Im Interesse der finanziellen Stabilität der gesamten Eurozone erklärten
sich die Staaten der Euro-Gruppe auf Antrag Griechenlands im Mai 2010
bereit, im Zusammenhang mit einem dreijährigen Programm des
Internationalen Währungsfonds (IWF) erhebliche Finanzhilfen
bereitzustellen, um Griechenland zusätzlich zu einer Finanzierung durch
den Internationalen Währungsfonds (IWF) mit eigenen bilateralen Darlehen
zu unterstützen. (vgl. hierzu im Einzelnen BVerfG, Beschluss des Zweiten
Senats vom 7. Mai 2010 - 2 BvR 987/10 -, NJW 2010, S. 1586,
Pressemitteilung Nr. 30/2010 vom 8. Mai 2010).
Am 7. Mai kamen die Staats- und Regierungschefs der Euro-Gruppe 2010 in
Brüssel zusammen und vereinbarten unter anderem, dass die EU-Kommission
einen europäischen Stabilisierungsmechanismus zur Wahrung der
Finanzmarktstabilität in Europa vorschlagen sollte
(„Euro-Rettungsschirm“). Der Rat für Wirtschaft und Finanzen
(ECOFIN-Rat) beschloss daher die Schaffung eines europäischen
Stabilisierungsmechanismus, bestehend aus dem auf eine EU-Verordnung
gestützten europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM)
einerseits und aus der europäischen Finanzstabilisierungsfazilität
(EFSF), einer auf zwischenstaatlicher Vereinbarung der Mitgliedstaaten
der Euro-Gruppe beruhenden Zweckgesellschaft zur Gewährung von Darlehen
und Kreditlinien, andererseits. Auch die Europäische Zentralbank (EZB)
beteiligte sich am 10. Mai 2010 an dem neuen Schutzprogramm, indem sie
beschloss, ab sofort selbst Staatsanleihen aufzukaufen. Die Verordnung
(EU) Nr. 407/2010 des Rates vom 11. Mai 2010 zur Einführung eines
europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (ABl Nr. L 118/1) stützt
sich auf Art. 122 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union (AEUV). Danach kann einem Mitgliedstaat, der aufgrund
außergewöhnlicher Ereignisse, die sich seiner Kontrolle entziehen, von
Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten
ernstlich bedroht ist, ein finanzieller Beistand der EU gewährt werden.
Der Rat ist der Ansicht, dass die außergewöhnliche Situation darin
liege, dass die Verschärfung der weltweiten Finanzkrise für mehrere
Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe zu einer gravierenden Verschlechterung
ihrer Kreditkonditionen geführt habe, die über das hinausgehe, was sich
durch wirtschaftliche Fundamentaldaten erklären lasse. Neben der
Einführung des EFSM verpflichteten sich die Staats- und Regierungschefs
der Euro-Gruppe, über eine noch in Gründung befindliche
Zweckgesellschaft, die EFSF, finanziellen Beistand zu leisten. Deren
zukünftiger Zweck sei die Emission von Anleihen sowie die Gewährung von
Darlehen und Kreditlinien zur Deckung des Finanzierungsbedarfs von in
Schwierigkeiten befindlichen Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe unter
Auflagen. Die Garantien für die Zweckgesellschaft in Höhe von 440
Milliarden Euro werden anteilig unter den Mitgliedstaaten der
Euro-Gruppe entsprechend ihrer Beteiligung am Kapital der EZB
aufgeteilt. Zwischen den teilnehmenden Staaten der Euro-Gruppe und der
geplanten Zweckgesellschaft sollte zudem noch eine Rahmenvereinbarung
geschlossen werden, die Näheres zur Emission von Anleihen durch die
Zweckgesellschaft am Kapitalmarkt, zur Garantieerklärung der Staaten der
Euro-Gruppe sowie die Einzelheiten der Kreditausreichung regelt (vgl.
das seither mehrfach modifizierte EFSF Framework Agreement, Entwurf vom
20. Mai 2010). Entsprechend der Beteiligung Deutschlands am Kapital der
EZB sollte der deutsche Anteil an dem Garantievolumen 123 Milliarden
Euro betragen; im Falle unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedarfs
könne der Betrag um weitere 20 % überschritten werden (vgl.
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BTDrucks 17/1685, S.
1), so dass sich danach ein maximales Volumen von rund 148 Milliarden
Euro ergebe.
Um auf nationaler Ebene die Voraussetzungen für die Leistung
finanziellen Beistands über die Zweckgesellschaft (EFSF) zu schaffen,
verabschiedete der Deutsche Bundestag am 21. Mai 2010 das angegriffene
Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen
Stabilisierungsmechanismus (im Folgenden:
Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetz, BGBl I S. 627), das vom
Bundesrat noch am gleichen Tag gebilligt und am 22. Mai 2010 verkündet
wurde.
