Am 1. August 1998 trat in der Bundesrepublik Deutschland das
Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz (EAEG) in Kraft.
Dieses verpflichtet Einlagenkreditinstitute sowie Kreditinstitute und
andere Finanzdienstleistungsinstitute mit bestimmten Erlaubnissen unter
den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen, ihre Einlagen und
Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften durch die Zugehörigkeit zu
einer Entschädigungseinrichtung zu sichern. Hierzu unterscheidet das
Gesetz drei verschiedene Institutsgruppen, die entweder der
Entschädigungseinrichtung deutscher Banken GmbH oder der
Entschädigungseinrichtung des Bundesverbandes Öffentlicher Banken
Deutschlands GmbH oder der Entschädigungseinrichtung der
Wertpapierhandelsunternehmen zugeordnet sind. Die
Entschädigungseinrichtungen haben die Aufgabe, die Beiträge der ihnen
zugeordneten Institute einzuziehen, die Mittel anzulegen und im
Entschädigungsfall die Gläubiger für nicht zurückgezahlte Einlagen oder
für nicht erfüllte Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften zu
entschädigen. Die Mittel zur Finanzierung der Entschädigung werden nach
dem Kostendeckungsprinzip durch Beiträge der Institute erbracht, die der
Entschädigungseinrichtung zugeordnet sind. Das Gesetz unterscheidet
zwischen Jahresbeiträgen, Einmalzahlungen erstmals zugeordneter
Institute, den Erstbeiträgen sowie den Sonderbeiträgen. Nach den
gesetzlichen Bestimmungen hat die Entschädigungseinrichtung
Sonderbeiträge zu erheben und Kredite aufzunehmen, wenn dies zur
Durchführung eines Entschädigungsverfahrens erforderlich ist. Auf der
Grundlage dieses Gesetzes regelt die Verordnung über die Beiträge zu der
Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen bei der
Kreditanstalt für Wiederaufbau (BeitragsVO), die Höhe der abzuführenden
Beiträge und Einmaleinzahlungen.
Die gesetzlichen und verordnungsrechtlichen Vorschriften zur
Beitragserhebung, die in den für die Jahre 1999 bis 2001 geltenden
Fassungen im Verfahren der Verfassungsbeschwerde maßgeblich waren,
wurden zuletzt im August 2009 erheblich modifiziert. Neben der Erhöhung
des Entschädigungsanspruchs des Anlegers und einer Beschleunigung der
Auszahlung der Entschädigungsleistungen hat der Gesetzgeber die
Regelungen zur Erhebung der Sonderbeiträge konkretisiert. Die
grundsätzliche Risikoverteilung durch Zuordnung der Institute zu
unterschiedlichen Entschädigungseinrichtungen mit jeweils voneinander
getrennten Entschädigungsaufgaben ist jedoch unverändert geblieben.
Die Beschwerdeführerin ist eine Aktiengesellschaft, die sowohl börsliche
als auch außerbörsliche Wertpapiergeschäfte betreibt und der
Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen zugeordnet
ist. Gegen die von der Entschädigungseinrichtung der
Wertpapierhandelsunternehmen festgesetzten Jahresbeiträge für die Jahre
1999, 2000 und 2001 legte sie Widersprüche ein, die das
Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen jeweils zurückwies. Die Klage und
die Revsion zum Bundesverwaltungsgericht gegen diese Bescheide blieben
erfolglos. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin
insbesondere, dass es sich bei den Jahresbeiträgen nach dem
Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz um
verfassungswidrige Sonderabgaben handele.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die teilweise
zulässige Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen. Die Beschwerdeführerin
ist durch die Erhebung der Jahresbeiträge nach § 8 Abs. 2, 3 EAEG in
Verbindung mit der Beitragsverordnung nicht in ihrem Grundrecht auf
freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) verletzt. Das Gesetz greift
zwar in den Schutzbereich dieses Grundrechts ein, die Erhebung dieser
Abgabe erfüllt aber die strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen
einer zulässigen Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen die
gesetzliche Ermächtigung zur Erhebung von Sonderbeiträgen nach § 8 Abs.
2 Satz 3, Abs. 3 Satz 2 EAEG (2001) in Verbindung mit § 3 BeitragsVO
(2000) richtet, weil die Beschwerdeführerin insoweit nicht beschwert und
die Verfassungsbeschwerde darüber hinaus auch verfristet ist. Soweit die
Beschwerdeführerin die Verfassungswidrigkeit der Erhebung der
Jahresbeiträge nach § 8 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 EAEG iVm §§ 1, 2
BeitragsVO rügt, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.
