Der Bundespräsident Horst Köhler hat heute dem Präsidenten des
Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier in
Berlin nach Ablauf der 12-jährigen Amtszeit die Entlassungsurkunde
ausgehändigt. Damit endet die Amtszeit Papiers als Präsident,
Vorsitzender des Ersten Senats und Richter des
Bundesverfassungsgerichts. Gleichzeitig überreichte der Bundespräsident
drei Ernennungsurkunden. Neuer Präsident des Bundesverfassungsgerichts
ist der bisherige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr.
Andreas Voßkuhle. Nachfolger des Vizepräsidenten und Vorsitzender des
Ersten Senats wird Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Ferdinand
Kirchhof. Die freiwerdende Richterstelle des bisherigen Präsidenten im
Ersten Senat wird durch Prof. Dr. Andreas Paulus von der Universität
Göttingen besetzt.
Hans-Jürgen Papier wurde am 6. Juli 1943 in Berlin geboren. Er ist
verheiratet und hat zwei Kinder. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft
und dem Ersten juristischen Staatsexamen wurde er in Berlin mit einer
Arbeit über die "Forderungsverletzung im Öffentlichen Recht" promoviert.
Das Zweite Staatsexamen legte er 1973 ebenfalls in Berlin ab und
habilitierte sich dort mit einer Schrift zu dem Thema: "Die
finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte und das grundgesetzliche
Demokratieprinzip: zugleich ein Beitrag zur Lehre von den Rechtsformen
der Grundrechtseingriffe". Im Jahr 1974 erhielt Papier einen Ruf als
Ordentlicher Professor an die Universität Bielefeld, wo er bis 1991
einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht bekleidet hatte. Gleichzeitig war
er von 1977 bis 1987 Richter im Nebenamt am Oberverwaltungsgericht des
Landes Nordrhein-Westfalen in Münster. Von 1991 bis 1998 saß Papier
ehrenamtlich der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens
der Parteien und Massenorganisationen der DDR vor. 1992 folgte er einem
Ruf an die Ludwigs-Maximilians-Universität in München auf den Lehrstuhl
für Deutsches und Bayerisches Staats- und Verwaltungsrecht sowie
Öffentliches Sozialrecht.
Hans-Jürgen Papier übte mehrere weitere Neben- und Ehrenämter aus. Von
1981 bis 1993 war er Studienleiter der Verwaltungsakademie
Ostwestfalen-Lippe, von 1994 bis 1998 Mitglied der Kommission der
Bundesrepublik Deutschland zum Versorgungsruhens- und
Entschädigungsrentengesetz und von 1996 bis 1998 Stellvertretender
Vorsitzender der Ethik-Kommission der Bayerischen Landesärztekammer.
Am 27. Februar 1998 wurde Papier zum Vizepräsidenten und Vorsitzenden
des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts und am 10. April 2002
zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts ernannt. Im Jahr 2003
verlieh ihm die Universität Thessaloniki und im Jahr 2006 die Deutsche
Hochschule für Verwaltungswissenschaften die Ehrendoktorwürde.
Auch nach Beendigung seiner Tätigkeit am Bundesverfassungsgericht wird
Hans-Jürgen Papier als Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität
München lehren. Zusätzlich wird er ehrenamtlich den Vorsitz der Kammer
für Öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland
(EKD) übernehmen.
In seiner Eigenschaft als Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat
sich Hans-Jürgen Papier auch zu Grundsatzfragen des Verfassungsrechts
und der Verfassungspolitik geäußert, etwa zu Fragen der
Sozialstaatlichkeit, der Bundesstaatlichkeit und des Parlamentarismus.
Gleichzeitig hat Hans-Jürgen Papier zahlreiche wissenschaftliche
Abhandlungen veröffentlicht und an Kommentaren und Sammelwerken als
Herausgeber und Autor mitgewirkt: Er ist unter anderem Mitherausgeber
und Mitautor des mehrbändigen Handbuchs der Grundrechte in Deutschland
und Europa sowie des Grundgesetzkommentars Maunz / Dürig.
