Der Beschwerdeführer hält aus religiöser Überzeugung Abtreibungen für
verwerflich. Er pflegt Protestaktionen gegen Frauenärzte zu
veranstalten, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, indem er sich in
der Nähe der jeweiligen Arztpraxis auf der Straße aufstellt, um durch
Plakate und Flugblätter auf seine Haltung zur Abtreibungsfrage
aufmerksam zu machen. Hierbei spricht er auch Passanten und
Passantinnen, insbesondere solche, die er für mögliche Patientinnen des
Frauenarztes hält, an und versucht sie zu einer Überprüfung ihrer
Haltung zur Frage der Abtreibung zu bewegen. Mehrere dieser Aktionen
waren bereits Gegenstand von Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts (vgl. nur BVerfGK 8, 89).
Im vorliegenden Fall hatte sich der Beschwerdeführer an zwei Tagen vor
der Praxis eines Münchener Frauenarztes aufgestellt, der nach den
Feststellungen der Gerichte seinerzeit im Rahmen seiner Berufsausübung
Schwangerschaftsabbrüche vornahm und hierauf auch im Internet hinwies.
Dabei verteilte der Beschwerdeführer Flugblätter, auf denen angegeben
war, der Arzt führe „rechtswidrige Abtreibungen durch, die aber der
deutsche Gesetzgeber erlaubt und nicht unter Strafe stellt“. Auch im
Internet machte der Beschwerdeführer auf einer von ihm betriebenen
Homepage den Arzt als Abtreibungsmediziner namhaft.
Dieser nahm den Beschwerdeführer daraufhin zivilrechtlich auf
Unterlassung in Anspruch. Das Landgericht München I gab der Klage statt
und verurteilte den Beschwerdeführer, es zu unterlassen, öffentlich
darauf hinzuweisen, dass der namentlich oder in anderer Weise
identifizierbar bezeichnete Kläger Abtreibungen vornehme oder dass in
seiner Praxis Abtreibungen vorgenommen würden, und des Weiteren es zu
unterlassen, Patientinnen des Klägers oder Passanten in einem Umkreis
von einem Kilometer zu dessen jeweiligen Praxisräumen anzusprechen und
wörtlich oder sinngemäß auf in der Praxis vorgenommene Abtreibungen
hinzuweisen. Mit seinen Demonstrationen habe der Beschwerdeführer
rechtswidrig in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers
eingegriffen mit der Folge, dass diesem der geltend gemachte
Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB zustehe. Das
Oberlandesgericht München wies die hiergegen gerichtete Berufung des
Beschwerdeführers zurück.
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen und die Entscheidungen
der Zivilgerichte aufgehoben und die Sache an das Landgericht
zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die dem Beschwerdeführer untersagten Äußerungen sind wahre
Tatsachenbehauptungen, die den Kläger weder in seiner besonders
geschützten Intim- noch in seiner Privatsphäre treffen, sondern
lediglich Vorgänge aus seiner Sozialsphäre benennen. Derartige
Äußerungen müssen grundsätzlich hingenommen werden und überschreiten
regelmäßig erst dann die Schwelle zur Persönlichkeitsrechtsverletzung,
wenn sie einen Persönlichkeitsschaden befürchten lassen, der außer
Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht. Eine
derart schwerwiegende Beeinträchtigung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts des Klägers zeigen die angegriffenen
Entscheidungen aber nicht in verfassungsrechtlich tragfähiger Weise auf.
Namentlich lassen sie nicht erkennen, dass dem Kläger ein umfassender
Verlust an sozialer Achtung drohe, wenn seine Bereitschaft zur Vornahme
von Schwangerschaftsabbrüchen zum Gegenstand einer öffentlichen
Erörterung gemacht wird. Hiergegen spricht, dass ihm nicht etwa eine
strafrechtlich relevante oder auch nur überhaupt gesetzlich verbotene,
sondern lediglich eine aus Sicht des Beschwerdeführers moralisch
verwerfliche Tätigkeit vorgehalten wurde, auf die zudem der Kläger
selbst ebenfalls öffentlich hinwies.
Darüber hinaus haben die Gerichte auch nicht hinreichend gewürdigt, dass
der Beschwerdeführer mit dem Thema der Schwangerschaftsabbrüche einen
Gegenstand von wesentlichem öffentlichem Interesse angesprochen hat, was
das Gewicht seines in die Abwägung einzustellenden Äußerungsinteresses
vergrößert.
Soweit die Gerichte ergänzend auf die Auswirkungen verwiesen haben, die
die streitgegenständlichen Äußerungen auf das Arzt-Patienten-Verhältnis
entfalten, können diese Erwägungen die angegriffenen Entscheidungen im
vorliegenden Fall verfassungsrechtlich gleichfalls nicht tragen.
Allerdings ist die Erwägung, dass die Patientinnen, deren Weg in die
Arztpraxis am Standort des Beschwerdeführers vorbeiführt, sich durch
dessen Aktionen gleichsam einem Spießrutenlauf ausgesetzt sehen könnten,
ein gewichtiger Gesichtspunkt. Vor dem Hintergrund, dass Art. 5 Abs. 1
GG zwar das Äußern von Meinungen schützt, nicht aber Tätigkeiten, mit
denen anderen eine Meinung - mit nötigenden Mitteln - aufgedrängt werden
soll, ist es nicht ausgeschlossen, auf diesen Gesichtspunkt und die
damit verbundene Einmischung in die rechtlich besonders geschützte
Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patientin im Einzelfall ein
verfassungsrechtlich tragfähiges Verbot von bestimmten Formen von
Protestaktionen zu stützen. Dies rechtfertigt aber jedenfalls nicht ein
so umfassendes Verbot, wie es hier in Frage steht. Auf mögliche, das
Grundrecht des Klägers aus Art. 12 Abs. 1 GG betreffende Belästigungen
von Patientinnen lässt sich weder die Untersagung stützen, in einem
Umkreis von einem Kilometer Luftlinie von der Praxis des Klägers - ohne
Rücksicht darauf, ob es sich um einen Standort handelt, den Patientinnen
des Klägers auf dem Weg zur Praxis passieren müssen oder nicht - auf die
dort durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche hinzuweisen noch gar dies
in sonstiger Weise öffentlich zu tun.
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