Von 1977 bis Ende 2000 wurde das Einkommen der Körperschaften nach dem
Körperschaftsteueranrechnungsverfahren besteuert (§§ 27 ff. KStG
1977/1999). Es sah auf der Ebene der Körperschaft zwei Steuersätze vor:
Der von der Körperschaft einbehaltene und nicht ausgeschüttete Gewinn
wurde zunächst mit einem Steuersatz von (zuletzt) 40% besteuert. Wurde
der Gewinn später ausgeschüttet, reduzierte sich die Körperschaftsteuer
auf 30% mit der Folge, dass die Körperschaft den Differenzbetrag
erstattet bekam. Mit Rücksicht auf diesen gespaltenen
Körperschaftsteuersatz entstand im Fall der Gewinneinbehaltung bis zum
Zeitpunkt der Ausschüttung auf der Ebene der Gesellschaft ein
Körperschaftsteuerminderungspotential, das sich nach der Höhe dieser
Steuersatzdifferenz bestimmte und einen entsprechenden Vermögenswert
repräsentierte. Bedingt durch frühere Änderungen des
Körperschaftsteuersatzes kam es bei den Körperschaften zu
unterschiedlichen Teilbeträgen von
Körperschaftsteuerminderungspotential, das bis zur jeweiligen
Ausschüttung in einer jährlichen Gliederungsrechnung abgebildet werden
musste. Auf der Ebene der Anteilseigner wurde die Gewinnausschüttung mit
deren persönlichen Steuersatz belastet, zugleich aber die von dem
Unternehmen hierauf gezahlte Körperschaftsteuer angerechnet.
Der im Jahr 2001 vollzogene Wechsel im System der Ertragsbesteuerung der
Körperschaften vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren führte dazu,
dass auf der Ebene der Gesellschaft für einbehaltene und ausgeschüttete
Gewinne nur noch eine einheitliche und endgültige Körperschaftsteuer in
Höhe von 25% erhoben wird. Auf der Ebene des Anteilseigners soweit er
eine natürliche Person ist - wurde der ausgeschüttete Kapitalertrag nur
zur Hälfte versteuert.
Den Übergang vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren gestaltete der
Gesetzgeber durch die neu mit dem Steuersenkungsgesetz in das
Körperschaftsteuergesetz eingefügten §§ 36 - 40 KStG in der Weise, dass
er die unterschiedlich mit Körperschaftsteuer belasteten Teilbeträge des
Eigenkapitals in mehreren Umrechnungsschritten zusammenfasste und
umgliederte. Das bisher vorhandene Körperschaftsteuerminderungspotential
wurde aus Vereinfachungsgründen in ein einheitliches
Körperschaftsteuerguthaben umgewandelt, das während einer Übergangszeit
von ursprünglich 15 Jahren schrittweise abgebaut werden konnte. Die
Umgliederungsregeln sollten nach dem Willen des Gesetzgebers
sicherstellen, dass das unter Geltung des Anrechnungsverfahrens
entstandene Körperschaftsteuerminderungspotential im Ergebnis erhalten
blieb und auch noch nach dem Systemwechsel verwertet werden konnte.
Im Fall der Beschwerdeführerin, einer Aktiengesellschaft, führte diese
Umgliederung zu einem Verlust von Körperschaftsteuerminderungspotential
in Höhe von rund 1 Mio. DM. Die von der Beschwerdeführerin dagegen
erhobene Klage blieb in allen Instanzen erfolglos. Der Bundesfinanzhof
war in dem angegriffenen letztinstanzlichen Urteil
verfassungsrechtlichen Angriffen der Beschwerdeführerin gegen die
Übergangsregelungen vor allem mit dem Hinweis darauf entgegengetreten,
dass die von einem Verlust an Körperschaftsteuerminderungspotential
bedrohten Unternehmen dem durch entsprechende steuerliche Gestaltung
hätten entgehen können. Der Gesetzgeber habe sich deshalb mit den
infrage stehenden Bestimmungen noch im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit
gehalten.
Mit ihrer gegen diese Entscheidung erhobenen Verfassungsbeschwerde rügte
die Beschwerdeführerin infolge der Anwendung der Übergangsregelungen
eine Verletzung ihrer Grundrechte namentlich aus Art. 2 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 14 Abs. 1 sowie, der Sache
nach darin enthalten, aus Art. 3 Abs. 1 GG.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat der
Verfassungsbeschwerde stattgegeben. Die für die Umgliederung
einschlägige Regelung des § 36 Abs. 3 und 4 KStG in der Fassung des
Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000 ist mit dem allgemeinen
Gleichheitssatz nicht vereinbar. Dem Gesetzgeber wird aufgegeben,
spätestens mit Wirkung zum 1. Januar 2011 für die noch nicht
bestandskräftig abgeschlossenen Verfahren eine Neuregelung zu treffen.