In der Amtszeit Hans-Jürgen Papiers hat das Bundesverfassungsgericht
viele Kontakte mit ausländischen Verfassungsgerichten und Obersten
Gerichtshöfen gepflegt. Es finden - von ihm mitinitiiert - regelmäßige
Treffen statt, an denen neben anderen auch der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte und der Gerichtshof der Europäischen Union
teilnehmen. In seine Amtszeit als Präsident fielen die Realisierung des
Erweiterungsbaus des Bundesverfassungsgerichts und wesentliche
Weichenstellungen für die ab dem Jahr 2011 anstehenden
Sanierungsmaßnahmen des gesamten Gebäudekomplexes.
Unter dem Vorsitz von Hans-Jürgen Papier hat der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts auf verschiedensten Gebieten Entscheidungen
zum Grundrechtsschutz getroffen. Exemplarisch genannt seien:
- Urteil zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Bayerischen
Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes vom 27. Oktober 1998, Az. 1 BvR
2306, 2314/96 u.a., BVerfGE 98, 265;
- Urteil betreffend die Veröffentlichung von Fotografien aus dem
Alltags- und Privatleben Prominenter - Prinzessin Caroline von Monaco -
vom 15. Dezember 1999, Az. 1 BvR 653/96, BVerfGE 101, 361;
- Urteil betreffend das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz
(EALG) über die Wiedergutmachung von Enteignungsunrecht vom 22.
November 2000, Az. 1 BvR 2307/94 u.a., BVerfGE 102, 254;
- Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses von
Familiendoppelnamen vom 30. Januar 2002, Az. 1 BvL 23/96,
BVerfGE 104, 373;
- Beschluss zur Rechtsstellung des (mutmaßlichen) leiblichen, aber nicht
rechtlichen Vaters (so genannter biologischer Vater) vom 9. April 2003,
Az. 1 BvR 1493/96, 1724/01, BVerfGE 108, 82;
- Urteil zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der akustischen
Wohnraumüberwachung zu Strafverfolgungszwecken ("Großer Lauschangriff")
vom 3. März 2004, Az. 1 BvR 2378/98, 1084/99, BVerfGE 109, 279;
- Urteil zur Nichtigkeit der Abschussermächtigung im
Luftsicherheitsgesetz vom 15. Februar 2006, Az. 1 BvR 357/05,
BVerfGE 115, 118;
- Beschluss zur teilweisen Unvereinbarkeit des § 19 Abs. 1
Erbschaftsteuergesetz mit Art. 3 Abs. 1 GG vom 7. November 2006, Az.
1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1;
- Beschluss zu den Grenzen der Kunstfreiheit - Roman Esra - vom 13. Juni
2007, Az. 1 BvR 1783/05, BVerfGE 119, 1;
- Beschluss zur Reichweite des Grundrechts auf Schutz der Persönlichkeit
bei der Bildberichterstattung über das Privatleben Prominenter -
Caroline von Hannover - vom 26. Februar 2008, Az. 1 BvR 1602, 1606,
1626/07, BVerfGE 120, 180;
- Urteil zu verfassungsrechtlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit des
staatlichen Zugriffs auf informationstechnische Systeme
("Online-Durchsuchungen") vom 27. Februar 2008, Az. 1 BvR 370, 595/07,
BVerfGE 120, 274;
- Urteil zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Gesundheitsreform 2007
vom 10. Juni 2009, Az. 1 BvR 706/08 u.a., BVerfGE 123, 186;
- Urteil zu den Ladenöffnungszeiten in Berlin vom 1. Dezember 2009, Az.
1 BvR 2857/07 u.a.;
- Urteil zur Verfassungswidrigkeit der Regelleistungen nach SGB II
("Hartz IV-Gesetz") vom 9. Februar 2010, Az. 1 BvL 1/09 u.a.;
- Urteil zur Verfassungswidrigkeit der konkreten Ausgestaltung der
Vorratsdatenspeicherung vom 2. März 2010, Az. 1 BvR 256/08 u.a.
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