Die Gewinne aus privaten Grundstücksveräußerungsgeschäften unterlagen
nach der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Rechtslage der
Einkommensteuer, wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung
weniger als zwei Jahre betrug (sog. Spekulationsgeschäfte). Nach dem
Regierungswechsel im Jahr 1998 wurde die Veräußerungsfrist durch das am
31. März 1999 verkündete Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 auf zehn
Jahre verlängert (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Nach § 52 Abs. 39 Satz
1 EStG galt die neue Frist erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 1999,
bezog aber - rückwirkend - auch bereits erworbene Grundstücke ein,
sofern der Vertrag über die Veräußerung erst im Jahr 1999 (oder später)
geschlossen wurde.
Die Kläger der drei Ausgangsverfahren veräußerten ihre in den Jahren
1990 bzw. 1991 erworbenen Grundstücke nach Ablauf der alten, aber
innerhalb der neuen Veräußerungsfrist im Jahr 1999, wobei die
zugrundeliegenden Verträge teilweise bereits vor der Verkündung des
neuen Rechts (am 26. Februar bzw. 16. März 1999) geschlossen wurden,
teilweise aber auch erst danach (am 22. April 1999). Das Finanzamt
wandte in allen Fällen die neue Veräußerungsfrist an und rechnete die
Veräußerungsgewinne dem zu versteuernden Einkommen zu. Die erhobenen
Klagen führten jeweils zur Vorlage durch das Finanzgericht Köln und den
Bundesfinanzhof.
In den zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Normenkontrollverfahren
hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass §
23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i. V. m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der
Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 wegen Verstoßes
gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes
teilweise verfassungswidrig ist. Die Verlängerung der Veräußerungsfrist
auf zehn Jahre als solche ist dagegen verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Eine grundsätzlich unzulässige „echte“ Rückwirkung, bei der die
gesetzlichen Rechtsfolgen schon vor dem Zeitpunkt der Verkündung für
bereits abgeschlossene Tatbestände eintreten sollen („Rückbewirkung von
Rechtsfolgen“), liegt nicht vor. Denn die verlängerte Veräußerungsfrist
kommt erst ab dem im Zeitpunkt der Änderung noch laufenden
Veranlagungszeitraum zur Anwendung, d. h. für Veräußerungserlöse, die ab
dem 1. Januar 1999 zugeflossen sind. Es liegt aber eine „unechte“
Rückwirkung vor, soweit das Grundstück im Zeitpunkt der Verkündung der
Neuregelung am 31. März 1999 bereits erworben war, weil die Anwendung
der verlängerten Veräußerungsfrist insoweit an einen zurückliegenden
Sachverhalt anknüpft. Das ist zwar nicht grundsätzlich unzulässig, mit
den grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Grundsätzen des
Vertrauensschutzes aber nur vereinbar, wenn die Rückanknüpfung zur
Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und bei einer
Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und der
Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze
der Zumutbarkeit gewahrt bleibt. Damit ist die rückwirkende Verlängerung
der Veräußerungsfrist nur teilweise vereinbar.
Soweit die früher geltende zweijährige Spekulationsfrist im Zeitpunkt
der Verkündung noch nicht abgelaufen war, begegnet ihre Verlängerung
keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das gleiche gilt, soweit die
alte Frist zwar bereits abgelaufen war, sich der Zugriff aber auf die
erst nach der Verkündung der Neuregelung eintretenden Wertsteigerungen
beschränkt. Zwar kann die Entscheidung für den Erwerb eines Grundstücks
im einzelnen Fall maßgeblich von der Erwartung bestimmt sein, einen
etwaigen Veräußerungsgewinn nach Ablauf von zwei Jahren steuerfrei
realisieren zu können. Die bloße Möglichkeit, Gewinne später steuerfrei
vereinnahmen zu können, begründet aber keine (vertrauens-)rechtlich
geschützte Position. Mit Wertsteigerungen kann im Zeitpunkt des Erwerbs
nicht sicher gerechnet werden, so dass auch die Enttäuschung der
Hoffnung auf künftige steuerfreie Vermögenszuwächse nicht als
Beeinträchtigung greifbarer Vermögenswerte zu werten ist.
