Das Bundesverfassungsgericht hat in drei miteinander verbundenen
Verfahren über die Anwendung und Auslegung des Tatbestandes der Untreue
(§ 266 Abs. 1 StGB) unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebotes des
Art. 103 Abs. 2 GG entschieden; die im juristischen Schrifttum zum Teil
bezweifelte Verfassungsmäßigkeit des gesetzlichen Tatbestandes hat das
Bundesverfassungsgericht hierbei bejaht.
§ 266 Abs. 1 StGB in der heute gültigen Fassung lautet:
Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft
eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen
anderen zu verpflichten, missbraucht oder die ihm kraft Gesetzes,
behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses
obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt
und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat,
Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder
mit Geldstrafe bestraft.
Den Versuch der Untreue hat der Gesetzgeber nicht unter Strafe gestellt.
Die Beschwerdeführer in den vom Zweiten Senat des
Bundesverfassungsgerichts entschiedenen Verfahren sind wegen Untreue zu
Bewährungsstrafen verurteilt worden; der Bundesgerichtshof hat ihre
Verurteilungen zumindest im Schuldspruch bestätigt. Der Beschwerdeführer
im ersten Verfahren verwaltete nach den strafgerichtlichen
Feststellungen als Bereichsvorstand der Fa. Siemens AG Gelder auf
„schwarzen Kassen“, entzog diese so dem Zugriff der zuständigen
Unternehmensorgane und verwendete sie später zu Bestechungszwecken. Der
Beschwerdeführer im zweiten Verfahren war Vorstand einer
Betriebskrankenkasse und schädigte deren Vermögen dadurch, dass er
Angestellten der Krankenkasse in Überschreitung des ihm zustehenden
Entscheidungsspielraums über mehrere Jahre hinweg zusätzlich zu deren
Gehalt und der Vergütung geleisteter Überstunden Prämien in erheblicher
Höhe bewilligte. Die Beschwerdeführer im dritten Verfahren waren
Vorstandsmitglieder der Berlin-Hannoverschen Hypothekenbank AG; ihnen
lag zur Last, unter Verletzung ihrer der Bank gegenüber bestehenden
Informations- und Prüfungspflichten einen unzureichend gesicherten
Kredit für die Anschaffung und Modernisierung von Plattenbauwohnungen
über knapp 20 Mio. DM bewilligt und ausgezahlt zu haben.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die gegen die
Verurteilungen gerichteten Verfassungsbeschwerden in den beiden
erstgenannten Verfahren zurückgewiesen, im dritten Fall jedoch den
Beschluss des Bundesgerichtshofs und das Urteil des Landgerichts Berlin
wegen Verletzung des Rechts der Beschwerdeführer aus Art. 103 Abs. 2 GG
aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Verfassungsrechtliche Bedenken, die die Weite eines Straftatbestandes
bei isolierter Betrachtung auslösen müsste, können durch eine gefestigte
höchstrichterliche Rechtsprechung entkräftet werden. Die Rechtsprechung
ist daher gehalten, verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich
einer Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung
nach Möglichkeit auszuräumen (Präzisierungsgebot). Aufgrund des in Art.
103 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommenden strengen Gesetzesvorbehalts ist die
Kontrolldichte des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der
Rechtsanwendung durch die Fachgerichte im Bereich des materiellen
Strafrechts erhöht.
Der Untreuetatbestand ist mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2
GG noch zu vereinbaren. Zwar hat das Regelungskonzept des Gesetzgebers -
im Interesse eines wirksamen und umfassenden Vermögensschutzes - zu
einer sehr weit gefassten und verhältnismäßig unscharfen Strafvorschrift
geführt. § 266 Abs. 1 StGB lässt jedoch das zu schützende Rechtsgut
ebenso klar erkennen wie die besonderen Gefahren, vor denen der
Gesetzgeber dieses mit Hilfe des Tatbestandes bewahren will. Der
Untreuetatbestand lässt eine konkretisierende Auslegung zu, die die
Rechtsprechung in langjähriger Praxis umgesetzt und die sich in ihrer
tatbestandsbegrenzenden Funktion grundsätzlich als tragfähig erwiesen
hat.
Den danach an die Auslegung des § 266 Abs. 1 StGB zu stellenden
Anforderungen genügen die angegriffenen Verurteilungen in den ersten
beiden Fällen, nicht jedoch die Verurteilung der Vorstände der
Berlin-Hannoverschen Hypothekenbank AG (dritter Fall).
Nicht zu beanstanden ist zwar die Bewertung, dass die Beschwerdeführer
mit der Bewilligung des Kredits die ihnen als Vorstandsmitglieder
obliegende Pflicht verletzt haben, die Vermögensinteressen der
Hypothekenbank wahrzunehmen, namentlich eine umfassende und sorgfältige
Bonitätsprüfung vorzunehmen. Es fehlt jedoch an der von Verfassungs
wegen erforderlichen wirtschaftlich nachvollziehbaren Feststellung und
Darlegung eines Vermögensnachteils (Schadens).
Hier hat das Landgericht auf die Rechtsfigur des Gefährdungsschadens
zurückgegriffen: Es ist vom Eintritt eines Schadens bereits zum
Zeitpunkt der Bewilligung und Auszahlung des Kredits ausgegangen, weil
der durch Auszahlung des Kreditbetrags eingetretenen Vermögensminderung
ein gleichwertiger Vermögenszuwachs in Form des Rückzahlungsanspruchs
nicht gegenübergestanden habe, soweit die Rückzahlung mangels
ausreichend werthaltiger Sicherheiten nicht gewährleistet gewesen sei.
Dies ist im Ausgangspunkt verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Zwar ist mit der Rechtsfigur des Gefährdungsschadens in erhöhtem Maße
die Gefahr einer Überdehnung des Untreuetatbestandes durch Gleichsetzung
von gegenwärtigem Schaden und zukünftiger Verlustgefahr verbunden; dies
würde die Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine Strafbarkeit des
Untreueversuchs unterlaufen und die Eigenständigkeit des
Nachteilsmerkmals in Frage stellen. Dieser Gefahr kann jedoch begegnet
werden, indem (auch) Gefährdungsschäden von den Gerichten in
wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise nach anerkannten
Bewertungsverfahren und –maßstäben festgestellt werden; soweit komplexe
wirtschaftliche Analysen vorzunehmen sind, wird die Hinzuziehung eines
Sachverständigen erforderlich sein.
Daran fehlt es in dem Berliner Fall. Die Entscheidungen des Landgerichts
und des Bundesgerichtshofs verletzen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103
Abs. 2 GG, weil sie einen Vermögensschaden angenommen haben, obwohl
keine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende,
wirtschaftlich nachvollziehbare Feststellungen zu dem Nachteil getroffen
wurden, der durch die pflichtwidrige Kreditvergabe der Beschwerdeführer
verursacht worden sein könnte. Dass nach der Bewertung des
Bundesgerichtshofs die als Vorstandsmitglieder verantwortlichen
Beschwerdeführer ein allzu weites Risiko eingegangen sind, indem sie die
Kreditgewährung für das Gesamtkonzept pflichtwidrig unter
Vernachlässigung anerkannter deutlicher Risiken und Negierung
vielfältiger Warnungen fortsetzten, ersetzt nicht die Feststellung eines
konkreten Schadens.
Dieses Verfahren ist an das Landgericht zurückverwiesen worden.
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