Nach Billigung des Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetzes durch den
Bundesrat hat der Beschwerdeführer am 21. Mai 2010 Verfassungsbeschwerde
wegen Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 38 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1
und Art. 2 Abs. 1 GG erhoben und den Erlass einer einstweiligen
Anordnung beantragt.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat den Antrag des
Beschwerdeführers auf Erlass der begehrten Anordnung abgelehnt. Die für
den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Folgenabwägung
ergibt, dass der Allgemeinheit schwere Nachteile drohen würden, wenn die
einstweilige Anordnung ergehe und sich die Gewährleistungsermächtigung
später als verfassungsrechtlich zulässig erweise. Der
„Euro-Rettungsschirm“ und der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB
sollen einem Vertrauensverlust in die Zahlungsfähigkeit einzelner
Staaten der Euro-Gruppe entgegenwirken. Die Bundesrepublik Deutschland
trägt im Rahmen dieser Sicherungsmaßnahmen gemäß ihrer wirtschaftlichen
Leistungskraft einen erheblichen Anteil. Würde die Bundesrepublik
Deutschland, die an den Finanzmärkten als uneingeschränkt solvent gilt,
durch den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ihre Zusagen auch
nur vorübergehend aussetzen müssen, könnte dies nach Einschätzung der
Bundesregierung bereits zu einer Vertrauensminderung an den Märkten
führen, deren Folgewirkungen nicht absehbar sind.
Diese Einschätzung der Bundesregierung wird zwar von dem
Beschwerdeführer nicht geteilt, der in den Maßnahmen gerade für die
Stabilität der europäischen Währung eher zusätzliche Risiken sieht. Das
Bundesverfassungsgericht kann aber im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes diese Frage nicht aufklären und muss dies auch nicht tun.
Bei der Beurteilung außenpolitischer Situationen, zu der hier auch die
Lage der internationalen Finanzmärkte zu rechnen ist, kommt der
Bundesregierung im gewaltenteiligen System aufgrund ihrer fachlichen
Zuständigkeit, ihrer besonderen Sachnähe und ihrer politischen
Verantwortlichkeit ein Einschätzungsvorrang zu, der vorbehaltlich
eindeutiger Widerlegung vom Bundesverfassungsgericht zu respektieren ist
(vgl. BVerfGE 97, 350 <376>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 7.
Mai 2010, a.a.O., S. 1587).
Ein auch nur vorübergehender Rückzug Deutschlands aus den
Rettungsmaßnahmen würde nicht nur das Volumen des „Euro-Rettungsschirms“
anteilig vermindern, sondern könnte nach Auffassung der Bundesregierung
die Realisierbarkeit des Rettungspaketes jedenfalls aus Sicht der
Finanzmärkte insgesamt in Frage stellen. Damit entstünden der
Allgemeinheit voraussichtlich schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile.
Sollte das mit dem Euro-Stabilisierungsmechanismus verfolgte Ziel
verfehlt werden, mithin eine möglicherweise drohende Illiquidität an
wichtigen Handelsplätzen europäischer Staatsanleihen nicht abgewendet
werden können, wäre nach Auffassung der Bundesregierung die Stabilität
der gesamten Europäischen Währungsunion gefährdet. Das
Bundesverfassungsgericht hat keine hinreichenden Anhaltspunkte, die zu
der Annahme zwingen, dass die währungs- und finanzpolitische
Einschätzung der Bundesregierung fehlerhaft ist (vgl. BVerfGE 26, 259
<264>; 29, 179 <182>; 88, 173 <181>).
Demgegenüber wiegen die Nachteile weniger schwer, die entstehen, wenn
die einstweilige Anordnung nicht erlassen wird, das Gebrauchmachen von
der Gewährleistungsermächtigung sich später aber als unzulässig erweist.
Ein wesentlicher Schaden erwächst dem Gemeinwohl nicht aus der bloßen
Möglichkeit einer Inanspruchnahme des Bundes im Eintrittsfall, also der
drohenden Notlage eines Staates der Euro-Gruppe, deren
Wahrscheinlichkeit die Bundesregierung für gering hält. Der
Beschwerdeführer hat keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen,
dass demgegenüber seine Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte,
insbesondere aus Art. 14 GG, unmittelbar gerade in Folge einer etwaigen
Übernahme von Kreditgarantien oder des Aufkaufs von Staatsanleihen durch
die EZB bereits schwer und irreversibel beeinträchtigt sein könnten.
Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, die Enttäuschung des
Rechtsvertrauens durch die von ihm behauptete Verletzung der
europäischen Verträge führe zu einer irreversiblen Schädigung der
Gemeinschaftswährung, setzt er sich damit in Widerspruch zur
Einschätzung der Bundesregierung, die das Bundesverfassungsgericht aus
den genannten Gründen zu respektieren hat.
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