Die Anwendung der verlängerten Spekulationsfrist verstößt aber gegen die
verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist
nichtig, soweit ein im Zeitpunkt der Verkündung bereits eingetretener
Wertzuwachs der Besteuerung unterworfen wird, der nach der zuvor
geltenden Rechtslage bereits steuerfrei realisiert worden ist oder
zumindest bis zur Verkündung steuerfrei hätte realisiert werden können,
weil die alte Spekulationsfrist bereits abgelaufen war. Insoweit war
bereits eine konkret verfestigte Vermögensposition entstanden, die durch
die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist nachträglich
entwertet wird. Diese führt zudem zu einer Ungleichbehandlung, die unter
dem Gesichtspunkt der Lastengleichheit einer erhöhten Rechtfertigung
bedarf, wenn die alte Frist - wie in den Ausgangsverfahren - bereits bis
zum Ende des Jahres 1998 abgelaufen war. Denn bei denjenigen
Steuerpflichtigen, die ihr Grundstück noch im Jahr 1998 veräußerten,
bleiben die bis dahin erzielten Wertsteigerungen steuerfrei.
Hinreichend gewichtige Gründe, die geeignet sind, die nachträgliche
einkommensteuerrechtliche Belastung bereits entstandener, steuerfrei
erworbener Wertzuwächse zu rechtfertigen, bestehen nicht. Soweit die
Neuregelung allgemein damit begründet wird, dass sie dem Grundsatz der
Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und damit auch
dem Gebot der Steuergerechtigkeit besser entspreche, hat dies nur
Bedeutung für die Grundsatzentscheidung, private Veräußerungsgewinne und
damit Wertsteigerungen des Privatvermögens stärker als zuvor bei der
Bemessung der finanziellen Leistungsfähigkeit heranzuziehen. Dieses
Ziel, die Rechtslage zu „verbessern“, bezeichnet nur das allgemeine
Änderungsinteresse, ist aber kein spezifischer Grund, der geeignet ist,
gerade auch den rückwirkenden Zugriff auf bereits steuerfrei erworbene
Wertsteigerungen zu legitimieren.
Gleiches gilt für das vom Gesetzgeber benannte Ziel einer Verbreiterung
der Bemessungsgrundlage zur Gegenfinanzierung. Die bloße Absicht,
staatliche Mehreinkünfte zu erzielen, ist für sich genommen
grundsätzlich kein den Vertrauensschutz betroffener Steuerpflichtiger
überwindendes Gemeinwohlinteresse. Denn dies würde bedeuten, dass der
Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Verschärfungen des Steuerrechts
praktisch leerliefe. Auch das Bedürfnis, mit Mehreinnahmen an anderer
Stelle gewährte Steuererleichterungen zu finanzieren, bezeichnet nur
einen allgemeinen Änderungsbedarf, der es rechtfertigt, Wertsteigerungen
ab der Verkündung steuerlich zu erfassen, aber nicht gerade auch die
rückwirkende Einbeziehung bereits steuerfrei erworbener
Vermögenszuwächse legitimiert. Eine solche Legitimation ergibt sich auch
nicht aus der Schwierigkeit und Streitanfälligkeit einer Feststellung
des Marktpreises zum Zeitpunkt der Verkündung, denn damit können
allenfalls grobe Schätzungslösungen bei der Wertermittlung, nicht aber
ein vollständiges Absehen davon gerechtfertigt werden.
Die zehnjährige Veräußerungsfrist als solche ist dagegen
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die unterschiedliche
einkommensteuerrechtliche Erfassung von Wertsteigerungen im Vermögen des
Steuerpflichtigen ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Sie ist die
systematische und insofern folgerichtige Konsequenz aus dem historisch
gewachsenen Dualismus der Einkunftsarten und liegt innerhalb des
Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber bei der Erschließung von
Steuerquellen zukommt. Es verstößt ferner nicht gegen den allgemeinen
Gleichheitssatz, dass Gewinne aus Grundstücksveräußerungen nicht dem für
außerordentliche Einkünfte geltenden ermäßigten Tarif nach § 34 EStG
unterliegen. Der Tarifermäßigung für Gewinne aus der Veräußerung eines
Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils liegt zugrunde, dass
die Erwerbstätigkeit beendet ist und die in einem gesamten
Wirtschaftsleben angesammelten stillen Reserven einmalig realisiert
werden. Die Grundstücksveräußerung betrifft dagegen nur einen einzelnen
Vermögensgegenstand und erfasst nach der Neuregelung nur solche stille
Reserven, die über einen Zeitraum von maximal zehn Jahren angefallen
sind. Schließlich ist es aus Gründen der Klarheit und Handhabbarkeit des
Rechts sowie aus währungspolitischen Erwägungen verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden, wie das Bundesverfassungsgericht bereits
entschieden hat, dass das Einkommensteuerrecht vom Nominalwertprinzip
ausgeht, bei der Berechnung des Veräußerungsgewinns also die
zwischenzeitliche Geldentwertung unberücksichtigt bleibt.
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