Unbeschadet der damit verbundenen Begrenzung der zulässigen
Verfassungsbeschwerde auf die Erhebung von Jahresbeiträgen ist das
Grundkonzept der Risikozuweisung nach dem Einlagensicherungs- und
Anlegerentschädigungsgesetz in die verfassungsrechtliche Würdigung der
Jahresbeiträge einzubeziehen. Schon die Belastung mit Jahresbeiträgen
ist Ausdruck einer spezifischen Risikozuweisung an die
Abgabepflichtigen. Mit der Zuordnung zur Entschädigungseinrichtung für
Institute nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EAEG („andere Institute“) wird
die Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 EAEG zwar in noch unbestimmter
Höhe, aber dem Grunde nach für Entschädigungsfälle innerhalb der Gruppe
der der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen bei
der Kreditanstalt für Wiederaufbau zugeordneten Institute in Anspruch
genommen.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet. Insbesondere Art. 12 GG
ist nicht verletzt, auch wenn die angegriffene Abgabenregelung in die
Berufssfreiheit der Abgabepflichtigen eingreift. Die vom Gesetz als
Beitrag bezeichnete Abgabe knüpft insoweit ähnlich der Umlage zur
Finanzierung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in den
Aufsichtsbereichen Kredit- und Finanzdienstleistungswesen und
Wertpapierhandel (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 16.
September 2009 - 2 BvR 852/07 -, WM 2009, S. 2023) tatbestandlich
unmittelbar an die Tätigkeit bestimmter Unternehmen auf dem Finanzmarkt
an und bemisst sich im Grundsatz nach dem Geschäftsumfang. Wie jene
Umlage dient auch hier das Abgabenaufkommen der Gewährleistung der
Rahmenbedingungen eines spezifischen Marktes, und die Abgabepflichtigen
werden wegen der Beteiligung an diesem Markt in Anspruch genommen.
Der Bund konnte die angegriffenen Regelungen im Rahmen seiner
Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Wirtschaft gemäß Art. 72 Abs. 2
GG in Verbindung mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG erlassen. Es handelt sich
bei den Jahresbeiträgen um Sonderabgaben mit Finanzierungsfunktion, die
den besonderen Anforderungen, die sich für solche Abgaben aus den
Schutz- und Begrenzungsfunktionen der Finanzverfassung ergeben, gerecht
werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann
diese Abgabe nicht als Steuer, sondern nur als eine nichtsteuerliche
Abgabe verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden und die Auferlegung
einer solchen Abgabe wird grundsätzlich begrenzt durch das Erfordernis
eines besonderen sachlichen Rechtfertigungsgrundes.
Die Abgabenerhebung verfolgt einen Sachzweck, der über die bloße
Mittelbeschaffung hinausgeht. Die obligatorische Zugehörigkeit zu einer
der Entschädigungseinrichtungen ist Bestandteil des für den Zugang der
betroffenen Institute zu den Finanzmärkten bestehenden Zulassungssystems
(§ 32 Abs. 3, 3a, § 35 Abs. 1 Satz 2 KWG) und so Teil der gesetzlichen
Finanzmarktregulierung. Insbesondere soll den Anlegern durch den
harmonisierten Mindestschutz der vertrauensvolle Zugang zu
Wertpapierdienstleistungen EU-ausländischer Wertpapierfirmen verschafft
und Wertpapierfirmen der grenzüberschreitende Vertrieb von
Wertpapierdienstleistungen innerhalb der EU ohne die Verpflichtung zur
Mitgliedschaft in einem Anlegerentschädigungssystem außerhalb ihres
Heimatlandes ermöglicht werden.
Die gemeinschaftsrechtlich vorstrukturierte Gruppe der
Wertpapierhandels¬unternehmen ist gerade im Hinblick auf die
finanzverfassungsrechtlich entscheidende Sachnähe und
Finanzierungsverantwortung für die mit der Abgabenerhebung verfolgten
Ziele homogen. Die gemeinschaftsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 der
Anlegerentschädigungsrichtlinie zwingend vorgegebene Pflicht des
Anschlusses grundsätzlich aller zu Wertpapiergeschäften zugelassenen
Unternehmen an ein Entschädigungssystem begründet bereits eine besondere
Nähe zu den Schutz- und Sicherungszielen der Anlegerentschädigung. Diese
Grundpflicht ist auch unabhängig von weiteren gemeinschaftsrechtlichen
Vorgaben, etwa den Regelungen zu staatlichen Beihilfen nach Art. 87 ff.
EG, im Ergebnis als ein wesentliches Element einer auch
finanzverfassungsrechtlich erheblichen spezifischen Sachnähe der
Wertpapierhandelsunternehmen zu werten.
