In der DDR standen zahlreiche Vermögenswerte - vor allem Grundstücke -,
die nicht enteignet worden waren, unter staatlicher Zwangsverwaltung,
die den Betroffenen bei formalem Fortbestand seines Eigentumsrechts in
seinen Nutzungs- und Verfügungsbefugnissen über den ihm gehörenden
Vermögenswert beschränkte und damit in ihren wirtschaftlichen Wirkungen
weitgehend einer Enteignung gleichzusetzen war. Mit dem durch die
Novelle des Vermögensgesetzes vom 14. Juli 1992 neu eingefügten § 11a
VermG wurde die Aufhebung der staatlichen Verwaltung aller betroffenen
Vermögenswerte unmittelbar kraft Gesetzes zum 31. Dezember 1992
angeordnet. Danach waren allerdings viele der ehemals staatlich
verwalteten Grundstücke „faktisch herrenlos“, weil der jeweilige
Eigentümer oder dessen Aufenthalt immer noch nicht bekannt war. Nach dem
am 1. Dezember 1994 in Kraft getretenen Entschädigungsgesetz sind solche
faktisch herrenlosen Vermögenswerte, deren Eigentümer nicht ermittelbar
ist und sich auch nach Durchführung eines Aufgebotsverfahrens nicht
meldet, an den Entschädigungsfonds abzuführen, der durch das Bundesamt
für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen verwaltet wird. Aus dem
Entschädigungsfonds werden u.a. Entschädigungen nach dem
Entschädigungsgesetz und dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz sowie
Ausgleichsleistungen für nicht mehr rückgängig zu machende Enteignungen
erbracht. Durch das Änderungsgesetz vom 10. Dezember 2003 wurde in § 10
Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG schließlich bestimmt, dass auch
solche Vermögensrechte der Abführung an den Entschädigungsfonds
unterliegen, die nicht bekannten oder nicht auffindbaren Miteigentümern
oder Miterben zustehen. In Folge dessen wird der Entschädigungsfonds
Mitglied der Eigentümer- bzw. Erbengemeinschaft in Bezug auf den ehemals
staatlich verwalteten Vermögenswert. Ansprüche auf eine Rückerstattung
des an den Entschädigungsfonds übergeführten Miteigentums- oder
Miterbenanteils für den Fall, dass sich der ausgeschlossene
Rechtsinhaber oder seine Rechtsnachfolger später noch melden sollten,
kennt das geltende Recht nicht.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, für die ein Abwesenheitspfleger
klagt, ist zu einem Drittel Miterbin nach ihrem Vater, der Eigentümer
eines Grundstücks in Brandenburg war. Ihre beiden Schwestern haben ihre
Erbansprüche rechtzeitig geltend gemacht. Nachdem der Aufenthaltsort der
bereits 1965 nach Großbritannien verzogenen Klägerin trotz intensiver
Recherchen nicht ermittelt werden konnte, schloss das Bundesamt zur
Regelung offener Vermögensfragen die Klägerin von ihrem Miterbenanteil
an dem Grundstück aus und stellte fest, dass dieser auf die
Bundesrepublik Deutschland - Entschädigungsfonds - übergehe. Die vom
Abwesenheitspfleger dagegen erhobene Klage führte zur Vorlage des § 10
Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG durch das Bundesverwaltungsgericht,
das die Vorschrift für unvereinbar mit Art. 14 Abs. 1 GG hält, soweit
sie die Rechte von unauffindbaren Miterben betrifft.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass § 10
Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG mit dem Grundgesetz vereinbar ist,
soweit danach ein nicht auffindbarer Miterbe von seinen Rechten
hinsichtlich ehemals staatlich verwalteter Vermögenswerte auch dann
ausgeschlossen werden kann, wenn zumindest ein weiterer Miterbe bekannt
und aufgefunden ist.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Eine auf der Grundlage früheren DDR-Rechts erworbene Miterbenstellung
genießt den Schutz des Grundrechts auf Eigentum (Art. 14 GG). Der
Eingriff in diese Rechtsposition durch die in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7
Satz 2 EntschG geregelte Entziehung der Rechtsstellung des
unauffindbaren Miterben genügt jedoch den Anforderungen, die bei einer
Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums an einen gerechten
Interessenausgleich zu stellen sind. Die Vorschrift dient dem legitimen
Gemeinwohlziel, durch die Beseitigung einer faktischen Herrenlosigkeit
der ehemals im Beitrittsgebiet staatlich verwalteten Vermögenswerte
endgültige Eigentumsverhältnisse zu schaffen und auf diese Weise die
Verkehrsfähigkeit von Grundstücken zu verbessern. Sie trägt damit zu
einer geordneten Rechts- und Wirtschaftsentwicklung in den neuen Ländern
bei. Der Gesetzgeber durfte im Rahmen des ihm bei der Förderung der
wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen Ländern zustehenden
Beurteilungsspielraums davon ausgehen, dass gerade die Unauffindbarkeit
eines Miterben die Handlungsfähigkeit der Erbengemeinschaft einschränkt.
