In allen Bundesländern besteht derzeit ein bodengebundener
Rettungsdienst, der Krankentransport und Notfallrettung umfasst, in
öffentlicher Trägerschaft (öffentlicher Rettungsdienst). Die
Durchführung des öffentlichen Rettungsdienstes obliegt vereinzelt der
Feuerwehr, ist aber in den meisten Ländern auf private
Hilfsorganisationen, wie u. a. das Deutsche Rote Kreuz, und auf private
Unternehmen übertragen. Die rechtliche Gestaltung der Übertragung
unterscheidet sich stark. Während teilweise nur ein öffentlicher
Rettungsdienst vorgesehen ist, innerhalb dessen private
Leistungserbringer mitwirken können (Einheits- oder
Eingliederungsmodell), ist in anderen Ländern neben dem öffentlichen
auch ein privater Rettungsdienst zulässig (duales System oder
Trennungsmodell).
Im Freistaat Sachsen bestand ursprünglich neben dem öffentlichen auch
ein privater Rettungsdienst. Der öffentliche Träger des Rettungsdienstes
übertrug durch öffentlichrechtlichen Vertrag die Durchführung von
Notfallrettung und Krankentransport auf private Hilfsorganisationen oder
auf andere Unternehmer. Daneben konnten Unternehmer mit entsprechender
Genehmigung zur Notfallrettung oder zum Krankentransport auch einen
privaten Rettungsdienst im eigenen Namen, auf eigene Verantwortung und
auf eigene Rechnung betreiben. Die Genehmigung war zu versagen, wenn zu
erwarten war, dass durch ihren Gebrauch das öffentliche Interesse an
einem funktionsfähigen Rettungsdienst beeinträchtigt wird
(Funktionsschutzklausel).
Durch das Sächsische Gesetz über den Brandschutz, Rettungsdienst und
Katastrophenschutz (SächsBRKG), insbesondere durch den am 1. Januar 2008
in Kraft getretenen § 31 SächsBRKG, wurde für den Rettungsdienst der
Wechsel vom dualen System zum Eingliederungsmodell vollzogen. Danach ist
die Mitwirkung privater Rettungsunternehmen nur noch im Rahmen des
öffentlichen Rettungsdienstes möglich. Der öffentliche Träger des
Rettungsdienstes überträgt ihnen nach Durchführung eines
Auswahlverfahrens durch öffentlichrechtlichen Vertrag die Durchführung
der Notfallrettung und des Krankentransports. Er vereinbart mit den
Kostenträgern einheitliche Entgelte für den Rettungsdienst bzw. legt die
Gebühren durch Satzung fest. Dem öffentlichen Träger des
Rettungsdienstes obliegt ferner die Errichtung der Leitstellen, wobei es
sich in der Regel um bereichsübergreifende Einrichtungen handelt, die
Einsätze des Rettungsdienstes veranlasst und lenkt, die Feuerwehren
alarmiert, deren Einsätze unterstützt und die
Katastrophenschutzeinheiten alarmiert.
Vordringliches Ziel des neuen Gesetzes, das auch das bisherige Gesetz
über den Brandschutz und die Hilfeleistung der Feuerwehren bei
Unglücksfällen sowie das Gesetz über den Katastrophenschutz im Freistaat
Sachsen ablöste, ist es, durch eine Einheitlichkeit in Organisation und
Durchführung in allen Bereichen einen effizienten Schutz der Bevölkerung
vor Bränden, Unglücksfällen, öffentlichen Notständen und Katastrophen zu
gewährleisten.
Die hiergegen erhobenen Verfassungsbeschwerden der beiden
Beschwerdeführer, die in Sachsen private Rettungsdienstunternehmen
betreiben, hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts teilweise
als unzulässig verworfen und im Übrigen zurückgewiesen. Die angegriffene
Vorschrift verletzt die Beschwerdeführer nicht in ihren Grundrechten,
insbesondere nicht in ihrer Berufsfreiheit. Die Neuordnung des
Rettungsdienstes rechtfertigt sich aus der Verfolgung überragend
wichtiger Gemeinwohlziele.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Unzulässig ist eine der Verfassungsbeschwerden insoweit, als sie sich
auch gegen die Gestaltung des nach der neuen Regelung vorgesehenen
Auswahlverfahrens wendet, weil es der betreffenden Beschwerdeführerin
zumutbar ist, den Vergaberechtsweg vor den Fachgerichten zu beschreiten,
wenn eine für sie nachteilige Entscheidung im Auswahlverfahren ergehen
sollte.
