Im Juli 2005 trat das novellierte Gesetz über die Elektrizitäts- und
Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz - EnWG) in Kraft. Dieses Gesetz
ersetzte europäischen Richtlinien folgend das unter dem
Energiewirtschaftsgesetz 1998 entwickelte Prinzip eines verhandelten
Netzzugangs auf der Basis einer privatrechtlich ausgehandelten
Verbändevereinbarung durch ein System eines staatlich regulierten
Netzzugangs. Entgelte, die andere Stromanbieter für den Netzzugang
zahlen müssen, bedürfen nunmehr nach § 23a Abs. 1 EnWG einer vorherigen
Genehmigung durch die zuständige Regulierungsbehörde (sog.
ex-ante-Kontrolle). Die Genehmigung ist gemäß § 23a Abs. 2 Satz 1 EnWG
zu erteilen, soweit die Entgelte den Anforderungen des
Energiewirtschaftsgesetzes und der Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV)
entsprechen. Nach dem - inzwischen außer Kraft getretenen - § 118 Abs.
1b EnWG hatten Betreiber von Elektrizitätsversorgungsnetzen erstmals
drei Monate nach Inkrafttreten der Stromnetzentgeltverordnung am 29.
Juli 2005 und damit spätestens am 29. Oktober 2005 einen
Genehmigungsantrag zu stellen. Für den Übergangszeitraum bis zur
Entscheidung der Regulierungsbehörde über den erstmaligen Antrag nach
den neuen gesetzlichen Regelungen galt, dass bei rechtzeitiger
Antragstellung die vertraglich vereinbarten regelmäßig höheren
Netzentgelte bis zur Entscheidung über den Antrag „beibehalten“ werden
konnten (§ 118 Abs. 1b Satz 2, § 23a Abs. 5 EnWG).
Die Beschwerdeführerin betreibt in Form einer GmbH in verschiedenen
Bundesländern ein Stromübertragungsnetz. Die Anteile an der
Beschwerdeführerin werden zu 100 % von einer Aktiengesellschaft (AG)
gehalten. Deren Anteile sind zu 100 % im Eigentum einer Gesellschaft mit
Sitz in Stockholm, die vollständig dem schwedischen Staat gehört.
Die Beschwerdeführerin beantragte im Oktober 2005 die Genehmigung von
Netznutzungsentgelten nach § 23a EnWG. Diesem Antrag entsprach die
Bundesnetzagentur im Juni 2006 nur teilweise und kürzte die beantragten
Netzentgelte um knapp 18 %. Zugleich gab sie der Beschwerdeführerin auf,
die in der Zeit vom 1. November 2005 bis zum 30. Juni 2006 erzielten
Mehrerlöse für den Netzzugang zu berechnen und kostenmindernd in der
nächsten Kalkulationsperiode (ab 1. Januar 2007) zu berücksichtigen
(sog. Mehrerlösabschöpfung oder Mehrerlössaldierung). Dabei ging die
Bundesnetzagentur von Mehrerlösen im Umfang von 67 Millionen € aus. Auf
die Beschwerde der Beschwerdeführerin hob das Oberlandesgericht die
Auflage zur Saldierung der Mehrerlöse auf. Mit Beschluss vom 14. August
2008 gab der Bundesgerichtshof der Rechtsbeschwerde der
Bundesnetzagentur statt und hob den Beschluss des Oberlandesgerichts
auf, soweit dieser die Anordnung der Mehrerlössaldierung aufgehoben
hatte. Dagegen hat die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde erhoben
und eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1
und Art. 14 GG gerügt.
Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Ob sich die
Beschwerdeführerin als eine juristische Person mit Sitz im Inland, deren
Anteile jedoch letztlich vollständig vom schwedischen Staat gehalten
werden, auf die von ihr geltend gemachten Grundrechte berufen kann,
konnte offen bleiben. Denn die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls
unbegründet, weil die Beschwerdeführerin durch die angegriffene
Entscheidung nicht in etwaigen Grundrechten verletzt wird. Die
Entscheidung trägt dem Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG
Rechnung und hält auch inhaltlich den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1
GG stand. Darüber hinaus verstößt sie nicht gegen das rechtsstaatliche
Rückwirkungsverbot und den Grundsatz des Vertrauensschutzes.
Die Anordnung der nachträglichen Mehrerlössaldierung, die durch die
angegriffene Entscheidung des Bundesgerichtshofs bestätigt wird, greift
in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ein. Der Eingriff in die
Berufsfreiheit ist jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Eine ausdrückliche Regelung zur Saldierung des im Zeitraum zwischen
Antragstellung und Genehmigungserteilung erzielten Mehrerlöses enthält
weder das Energiewirtschaftsgesetz noch die auf der Grundlage von § 24
EnWG ergangene Stromnetzentgeltverordnung. Dies machen sowohl die hier
zugrunde liegende Entscheidung der Bundesnetzagentur als auch der
angegriffene Beschluss des Bundesgerichtshofs deutlich, indem diese auf
die Systematik der einschlägigen Normen abstellen und letztlich auf eine
entsprechende Anwendung der Stromnetzentgeltverordnung zurückgreifen.
