Auf der Grundlage der Ende der 1990er Jahre geltenden europäischen
Verordnung (EWG) Nr. 3590/92 verfügten die Milcherzeuger über sogenannte
Referenzmengen, die jährlich produziert werden durften; bei
Überschreitung der Referenzmengen wurde eine Abgabe in Höhe von 115 %
des Milchpreises erhoben. „Zuviellieferungen“ einzelner Erzeuger durften
grundsätzlich mit „Zuweniglieferungen“ anderer Hersteller verrechnet
(saldiert) werden. Eine Saldierung im Verhältnis zwischen Erzeugern in
den alten und neuen Bundesländern war aber durch § 7b der auf der
Grundlage des Markordnungsgesetzes (MOG) vom Bundesministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten erlassenen
Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGV) ausgeschlossen. Auf die Abgabe
waren nach § 12 Abs. 1 Satz 1 MOG die Bestimmungen der Abgabenordnung
(AO) einschließlich der Strafbestimmungen anzuwenden.
Die Beschwerdeführer - Milcherzeuger aus Hessen und Thüringen - sind auf
der Grundlage von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1
Satz 1 MOG zu Freiheitsstrafen verurteilt worden, weil sie sich daran
beteiligten, in den alten Ländern erzeugte Milch als Milch aus den neuen
Ländern auszugeben, um entgegen § 7b MGV von ungenutzten Referenzmengen
aus den neuen Ländern zu profitieren.
Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
gegen die Verurteilungen gerichteten Verfassungsbeschwerden nicht zur
Entscheidung angenommen. Die den Verurteilungen zugrunde liegenden
Vorschriften sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
Die für die Verurteilung der Beschwerdeführer relevanten Vorschriften
des materiellen Abgabenrechts waren - soweit sie der Nachprüfung durch
das Bundesverfassungsgericht unterliegen - formell und materiell
verfassungsgemäß. Insbesondere beinhaltete § 7b MGV keinen Eingriff in
Art. 12 Abs. 1 oder Art. 14 Abs. 1 GG und führte auch nicht zu einer
verfassungsrechtlich unzulässigen Ungleichbehandlung.
Milch-Referenzmengen, die westdeutschen Milcherzeugern aufgrund der
Milch-Garantiemengen-Verordnung 1984 ursprünglich zugeteilt worden
waren, wurden durch das Saldierungsverbot nicht berührt; soweit die
„eigene“, zugeteilte Referenzmenge reichte, durften westdeutsche
Milcherzeuger auch nach Einführung des Saldierungsverbotes weiterhin
abgabefrei Milch liefern. Die Vorschrift beruhte auf einer hinreichend
bestimmten Ermächtigungsgrundlage und war auch nicht wegen Verstoßes
gegen das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG unwirksam.
Der Straftatbestand des § 370 Abs. 1 AO in Verbindung mit § 12 Abs. 1
MOG genügte den An-forderungen des strafrechtlichen
Bestimmtheitsgrundsatzes aus Art. 103 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 GG. Dies
gilt auch, soweit daraus die Strafbarkeit der Hinterziehung der
zusätzlichen Abgabe auf Milch nach der Verordnung Nr. 3950/92 in den
Milchwirtschaftsjahren 1996/1997 bis 1998/1999 folgte. Insbesondere
waren für die in Betracht kommenden Adressaten der Norm - nämlich
Landwirte und andere beruflich mit der Milcherzeugung und der
entsprechenden Abgabenerhebung in Berührung kommenden Personen - die
Strafbarkeitsvoraussetzungen in hinreichender Weise erkennbar. Wer das
Quotensystem nach Marktordnungsgesetz, Verordnung Nr. 3950/92 und
Milch-Garantiemengen-Verordnung nicht wenigstens der Sache nach kannte,
stand von vornherein nicht in Gefahr, sich wegen unlauterer Beteiligung
daran strafbar zu machen.
Die Verweisung auf das materielle Abgabenrecht führte auch nicht zu
einem Verlust der parla-mentarischen Verantwortung für die Entscheidung
über die Grenzen der Strafbarkeit. Auf der Rechtsfolgenseite waren Art
und Maß der Strafe abschließend im formellen Gesetz festgelegt. Aber
auch auf der Tatbestandsseite gingen die dem Gemeinschaftsgesetzgeber
und dem nationalen Verordnungsgeber verbleibenden Einflussmöglichkeiten
über eine verfassungsrechtlich zulässige Spezi-fizierung jedenfalls
nicht hinaus. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erschöpft sich nicht in einer bloßen
Weiterverweisung auf das Abgabenrecht, sondern lässt somit einen
bestimmten Unrechtstyp deutlich erkennen, indem er die tatbestandliche
Handlung („wer den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich
erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht“) wie
den Taterfolg („und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen
anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt“) in einer
allgemeinverständlichen, einer Parallelwertung in der Laiensphäre
zugänglichen Weise ausführt.
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