Im Übrigen sind beide Verfassungsbeschwerden unbegründet. Der
Systemwechsel zu einem ausschließlich öffentlichen Rettungsdienst greift
zwar in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführer ein. Denn für die
Mitwirkung im öffentlichen Rettungsdienst ist nicht nur der Abschluss
eines öffentlichrechtlichen Vertrags mit dem Träger des Rettungsdienstes
erforderlich; ein Interessent muss sich vielmehr zuvor in einem
Auswahlverfahren gegen seine Mitbewerber durchgesetzt haben. Ein solches
Auswahlverfahren findet aber nur statt, wenn und soweit ein Bedarf
namentlich an Krankenkraftwagen und Notarzt-Einsatzfahrzeugen besteht.
Zudem können die privaten Unternehmer ihre Rettungsdienste nicht mehr
auf der Grundlage eigener vertraglicher Vereinbarungen mit den
Kostenträgern des Rettungsdienstes und den Krankenkassen erbringen.
Diese Eingriffe in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführer sind jedoch
gerechtfertigt. Der Gesetzgeber verfolgt mit der Neuordnung des
Rettungsdienstes legitime Gemeinwohlziele und durfte im Rahmen des ihm
zustehenden Einschätzungs- und Prognosespielraums auch davon ausgehen,
dass die angegriffene Regelung zur Erreichung dieser Ziele geeignet und
erforderlich ist.
Die mit der Neuregelung erstrebte Verbesserung des Schutzes von Leben
und Gesundheit der Bevölkerung betrifft überragend wichtige
Gemeinwohlbelange, die ohne den Eingriff in die Berufsfreiheit einer
ernsthaften Gefährdung ausgesetzt wären. Durch die Eingliederung
privater Unternehmen in den öffentlichen Rettungsdienst ist deren
Zulassung nun vom Bedarf an Krankenkraftwagen und
Notarzt-Einsatzfahrzeugen abhängig. Sie vermeidet daher das Entstehen
von Überkapazitäten, die angesichts der hohen Investitions- und
Vorhaltekosten einen Konkurrenzkampf unter den privaten
Rettungsunternehmern befürchten lassen, der die Funktionsfähigkeit des
Rettungsdienstes in empfindlicher Weise stören würde.
Außerdem durfte der Gesetzgeber annehmen, dass die vollständige
Überführung des Rettungsdienstes in öffentliche Trägerschaft zu einer
generellen Vereinheitlichung des Schutzkonzepts aus Feuerwehr,
Rettungsdienst und Katastrophenschutz beiträgt und geeignet sowie
erforderlich ist, zu einer effizienteren Durchführung von Notfallrettung
und Krankentransport beizutragen. Die Eingliederung erlaubt die
Zusammenfassung behördlicher Zuständigkeiten und Befugnisse und
gewährleistet so eine bessere Koordination der Einsätze von Feuerwehr,
Rettungsdienst und Katastrophenschutz sowie den Zugriff auf sämtliche im
Einzelfall benötigte Ressourcen sowohl bei Alltagseinsätzen als gerade
auch bei komplexen Unglücksfällen, in Großschadenslagen oder im
Katastrophenfall. Im Rahmen eines ausschließlich staatlich organisierten
Rettungsdienstes ist ferner eine flexible und einheitliche Planung der
Leitstellen und Rettungswachen möglich, die auf bestehende Genehmigungen
für private Unternehmer keine Rücksicht nehmen muss. So kann eine
flächendeckende und fachgerechte Versorgung der Bevölkerung mit
Rettungsdienstleistungen unter Vermeidung unnötiger Doppelvorhaltungen
leichter sichergestellt werden. Gerade bei größeren
bereichsübergreifenden Einsätzen oder in Großschadenslagen ist eine
schnellstmögliche und umfassende zentrale Koordinierung sämtlicher
verfügbarer Rettungsmittel und Rettungskräfte offenkundig vorteilhaft.
Die zuvor im dualen System geregelte Funktionsschutzklausel, wonach die
Zulassung privater Unternehmen nur für den Fall erlaubt war, dass
hierdurch die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes nicht
beeinträchtigt oder gefährdet wird, ist zur Verbesserung der
Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes nicht in gleich
effizienter Weise geeignet. Denn sie vermag nicht zu einer
Vereinheitlichung der Strukturen und Abläufe von Feuerwehr,
Rettungsdienst und Katastrophenschutz sowie zu einer effizienteren
Koordinierung der Rettungsdiensteinsätze beizutragen.