Auch wenn eine rückwirkende Mehrerlösabschöpfung im juristischen
Schrifttum mehrheitlich wegen des Fehlens einer entsprechenden
Ermächtigungsgrundlage als unzulässig angesehen wird, bewegt sich der
Bundesgerichtshof noch im Rahmen anerkannter Methoden der Rechtsfindung,
wenn er die rückwirkende Mehrerlössaldierung auf eine analoge Anwendung
der §§ 9, 11 StromNEV stützt und die analoge Heranziehung dieser
Vorschriften aus dem Regelungszusammenhang der §§ 21, 23a Abs. 5 Satz 1,
§ 118 Abs. 1b EnWG und § 32 Abs. 2 StromNEV herleitet. Indem der
Bundesgerichtshof insbesondere den §§ 21, 23a Abs. 5 EnWG und § 32 Abs.
2 StromNEV entnimmt, dass die Netzbetreiber auch im Übergangszeitraum an
die materiellen Entgeltgrundsätze des § 21 EnWG gebunden seien und
darüber hinausgehende Mehrerlöse nach §§ 9, 11 StromNEV zu saldieren
hätten, entwickelt er einen rechtlichen Ansatz, der im
Energiewirtschaftsgesetz angelegt ist. Es handelt sich nicht um eine
Rechtsfindung, die sich vom Gesetz derart weit löst, dass sie nicht mehr
mit dem Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar wäre.
Das der Entscheidung zugrunde liegende Normverständnis, wonach auch im
Übergangszeitraum schon die materiellen Anforderungen an die
Netzentgeltbestimmung gemäß § 21 EnWG maßgeblich sind, widerspricht
nicht der gesetzgeberischen Grundentscheidung. Gleiches gilt für die
darauf aufbauende Annahme, das Energiewirtschaftsgesetz sei im Hinblick
auf die während des Übergangszeitraums erzielten Mehrerlöse lückenhaft
und deshalb über eine analoge Anwendung der §§ 9, 11 StromNEV zu
ergänzen.
Die Entscheidung hält auch inhaltlich den Anforderungen des Art. 12 Abs.
1 GG stand. Die nach den Grundsätzen des § 21 EnWG regulierte
Entgeltbestimmung dient in Umsetzung europarechtlicher Vorgaben der
Öffnung des Netzzugangs für Dritte und damit der Förderung des
Wettbewerbs, also vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls. Die durch die
angegriffene Entscheidung bestätigte Mehrerlössaldierung ist auch
geeignet und erforderlich, dieses Ziel zu erreichen. Indem die nach
Maßgabe der materiellen Regelungen zuviel vereinnahmten
Netzentgeltanteile in der nächsten Kalkulationsperiode mindernd in
Ansatz zu bringen sind, wird den Grundsätzen des § 21 EnWG zur
Wirksamkeit verholfen. Die Regelung führt dazu, dass die Umstellung auf
das System der regulierten Netzentgelte zu einem möglichst frühen
Zeitpunkt wirksam wird und für alle Netzbetreiber einheitlich ausfällt.
Sie verhindert so Ungleichbehandlungen und Wettbewerbsverzerrungen. Ein
gleich wirksames milderes Mittel zur Durchsetzung des beschriebenen
Ziels ist nicht ersichtlich. Die getroffene Regelung steht zu dem
angestrebten Zweck schließlich auch nicht außer Verhältnis. Dies gilt
insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach den Grundsätzen des § 21
Abs. 2 EnWG die Netzentgelte kostenbezogen zu ermitteln sind und die
Netzentgeltregulierung damit trotz bestimmter Einschränkungen
grundsätzlich dem Kostendeckungsprinzip folgt.
Die angegriffene Entscheidung verstößt auch nicht gegen das
verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot oder den rechtsstaatlichen
Grundsatz des Vertrauensschutzes. Die verfassungsrechtlichen Grundsätze
zum Rückwirkungsverbot wurden zur Problematik der Rückwirkung von
Gesetzen entwickelt. Inwieweit sie auch auf die richterliche
Rechtsfortbildung Anwendung finden, bedarf vorliegend keiner
grundsätzlichen Klärung.
Die Beschwerdeführerin wird durch die angegriffene Entscheidung auch
nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG verletzt. Nach der
verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegung des
Bundesgerichtshofs standen die von der Beschwerdeführerin im
Übergangszeitraum vereinnahmten Netzentgelte der Beschwerdeführerin von
vornherein nur in dem Umfang zu, der sich aus den materiellen
Entgeltregelungen des Energiewirtschaftsgesetzes ergibt.
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