entscheidung außer acht: Es vertritt die Ansicht, dass eine
Finanzlücke allein durch auf Dauer angelegte Steuererhöhungen, nicht
aber durch die Fortführung einer Ergänzungsabgabe geschlossen werden
dürfe. Dabei lässt es die Erwägung unberücksichtigt, dass sich - wie bei
den Beratungen zum Finanzverfassungsgesetz auch bedacht - aus der
Verteilung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern auch für längere Zeit
ein Mehrbedarf - allein - des Bundes ergeben kann und dass die Deckung
eines solchen Mehrbedarfs durch eine Erhöhung der - auch den Ländern
zustehenden - Einkommen- und Körperschaftsteuer die Steuerpflichtigen
unnötig belasten und konjunkturpolitisch unerwünscht sein kann, wenn
eine Erhöhung der steuerlichen Gesamtbelastung vom Standpunkt der Länder
nicht erforderlich ist. Das Finanzgericht hat in seinem Vorlagebeschluss
selbst festgestellt, dass mit dem Beitritt der einstigen DDR im Jahr
1990 ein großer, auf viele Jahre nicht absehbarer Finanzbedarf für den
Bundeshaushalt eingetreten ist. Gleichwohl setzt es sich nicht mit der
Frage auseinander, wieweit eine Erhöhung der Einkommen- und
Körperschaftsteuer mit Blick auf die Beteiligung der Länder am
Steueraufkommen gegenüber der Erhebung des Solidaritätszuschlags zur
Deckung des ausschließlichen Mehrbedarfs des Bundes als eine vertretbare
Alternative anzusehen sein könnte.
Des Weiteren übersieht das Finanzgericht, dass während des
Gesetzgebungsverfahrens zum Finanzverfassungsgesetz keine ernsthaften
Versuche angestellt wurden, eine Befristung der Ergänzungsabgabe
einzuführen, obwohl der Bundesrat, um die Begrenzung der
Ergänzungsabgabe der Höhe nach zu erreichen, den Vermittlungsausschuss
angerufen hatte.
Auch die These des Finanzgerichts, angesichts der in den letzten Jahren
immer wieder erfolgten Steuerermäßigungen hätte der Solidaritätszuschlag
entfallen müssen, entbehrt einer verfassungsrechtlich relevanten
Begründung. Das Finanzgericht hat nicht berücksichtigt, dass - zur
Sanierung der öffentlichen Haushalte - mit der Senkung der Steuersätze
eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage verbunden war, die zu
zahlreichen sachlichen und betragsmäßigen Einschränkungen des
Betriebsausgaben- und Werbungskostenabzugs und somit zu einer Erhöhung
der Steuerlast führte.
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