Seit 1999 beteiligt sich die Bundeswehr an der internationalen
KFOR-Mission im Kosovo, die auf der Grundlage eines UNO-Mandats unter
der Führung der NATO steht und ein Wiederaufflammen der gewaltsamen
Kämpfe zwischen Serben und Kosovo-Albanern zu verhindern sucht. Im
Februar 2008 erklärte sich der Kosovo unter Loslösung von Serbien
einseitig für unabhängig und wurde seither von zahlreichen Staaten,
darunter die Bunderepublik Deutschland, völkerrechtlich anerkannt. Nach
der Unabhängigkeitserklärung hielt die Bundesregierung an dem laufenden
militärischen Engagement der Bundeswehr fest. Hiergegen richtet sich das
Organstreitverfahren der Fraktion DIE LINKE. Sie ist der Ansicht, dass
sich durch die kosovarische Unabhängigkeitserklärung tatsächliche und
rechtliche Umstände wesentlich verändert hätten, und beantragt
festzustellen, dass vor der Fortsetzung des KFOR-Einsatzes der
Bundeswehr eine erneute Zustimmung des Deutschen Bundestages hätte
eingeholt werden müssen.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat den gegen die
Bundesregierung gerichteten Antrag mit Beschluss vom 13. Oktober 2009
gemäß § 24 BVerfGG verworfen. Nach dieser Vorschrift können Anträge
durch einstimmigen Beschluss des Gerichts verworfen werden, wenn sie
unzulässig oder offensichtlich unbegründet sind. Der Senat beanstandet
die Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes nach der
Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nicht. Von Verfassungs wegen gab es
keine Verpflichtung der Bundesregierung, unverzüglich eine erneute
Zustimmung des Deutschen Bundestages herbeizuführen.
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass
die Bundeswehr ein Parlamentsheer ist. Deshalb bedarf jeder Einsatz
bewaffneter Streitkräfte der grundsätzlich vorherigen konstitutiven
Zustimmung des Deutschen Bundestages. Aus diesem sogenannten
Parlamentsvorbehalt folgt, dass die Bundesregierung eine erneute
Zustimmung des Deutschen Bundestages zu einem Streitkräfteeinsatz
herbeiführen muss, wenn tatsächliche oder rechtliche Umstände wegfallen,
die der Zustimmungsbeschluss als notwendige Bedingungen für einen
Einsatz nennt. Für die Frage, wann ein neuer Zustimmungsbeschluss des
Deutschen Bundestages erforderlich wird, sind im vorliegenden Fall
Aspekte der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit maßgeblich zu
berücksichtigen. Danach kann ein parlamentarischer Zustimmungsbeschluss
seine Wirkung nicht schon dann verlieren, wenn der Fortbestand von
Umständen, an die der Bundestag seine Zustimmung geknüpft hat, lediglich
zweifelhaft wird. Vielmehr verlangt der Parlamentsvorbehalt, dass in
Zweifelsfällen der Bundestag die endgültige Bewertung der in Rede
stehenden Umstände selbst verantwortet. Er hat - als Herr seiner
Zustimmungsentscheidung - die verfassungsrechtliche Möglichkeit, Zweifel
über das Fortbestehen seiner Zustimmung selbst auzuräumen.
Gegebenenfalls kann er dazu das ihm zustehende Rückholrecht ausüben,
einen Streitkräfteeinsatz also förmlich beenden. Entbehrlich - im Sinne
einer automatischen Wirkungslosigkeit der Zustimmung - ist ein
derartiger Rückholbeschluss nur dann, wenn die Umstände, auf die sich
die Zustimmung bezieht, offensichtlich wegfallen. Dieser Evidenzmaßstab
ist von Verfassungs wegen geboten, weil das Grundgesetz die
Bundesregierung anderenfalls einem Dilemma aussetzte: Sie müsste bei
jeder strittigen Veränderung der tatsächlichen oder rechtlichen Umstände
eines Einsatzes neue Zustimmungen des Bundestages rein vorsorglich
beantragen, um sich nicht durch ein Unterlassen dem Vorwurf der
Verfassungsverletzung auszusetzen.
Auch nach der kosovarischen Unabhängigkeitserklärung durfte der
Bundeswehreinsatz auf Grundlage der zuvor erteilten parlamentarischen
Zustimmung fortgesetzt werden. Entscheidend für die Entbehrlichkeit
einer neuen Entscheidung des Deutschen Bundestages ist es, dass die
einseitige Loslösung von Serbien nicht in evidenter Weise das
völkerrechtliche Einsatzmandat hat entfallen lassen, von dem der
Bundestag seine Zustimmung zuvor abhängig gemacht hatte. Das UNO-Mandat
für die KFOR-Mission ist vielmehr bis heute weder aufgehoben, noch durch
eine neue Resolution ersetzt worden. Es ist unbefristet in Kraft. Ob das
UNO-Mandat, wie die Antragstellerin meint, nur formal, nicht aber
materiell fortgilt, hat der Senat bei Anlegung des gebotenen
Evidenzmaßstabs nicht nachzuprüfen. Das Organstreitverfahren dient dem
Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht einer
allgemeinen Verfassungs- oder gar Völkerrechtsaufsicht. Der Deutsche
Bundestag hat auch keine anderen wesentlichen Bedingungen für die
Zustimmung formuliert als die Fortgeltung des UNO-Mandats. Einem
etwaigen Willen, dem Bundeswehreinsatz im Kosovo nur nach Maßgabe
bestimmter äußerer Umstände zuzustimmen, hätte der Bundestag in seiner
Zustimmung leicht Ausdruck verleihen können. Dies ist jedoch nicht
geschehen.
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