Diese kann ohne den unauffindbaren Miterben nur Maßnahmen der
ordnungsgemäßen Verwaltung oder der Notgeschäftsführung ergreifen. Auch
durch die Bestellung eines Vertreters oder Pflegers für lediglich
bestimmte Maßnahmen können solche Hemmnisse nicht mit gleicher
Schnelligkeit beseitigt werden wie durch eine Überführung des Erbanteils
an den Entschädigungsfonds, der regelmäßig die Veräußerung des
Vermögenswertes betreiben wird.
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG führt für den ausgeschlossenen
unauffindbaren Miterben auch nicht zu einer unverhältnismäßigen und
unzumutbaren Belastung. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen,
dass nur solche Vermögenswerte betroffen sind, die seit geraumer Zeit
vom Berechtigten, der trotz Ausschöpfung aller zumutbaren
Ermittlungsmöglichkeiten unauffindbar geblieben ist, nicht in Anspruch
genommen worden sind, obwohl hierzu die Möglichkeit bestanden hat. Der
unauffindbare Miterbe hatte hier 13 Jahre lang Gelegenheit, sich um sein
Erbe zu bemühen. Hinzu kommt, dass die Einleitung eines
Aufgebotsverfahrens erst zulässig ist, nachdem das Bundesamt seiner
Pflicht zur Ermittlung des Berechtigten mit den zu Gebote stehenden
Mitteln genügt hat. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die
besondere Situation nach der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands
überwiegt das öffentliche Interesse an der Belebung des
Grundstücksverkehrs und der Wirtschaftsentwicklung. Es ist auch nicht zu
beanstanden, dass der Entzug der Rechtsstellung des unauffindbaren
Miterben kompensationslos erfolgt. Denn der an den Entschädigungsfonds
abgeführte Wert dient nicht allgemeinen fiskalischen Zwecken, sondern
kommt anderen Personen zugute, die mit dem ursprünglichen Rechtsinhaber
als Opfer wiedergutzumachender Vermögensschädigungen im selben Lager
stehen.
Die Beschränkung des Eigentumsrechts ist auch gleichheitsgerecht (Art. 3
Abs. 1 GG) ausgestaltet. Zwar können bei der Durchführung der
Wiedergutmachung nach dem Vermögensgesetz durch Rückübertragung
(Restitution) entzogener Vermögenswerte ebenfalls Erbengemeinschaften
mit unauffindbaren Miterben entstehen, deren Erbanteile jedoch keinem
Aufgebotsverfahren unterliegen. Diese Ungleichbehandlung ist aber
angesichts des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers
verfassungsrechtlich zulässig. Sie ist sachlich gerechtfertigt und damit
nicht willkürlich. Der Gesetzgeber durfte dem Umstand Rechnung tragen,
dass der faktischen Herrenlosigkeit nach Aufhebung der staatlichen
Verwaltung durch Gesetz zum 31. Dezember 1992 eine gänzlich andere
Bedeutung zukam als sonst bei Wiedergutmachungen nach dem
Vermögensgesetz.
Weder die sich aus Art. 14 Abs. 1 GG ergebende grundrechtliche Stellung
der anderen, präsenten Miterben noch die des Erblassers ist verletzt.
Soweit den weiteren Miterben der Entschädigungsfonds als Mitglied der
ungeteilten Erbengemeinschaft aufgezwungen wird, ist das für sich
gesehen kein Eingriff in eine vermögenswerte Rechtsposition, zumal die
Erbengemeinschaft ohnehin nicht auf Dauer angelegt ist. Die
Grundrechtsposition des Erblassers ist nicht berührt, da der hier in
Rede stehende Eingriff nicht seine Testierfreiheit oder sein Recht, sein
Vermögen nach den gesetzlichen Regeln der Verwandtenerbfolge zu
vererben, betrifft, sondern allein die Rechtsstellung desjenigen, der
auf dieser Grundlage Miterbe geworden ist.
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