Der Antragsteller ist eritreischer Staatsangehöriger. Anlässlich eines beim Bundesamt für Migra-
tion und Flüchtlinge gestellten Asylantrags stellte dieses fest, dass der Antragsteller zuvor in
Griechenland registriert worden war. Es entschied, dass der Asylantrag unzulässig sei und ordne-
te die Abschiebung nach Griechenland an, das in Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 343/2003
des Rates vom 18. Februar 2003, der so genannten Dublin II Verordnung, zur Rückübernahme
des Antragstellers verpflichtet sei.
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf lehnte einen gegen die Abschiebung gerichteten Eilantrag ab,
weil das Asylverfahrensgesetz es ausschließe, Abschiebungen in einen nach der Dublin II Ver-
ordnung für die Behandlung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat der Europäischen Union
im vorläufigen Rechtsschutz auszusetzen. Mit seiner Verfassungsbeschwerde begehrt der An-
tragsteller die Aufhebung dieses Beschlusses.
Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die einstweilige Anord-
nung erlassen und die Abschiebung des Antragstellers vorläufig ausgesetzt. Dafür war - wie in
dem der einstweiligen Anordnung vom 8. September 2009 - 2 BvQ 56/09 - zugrundeliegenden
Fall (Pressemitteilung Nr. 103/2009 vom 9. September 2009) - ausschlaggebend, dass mögli-
cherweise bereits mit der Abschiebung oder in ihrer Folge eintretende Rechtsbeeinträchtigungen
nicht mehr verhindert oder rückgängig gemacht werden könnten.
Die Verfassungsbeschwerde ist weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
Sie gibt Anlass zur Untersuchung, ob die im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai
1996 – 2 BvR 1938, 2315/93 - (BVerfGE 94, 49) zu Art. 16a Abs. 2 GG entwickelten Vorgaben
zu den verfassungsrechtlich gebotenen Ausnahmen vom Ausschluss des vorläufigen Rechts-
schutzes gegen die Abschiebung von Asylantragstellern in für die Behandlung des Asylbegehrens
zuständige Drittstaaten zu präzisieren sind. Darüber hinaus ist zu klären, ob Fallkonstellationen
denkbar sind, in denen die Abschiebung eines Asylantragstellers in einen Mitgliedstaat der Euro-
päischen Union im vorläufigen Rechtsschutz ausgesetzt werden darf, wie dies europarechtlich
nach der Dublin II Verordnung möglich ist.
Dabei könnte auch zu klären sein, ob und welche Vorgaben das Grundgesetz zur Gewährung vor-
läufigen Schutzes für den Zeitraum trifft, den die Organe der Europäischen Union benötigen,
Erkenntnisse über für Asylsuchende bedrohliche tatsächliche oder rechtliche Defizite des Asylsy-
stems eines Mitgliedstaats auszuwerten und erforderliche Maßnahmen durchzusetzen. Bei der
Würdigung von Art. 16a Abs. 2 und Abs. 5 GG sowie Art. 19 Abs. 4 GG können in diesem Zu-
sammenhang auch die Anforderungen des Rechts der Europäischen Union zur Erhaltung und
Weiterentwicklung der Europäischen Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts
eine Rolle spielen, da der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Einführung von Art. 16a GG
die Grundlage für eine europäische Gesamtregelung der Schutzgewährung für Flüchtlinge mit
dem Ziel einer Lastenverteilung zwischen den an einem solchen System beteiligten Staaten ge-
schaffen hat.
Zudem kann auch die Frage erheblich werden, welche Auswirkungen der europarechtliche
Grundsatz der Solidarität, der im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auch für eine
gemeinsame Asylpolitik Geltung beansprucht, bei einer erheblichen Überlastung des Asylsystems
eines Mitgliedstaates auf die Rechte des einzelnen Asylantragstellers und auf die Auslegung des
Grundgesetzes hat.
Das Bundesverfassungsgericht hat bisher in fünf weiteren Fällen Überstellungen von Asylan-
tragstellern nach Griechenland einstweilen untersagt. Eine erste Entscheidung in der Hauptsache
wird bis zum Sommer 2010 angestrebt.
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