Trotz übergreifender, alle Institutsgruppen betreffenden
Finanzmarktrisiken ist es mit den Anforderungen an Sachnähe und
Finanzierungsverantwortung einer homogenen Gruppe jedenfalls im Ansatz
vereinbar, dass der Gesetzgeber keine einheitliche
Entschädigungseinrichtung für alle Einlagenkreditinstitute und
Wertpapierhandelsunternehmen und damit keine einheitliche
Risikogemeinschaft geschaffen, sondern Risikogemeinschaften und
Risikozuweisungen gemäß § 6 Abs. 1 EAEG segmentiert hat durch eine
Aufteilung in drei verschiedene Institutsgruppen - privatrechtliche und
öffentlichrechtliche Einlagenkreditinstitute sowie
Wertpapierhandelsunternehmen als „andere Institute“ -, die jeweils einer
eigenen Entschädigungseinrichtung zugeordnet sind. Insbesondere dann,
wenn sie auf unterschiedlichen institutionellen und rechtlichen
Strukturen der verschiedenen Gruppen in sachgerechter Weise aufbaut,
kann diese Segmentierung auch nach Sinn und Zweck der strengen
verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Erhebung von Sonderabgaben
vertretbar sein, denn es geht hierbei nicht um die Grundentscheidung
über eine Sonderbelastung, sondern um deren sach- und zweckgerechte
Ausgestaltung, für die dem Gesetzgeber ein angemessener
Gestaltungsspielraum einzuräumen ist. Vor dem Hintergrund der
historischen Entwicklung der Einlagensicherung in Deutschland wie auch
der gemeinschaftsrechtlichen Regulierung der Finanzmärkte stellt sich
die Aufteilung der Ausfallrisiken auf die unterschiedlichen
Institutsgruppen im Ansatz als eine sach- und zweckgerechte Lösung dar.
Die Ausgestaltung funktionsfähiger Entschädigungssysteme auf dem
Finanzmarkt stellt eine außerordentlich komplexe Aufgabe dar. Der
Gesetzgeber hat mit dem Einlagensicherungs- und
Anlegerentschädigungsgesetz im Jahr 1998 regulatorisches Neuland
betreten, auf dem Einschätzungen und Prognosen mit erheblichen
Unsicherheiten verbunden sind. Vor dem Hintergrund der spezifisch
unterschiedlichen Ausgangssituation der Einlagenkreditinstitute auf der
einen Seite und der „anderen“ Institute (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EAEG)
auf der anderen Seite war die Anknüpfung an erprobte organisatorische
Strukturen bereits vorhandener Entschädigungseinrichtungen mit der
korrespondierenden Bildung unterschiedlicher Institutsgruppen in dieser
Situation dem Grunde nach gut vertretbar. Der Gesetzgeber konnte im
Hinblick auf die Eignung der Bildung unterschiedlicher Institutsgruppen
nach allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen einen gewissen
Einschätzungs- und Prognosespielraum für sich in Anspruch nehmen.
Sachnähe und Finanzierungsverantwortung der Wertpapierhandelsunternehmen
sind auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die finanzielle
Inpflichtnahme der zur Entschädigungseinrichtung verbundenen Institute
in der Sache eine Verantwortungszurechnung - auch - für die Folgen
fremden Fehlverhaltens bedeutet. Nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts zum Solidarfonds Abfallrückführung (BVerfGE
113, 128 <152>) schließen es die Grundsätze über die Zulässigkeit von
Sonderabgaben nicht von vornherein aus, über eine solche Abgabe im Wege
sogenannter Fondslösungen auch die Beseitigung der Folgen von
Fehlverhalten - beispielsweise umweltschädigendem Verhalten - in Fällen
zu finanzieren, in denen die in erster Linie Verantwortlichen nicht
herangezogen werden können, weil sie nicht auffindbar oder nicht
zahlungsfähig sind oder aus anderen Gründen eine effektive individuelle
Schadenszurechnung nicht möglich ist.
Der Gesetzgeber konnte auch jenen Instituten eine
Finanzierungsverantwortung zurechnen, deren Kundenkreis sich
tatsächlich, wie derjenige der Beschwerdeführerin, ausschließlich auf
sogenannte institutionelle Anleger beschränkt, die im Entschädigungsfall
gemäß § 3 Abs. 2 EAEG nicht anspruchsberechtigt sind. Die Einbeziehung
solcher Institute in den Kreis der Abgabepflichtigen, die nach ihrer
Erlaubnis nicht befugt sind, sich Eigentum oder Besitz an Geldern oder
Wertpapieren ihrer Kunden zu verschaffen, trägt einerseits möglichen
Überschreitungen des aufsichtsrechtlich Erlaubten Rechnung, andererseits
bewirkt die Ausfallhaftung der Gesamtgruppe auch diesen Instituten
gegenüber den Vorteil der marktstabilisierenden Stärkung des
Kundenvertrauens in redliches Geschäftsgebaren.
Das Erfordernis gruppennütziger Verwendung des Aufkommens aus der
Sonderabgabe ist ebenfalls erfüllt. Die Jahresbeiträge zur Finanzierung
der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen finden
ihre Rechtfertigung in einer Verantwortlichkeit für die Folgen
gruppenspezifischer Zustände und Verhaltensweisen.
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