Die Eingriffe in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführer sind auch unter
dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit gerechtfertigt. Der Gesetzgeber
durfte davon ausgehen, dass die vollständige Eingliederung privater
Anbieter in den öffentlichen Rettungsdienst durch die verbesserte
Planbarkeit und die effizientere Koordinierung der Einsätze
kostenaufwändige Doppelvorhaltungen personeller und sächlicher
Rettungsmittel auszuschließen, zumindest aber zu reduzieren vermag. So
vermindert sich die Zahl der Leitstellen, die außerdem noch
kostengünstiger arbeiten können. Einsparpotentiale ergeben sich ferner
durch die bessere Vernetzung des Rettungsdienstes mit Feuerwehr und
Katastrophenschutz. Die organisatorische Zusammenfassung von
Notfallrettung und Krankentransport im öffentlichen Rettungsdienst trägt
ebenfalls zur Wirtschaftlichkeit des Gesamtsystems bei. Private
Unternehmer sind im Unterschied zu öffentlichen Trägern nicht gezwungen,
ihre Leistungen auch in wirtschaftlich unrentablen Gegenden anzubieten.
Der öffentliche Rettungsdienst ist zur Geringhaltung der Kosten deshalb
darauf angewiesen, dass Einnahmen aus tendenziell eher einträglichen
Krankentransporten zum Ausgleich der Aufwendungen für die Bereitstellung
eines umfassenden Rettungsdienstes und hier insbesondere zu den
Aufwendungen für die Notfallrettung beitragen.
Schließlich ist der nunmehr geregelte Systemwechsel geeignet und
erforderlich, das ebenfalls angestrebte Ziel eines transparenten und
chancengleichen Zulassungsverfahrens zu erreichen. Nach der früheren
Rechtslage bestand faktisch ein abgeschlossenes System der etablierten
Anbieter; im öffentlichen Rettungsdienst waren die Verträge mit den
Hilfsorganisationen, im privaten Rettungsdienst die Genehmigungen der
Unternehmer regelmäßig verlängert worden. Demgegenüber ist nunmehr durch
die Aufgabe der Trennung zwischen öffentlichem und privatem
Rettungsdienst erstmals ein Wettbewerb zwischen Hilfsorganisationen und
privaten Unternehmern um alle benötigten Kapazitäten zu gleichen
Konditionen eröffnet worden; alle, insbesondere auch neue Bewerber,
haben grundsätzlich die gleiche Chance, als Leistungserbringer
ausgewählt zu werden.
Im Rahmen der Gesamtabwägung ist zu beachten, dass durch die Neuregelung
den privaten Unternehmern der Zugang zur Tätigkeit im Rettungsdienst in
Sachsen nicht schlechthin verwehrt ist; sie haben nach wie vor die
Möglichkeit, sich in der Notfallrettung und im Krankentransport als
Anbieter beruflich zu betätigen. Die dennoch verbleibenden
Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit erscheinen angesichts des ihnen
gegenüber stehenden überragend wichtigen Gemeinwohlziels eines
effizienten Schutzes von Leben und Gesundheit der Bevölkerung nicht
unangemessen.
Die Neuregelung des Rettungsdienstes ist schließlich auch nicht aus
Gründen des Vertrauensschutzes verfassungsrechtlich zu beanstanden.
Durch das angegriffene Gesetz ist den Inhabern von Genehmigungen zur
Durchführung von Notfallrettung und Krankentransport eine vierjährige
Übergangszeit eingeräumt worden, während der sie ihre Unternehmen nach
der alten Rechtslage fortführen konnten. Nach Ablauf der vierjährigen
Übergangsfrist ist es den Beschwerdeführern zumutbar, sich wie alle
anderen Interessenten um den Abschluss eines solchen Vertrags in einem
transparenten und chancengleichen Auswahlverfahren zu bewerben. Einen
dauerhaften Bestandsschutz für ihre unternehmerische Tätigkeit im
Rettungsdienst können sie nicht beanspruchen. Steht wie hier die
Gesetzesintention einer unveränderten beruflichen Betätigung entgegen,
so gebietet es der Vertrauensschutz nicht, den Betroffenen die
Möglichkeit hierzu im bisherigen Umfang zu erhalten.
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