Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am 15. Dezember 2009, 10:00 Uhr, im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts, Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe über mehrere Verfassungsbeschwerden, die sich gegen Vorschriften des
Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung (TKG) vom 21.
Dezember 2007 richten. Dieses Gesetz dient unter anderem dazu, die
Richtlinie der Europäischen Union über die Vorratsdatenspeicherung in
deutsches Recht umzusetzen. § 113a des Telekommunikationsgesetzes (TKG)
sieht vor, dass Verkehrsdaten, die bei der Inanspruchnahme von
Telekommunikationsdiensten entstehen, von den Anbietern der Dienste
jeweils für sechs Monate zu speichern sind. Dies gilt für Telefondienste
ebenso wie für Internetzugangsdienste und e-Mail-Dienste. Zu speichern
sind etwa bei Telefongesprächen die Rufnummern des Anrufenden und des
angerufenen Anschlusses sowie Beginn und Ende des Gesprächs. Die
anlasslos auf Vorrat gespeicherten Daten dürfen von den Diensteanbietern
an die zuständigen Behörden zur Strafverfolgung (§ 113b Satz 1 Nr. 1
TKG), zur Abwehr von erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit
(§ 113b Satz 1 Nr. 2 TKG) und zur Erfüllung der Aufgaben des
Verfassungsschutzes, des Bundesnachrichtendienstes und des militärischen
Abschirmdienstes (§ 113b Satz 1 Nr. 3 TKG) übermittelt werden.
Gesetzliche Voraussetzung für die Übermittlung der Daten ist, dass die
betreffenden Behörden jeweils durch eine Rechtsgrundlage zum Abruf
ermächtigt sind, die auf § 113a TKG Bezug nimmt. Für die Strafverfolgung
gestattet den Zugriff auf die Vorratsdaten § 100g StPO. Insoweit ist
auch diese Regelung Gegenstand der Verfassungsbeschwerde.
Der von den Beschwerdeführern zunächst gestellte Antrag, §§ 113a, 113b
TKG im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über die
Verfassungsbeschwerde außer Kraft zu setzen, hatte teilweise Erfolg. Mit
Beschluss vom 11. März 2008 (verlängert durch Beschluss vom 1. September
2008) erließ der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts auf Antrag
der Beschwerdeführer eine einstweilige Anordnung, nach der die
Übermittlung der Vorratsdaten zu Strafverfolgungszwecken nach § 113b
Satz 1 Nr. 1 TKG bis zu einer Entscheidung über die
Verfassungsbeschwerde nur gemäß den in der einstweiligen Anordnung
vorgesehenen Maßgaben erfolgen darf (Pressemitteilung Nr. 37/2008 vom
19. März 2008). Ein Anlass zur Erstreckung der einstweiligen Anordnung
auf § 113b Satz 1 Nr. 2 und 3 TKG bestand zum Zeitpunkt des Erlasses
dieser Entscheidung nicht, weil weder im Bereich der Gefahrenabwehr noch
des Verfassungsschutzes und der Nachrichtendienste Rechtsgrundlagen für
einen Abruf der nach § 113a TKG gespeicherten Vorratsdaten vorhanden
waren.
Mittlerweile verweisen zahlreiche Landesgesetze auf § 113a TKG und
gestatten den behördlichen Zugriff auf die nach dieser Regelung zu
speichernden Daten auch zur Gefahrenabwehr und zur Erfüllung der
Aufgaben des Verfassungsschutzes. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2008
erneuerte und erweiterte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts
(Pressemitteilung Nr. 92/2008 vom 6. November 2008) auf entsprechende
Anträge der Beschwerdeführer die einstweilige Anordnung dahingehend,
dass die nach § 113a TKG auf Vorrat gespeicherten Daten für die
Gefahrenabwehr (§ 113b Satz 1 Nr. 2 TKG) von den
Telekommunikationsdiensteanbietern nur unter einschränkenden Bedingungen
an die ersuchende Behörde übermittelt werden dürfen.
Die Beschwerdeführer sehen durch die Vorratsdatenspeicherung vor allem
das Telekommunikationsgeheimnis und das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung verletzt. Sie halten die anlasslose Speicherung aller
Telekommunikationsverbindungen für unverhältnismäßig. Insbesondere
machen sie geltend, dass sich aus den gespeicherten Daten
Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellen ließen. Einige
Beschwerdeführer (Rechtsanwälte/Ärzte/Journalisten/Steuerberater) fühlen
sich darüber hinaus durch die Vorratsdatenspeicherung in ihrer
Berufsfreiheit verletzt, weil sie die Vertraulichkeit der Kontakte zum
Mandanten beeinträchtige. Eine Beschwerdeführerin, die einen
Internetanonymisierungsdienst anbietet, rügt, die mit der Speicherung
verbundenen Kosten beeinträchtigen die Anbieter von
Telekommunikationsdiensten unverhältnismäßig in ihrer Berufsfreiheit.
Die Speicherungspflicht führe für Anonymisierungsdienste faktisch zu
einem Berufsverbot. Soweit sich das Bundesverfassungsgericht an einer
verfassungsrechtlichen Prüfung in vollem Umfang gehindert sehe, weil es
sich bei den beanstandeten Regelungen um die Umsetzung von EG-Recht
handele, regen die Beschwerdeführer eine Vorlage an den Europäischen
Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens an, weil sie
die umzusetzende Richtlinie für gemeinschaftsrechtswidrig halten.
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