Diese hat den Erhalt des im Zeitpunkt des Systemwechsels vorhandenen und
realisierbaren Körperschaftsteuerminderungspotentials gleichheitsgerecht
sicherzustellen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Für die bei dem Wechsel vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren in
der Folge der streitigen Umgliederungsregelungen entstehende ungleiche
Körperschaftsteuerbelastung zwischen den Kapitalgesellschaften, deren
Körperschaftsteuerminderungspotential – wie im Regelfall – bei der
Umgliederung in vollem Umfang erhalten blieb, und jenen wie der
Beschwerdeführerin, die allein durch die technische Ausgestaltung der
Umgliederung des Körperschaftsteuerminderungspotentials empfindliche
Verluste erlitten, gibt es keinen sachlichen Grund. Zwar hat der
Gesetzgeber mit der Umgliederung das legitime Ziel eines einfachen und
zügigen Systemwechsels verfolgt. Sämtliche mit den angegriffenen
Übergangsregelungen verfolgten Ziele hätte der Gesetzgeber jedoch mit
einer schonenderen Ausgestaltung der Übergangsvorschriften dadurch
erreichen können, dass er das Körperschaftsteuerguthaben nach § 37 KStG
unmittelbar aus den zum Stichtag vorhandenen Teilbeträgen des mit
Körperschaftsteuer belasteten Eigenkapitals gebildet hätte, ohne zuvor
die für den Verlust ursächliche Umgliederung zwischen unterschiedlich
belasteten Teilbeträgen nach § 36 Abs. 3 KStG vorzunehmen. Auf diese
Weise wäre das in der Übergangszeit vorhandene
Körperschaftsteuerguthaben ungeschmälert in das neue Recht überführt
worden. Insbesondere die vom Gesetzgeber im Rahmen des Systemwechsels
beabsichtigte Vereinfachung wäre dadurch nicht beeinträchtigt und die
Zügigkeit des Systemwechsels nicht infrage gestellt worden.
Keine Rolle spielt, dass bereits in früheren Jahren unter Geltung des
Anrechnungsverfahrens Umgliederungen von Teilbeträgen des Eigenkapitals
in der jetzigen Regelung vergleichbarer Weise durchgeführt worden waren.
Denn die früher verwendeten Umgliederungsregelungen dienten im
Wesentlichen dem legitimen gesetzgeberischen Ziel einer Reduzierung der
Teilbeträge bei einem Fortbestand des Anrechnungsverfahrens. Sie waren
zudem mit einer mehrjährigen Übergangsfrist versehen. Die Unternehmen
hatten daher ausreichend Zeit, ungünstige Umgliederungsergebnisse durch
rechtzeitige Gewinnausschüttungen zu vermeiden.
Den in den Umgliederungsvorschriften angelegten Gleichheitsverstoß
vermochten die den Betroffenen offen gestandenen Ausweichmöglichkeiten
in Gestalt des „Schütt-aus-Leg-ein-Verfahrens“ oder des
„Leg-ein-Hol-zurück-Verfahrens“ nicht zu rechtfertigen. Die Verweisung
auf eine solche Gestaltungsmöglichkeit brauchten sich die von der
Umgliederung betroffenen Körperschaften schon deshalb nicht
entgegenhalten zu lassen, weil dem Gesetzgeber selbst eine die Belastung
vermeidende Gesetzesgestaltung ohne Weiteres möglich gewesen war. Zudem
handelte es sich bei dem „Schütt-aus-Leg-ein-Verfahren“ und dem
„Leg-ein-Hol-zurück-Verfahren“ nicht um einfach durchzuführende
Gestaltungen, zumal sie mit nicht unerheblichen finanziellen Risiken
verbunden waren.
Zur Rechtfertigung des durch die Umgliederung entstandenen Verlusts von
Körperschaftsteuerminderungspotential kann schließlich auch nicht in der
Art eines Vorteilsausgleichs darauf abgestellt werden, dass das nach dem
Systemwechsel geltende Halbeinkünfteverfahren in einer Gesamtschau der
Belastung von Gesellschaft und Gesellschafter insgesamt zu steuerlichen
Vorteilen führt. Denn die Vorteile des Halbeinkünfteverfahrens kommen
allen Unternehmern und Anteilseignern in gleicher Weise zugute. Die
Verluste an Körperschaftsteuerminderungspotential betreffen hingegen nur
eine bestimmte Gruppe von ihnen.
Der Erste Senat hat dem Gesetzgeber aufgegeben, spätestens mit Wirkung
zum 1. Januar 2011 für die noch nicht bestandskräftig abgeschlossenen
Verfahren eine Neuregelung zu treffen. Diese hat den Erhalt des im
Zeitpunkt des Systemwechsels vorhandenen und realisierbaren
Körperschaftsteuerminderungspotentials gleichheitsgerecht
sicherzustellen.
Die Entscheidung ist mit 6:2 Stimmen ergangen.
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