Zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus
Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDR
Die Alterssicherung in der DDR beruhte neben der allgemeinen
Sozialversicherung und der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung auf
einer Vielzahl spezieller Sicherungssysteme für verschiedene
Personengruppen, darunter dem Zusatzversorgungssystem für hauptamtliche
Mitarbeiter des Staatsapparates.
Im Einigungsvertrag vom 31. August 1990 ist festgelegt, dass auch die
Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatzversorgungssystemen der DDR in
die gesetzliche Rentenversicherung zu überführen sind. Jedoch sind dabei
„ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen
abzubauen“ sowie eine Besserstellung gegenüber vergleichbaren Ansprüchen
und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen zu
verhindern. In dem wiedervereinigten Deutschland wurden diese Vorgaben
durch das Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus
Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs-
und Anwartschaftsüberführungsgesetz - AAÜG) umgesetzt. Die bisherigen
Regelungen des Gesetzgebers zur Begrenzung des berücksichtigungsfähigen
Entgelts bei Angehörigen „staats- oder systemnaher“ Versorgungssysteme
bzw. Personen in „staats- oder systemnahen“ Funktionen mit
einkommensmäßig privilegierter Stellung erklärte das
Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen vom 28. April 1999
(vgl. BVerfGE 100, 59) und vom 23. Juni 2004 (vgl. BVerfGE 111, 115) für
verfassungswidrig. Der daraufhin vom Gesetzgeber neu gefasste § 6 Abs. 2
AAÜG in der Fassung des 1. AAÜG-Änderungsgesetzes vom 21. Juni 2005 legt
nunmehr eine Entgeltbegrenzung für die Zeiten der Zugehörigkeit zu
bestimmten zusätzlichen Versorgungssystemen fest und schränkt diese
Kürzung zusätzlich auf bestimmte, im einzelnen aufgeführte
Personengruppen mit leitenden Funktionen im Partei- und Staatsapparat
der DDR ein. So ist in § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG die Beschäftigung als
„Minister, stellvertretender Minister oder stimmberechtigtes Mitglied
von Staats- oder Ministerrat oder als ihre jeweiligen Stellvertreter“
erfasst.
Die Kläger der beiden Ausgangsverfahren waren in der DDR zeitweilig als
Minister für Umweltschutz und Wasserwirtschaft bzw. als
stellvertretender Minister für Leichtindustrie tätig. Die von ihnen
wegen der Kürzung der in diesen Zeiten erzielten Arbeitsentgelte
angerufenen Sozialgerichte sind der Auffassung, auch die neue
Begrenzungsregelung sei wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 14
GG verfassungswidrig.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass der
zur Prüfung gestellte § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG verfassungsgemäß ist.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Die Entgeltkürzungen durch § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG sind mit dem
Eigentumsschutz nach Art. 14 GG vereinbar. Dieser kommt den in der DDR
begründeten Rentenansprüchen und -anwartschaften aus Zusatz- und
Sonderversorgungssystemen nur entsprechend der Vorgabe im
Einigungsvertrag und nur mit der Maßgabe zu, dass ungerechtfertigte
Leistungen abgeschafft und überhöhte Leistungen abgebaut werden dürfen.
Im Rahmen seines Ausgestaltungsauftrags bei der Überführung der im
Beitrittsgebiet erworbenen Ansprüche und Anwartschaften in die
gesetzliche Rentenversicherung steht dem Gesetzgeber ein besonders
großer Gestaltungsspielraum zu, der durch die Neuregelung in § 6 Abs. 2
Nr. 4 AAÜG nicht überschritten ist. Die dadurch bewirkte Rentenkürzung
rechtfertigt sich aus dem gesetzgeberischen Anliegen, ein
rentenrechtliches Fortwirken eines Systems der Selbstprivilegierung zu
verhindern. § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG erfasst einen sehr spezifischen und
eng begrenzten Kreis von Personen mit Funktionen auf höchster
Staatsebene. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass diese kleine
Gruppe von Personen, die an wichtigen Schaltstellen des Partei- und
Staatsapparates der DDR tätig waren, ihre Position entscheidend durch
Parteilichkeit und Systemtreue erlangten und die gewährte Besoldung und
Versorgung eben diese honorierte. Die Minister der DDR wurden durch das
Politbüro der SED in erster Linie nach politisch-ideologischen Kriterien
ausgewählt. Daher ist die Einschätzung des Gesetzgebers, dass die an
solche Führungskräfte gezahlten Entgelte zu einem gewissen Teil nicht
durch Leistung, sondern als Belohnung für politische Anpassung und
unbedingte Erfüllung des Herrschaftsanspruchs der SED erworben wurden,
nicht zu beanstanden.
Der Einwand, bei dieser Rentenkürzung handele es sich um ein
„Rentenstrafrecht“ des bundesdeutschen Gesetzgebers, greift nicht. § 6
Abs. 2 AAÜG sanktioniert nicht früheres Verhalten der Betroffenen,
sondern versagt die Fortschreibung von Vorteilen aus dem System der DDR
im Rentenrecht der Bundesrepublik. Die auf die Zeiten der
Funktionsausübung beschränkte Rentenkürzung ist auch nicht
unverhältnismäßig; die den Klägern verbleibenden Renten liegen immer
noch erheblich über der Durchschnittsrente eines früheren Bürgers der
DDR.
Der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG wird ebenfalls
eingehalten. Die Benachteiligung der in § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG benannten
Personengruppe gegenüber den allgemein rentenberechtigten ehemaligen
Bürgern der DDR und insbesondere gegenüber sonstigen Angehörigen von
Zusatz- und Sonderversorgungssystemen, die nicht dem Kürzungsmechanismus
des § 6 Abs. 2 AAÜG unterworfen werden, ist aus sachlichen Gründen
gerechtfertigt. Es kann zwar nicht generell davon ausgegangen werden,
dass die Zugehörigkeit zu einem der Zusatz- oder
Sonderversorgungssysteme stets mit der Zahlung überhöhter, nicht
leistungsgerechter Entgelte einhergegangen ist. Denn darin waren eine
Vielzahl unterschiedlicher Berufs- und Personengruppen erfasst, welche
hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates ebenso umfasste wie die
Angehörigen der wissenschaftlichen und technischen Intelligenz, Ärzte
und Zahnärzte mit eigener Praxis, Pädagogen und Hochschulprofessoren
sowie künstlerisch Beschäftigte des Rundfunks, Fernsehens und
Filmwesens. Der Gesetzgeber hat demgegenüber aber in § 6 Abs. 2 Nr. 4
AAÜG die Entgeltkürzung auf eine Personengruppe beschränkt, der
unzweifelhaft Entgelte gezahlt worden sind, die teilweise nicht
leistungsbezogen waren, sondern Prämien für Systemtreue darstellten, und
die damit von ungerechtfertigten Vorteilen profitierte. Diese vom
Gesetzgeber gewählte eng begrenzte Typisierung ist verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden.
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