Der Bundesfinanzhof sieht seit dem Jahr 1992 den Ertragsanteil einer
Leibrente als Gegenleistung für eine - nicht existenzsichernde -
Vermögensumschichtung als pauschalierten Zinsanteil an. Wegen des
Abzugsverbots für private Schuldzinsen konnte nach dieser Rechtsprechung
der Ertragsanteil bei demjenigen, der zur Zahlung der Leibrente
verpflichtet ist, nicht als Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2
EStG abgezogen werden.
Die gemeinsam zur Einkommensteuer zusammen veranlagten Kläger der
Ausgangsverfahren sind seit dem Jahr 1992 miteinander verheiratet. Der
Ehemann hatte im Jahr 1990 sein mit einem Einfamilienhaus bebautes
Grundstück seiner späteren Ehefrau übertragen. Als Gegenleistung
verpflichtete sie sich zur monatlichen Zahlung einer lebenslänglichen
wertgesicherten Rente an den Ehemann. Das Finanzamt besteuerte den
Ertragsanteil der Rente als Einkünfte des Ehemanns gemäß § 22 Nr. 1 Satz
3 Buchstabe a EStG. Den von der Ehefrau im Gegenzug begehrten
Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG für den Ertragsanteil
lehnte das Finanzamt unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs ab. Die eingelegten Einsprüche hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht Köln gab den dagegen gerichteten Klagen statt, da es
der Auffassung war, dass der Klägerin der begehrte Sonderausgabenabzug
entgegen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a
EStG zu gewähren sei. Im Revisionsverfahren legte der X. Senat des
Bundesfinanzhofs dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Prüfung vor,
ob die Besteuerung der Ertragsanteile von Bezügen aus Leibrenten nach §
22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG, die Gegenleistung für den Erwerb eines
Wirtschaftsguts des Privatvermögens sind, mit ihrem vollen Nennbetrag -
ohne Berücksichtigung eines Sparer-Freibetrags - ungeachtet dessen mit
dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar sei, dass
es sich um pauschalierte Einkünfte aus Kapitalvermögen handele.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschied, dass diese
Vorlage des Bundesfinanzhofs unzulässig ist, denn sie wird den
verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Darlegung der
Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage für das Ausgangsverfahren
nicht gerecht. Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit, die
hier die Frage der Versagung des Sonderausgabenabzugs betrifft, genügt
es insbesondere nicht, wenn sich der Bundesfinanzhof lediglich auf seine
eigene Rechtsprechung beruft. Die Zulässigkeit der Vorlage erfordert
vielmehr, dass sich das Gericht eingehend mit der Rechtslage
auseinandersetzt, dabei die in Literatur und Rechtsprechung entwickelten
Rechtsauffassungen berücksichtigt und auf unterschiedliche
Auslegungsergebnisse eingeht.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Der Bundesfinanzhof hat diese verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht
erfüllt. Die Frage, ob es der allgemeine Gleichheitsgrundsatz nach Art.
3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gebietet, den Sparer-Freibetrag nach §
20 Abs. 4 EStG auch auf die Besteuerung von Leibrenten nach § 22 Nr. 1
Satz 3 Buchstabe a EStG zu erstrecken, kann, wie der Bundesfinanzhof
zutreffend ausführt, nur dann entscheidungserheblich sein, wenn der von
den Klägern geltend gemachte Anspruch auf Gewährung des
Sonderausgabenabzugs nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abzuweisen ist. Wäre
dagegen dem Klageantrag, an den der Bundesfinanzhof auch der Höhe nach
gebunden ist, stattzugeben, käme eine Erstreckung des Sparerfreibetrags
auf die Rentenbezüge des Klägers schon aus prozessrechtlichen Gründen
nicht in Betracht, denn eine weitere Herabsetzung der Steuer durch die
Erstreckung des Sparer-Freibetrags nach § 20 Abs. 4 Satz 3 EStG wäre
wegen Erschöpfung des Klageantrags ausgeschlossen. Bei dieser
Ausgangslage reicht es nicht aus, wenn sich der Bundesfinanzhof zur
Begründung seiner Auffassung, dass die Klage insoweit abzuweisen sei,
lediglich auf seine eigene Rechtsprechung beruft und sich in diesem
Zusammenhang nicht mit den Argumenten der Literatur und Rechtsprechung
auseinandersetzt, die gegen die Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit seiner
eigenen Rechtsprechung hinsichtlich der Versagung des
Sonderausgabenabzugs für den Ertragsanteil von Leibrenten vorgebracht
worden sind.
Der Bundesfinanzhof hat auch nicht hinreichend die Möglichkeit einer
verfassungskonformen Auslegung der zur Überprüfung gestellten Norm
erörtert, obwohl eine solche Lösung nahe liegt. Der Auffassung des
Bundesfinanzhofs, es liege eine Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte
vor, liegt die von ihm selbst aufgestellte Prämisse zugrunde, dass es
sich bei dem Ertragsanteil der Leibrente materiellrechtlich um einen
Zinsanteil handele. Hiervon ist der Gesetzgeber jedoch, wie sich aus der
Gesetzesbegründung zur Neuregelung der Leibrentenbesteuerung durch das
Gesetz zur Neuordnung von Steuern ergibt, nicht ausgegangen. Diese
Ausführungen hat der Bundesfinanzhof in seinem Vorlagebeschluss zwar zur
Kenntnis genommen, sich jedoch über sie hinweg gesetzt, da er sie für
unzutreffend hält. Insoweit kann dahingestellt bleiben, wie weit das
Gebot der verfassungskonformen Auslegung es dem Richter allgemein
erlaubt, den gesetzgeberischen Willen zu begrenzen oder zu ergänzen.
Keinesfalls darf eine verfassungskonforme Auslegung jedoch das
gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder
verfälschen.
Die nicht dem gesetzgeberischen Willen folgende Auslegung der Norm
entbindet den Bundesfinanzhof jedenfalls nicht davon, sich mit der Frage
auseinanderzusetzen, ob der - nach seiner Rechtsprechung -
materiellrechtlich als Zinsanteil zu qualifizierende Ertragsanteil der
Leibrente in verfassungskonformer Auslegung unter den
Besteuerungstatbestand des § 20 EStG subsumiert werden kann, mit der
Folge, dass der Sparer-Freibetrag des § 20 Abs. 4 EStG von Gesetzes
wegen zu gewähren und die Vorlagefrage hinfällig wäre. Nicht hinreichend
ist insoweit der kurze Hinweis des Gerichts, dass eine
verfassungskonforme Auslegung, die den Erwägungen zum Gleichheitssatz
des Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung tragen würde, in Anbetracht der
unmissverständlichen Zuordnung solcher Erträge zu § 22 EStG einerseits
und des klaren Wortlauts des § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG anderseits nicht
möglich sei.
Schließlich fehlt es in dem Vorlagebeschluss auch an einer ausreichenden
Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein gleichheitsrechtlich
tragfähiger Grund für die nach Auffassung des Bundesfinanzhofs
bestehende Ungleichbehandlung der Besteuerung von Leibrenten gegenüber
der Besteuerung von Zinseinkünften vorliegt. Das vorlegende Gericht hat
sich insbesondere nicht mit der Frage auseinandergesetzt, dass die
Leibrente eine Vermögensumschichtung zum Gegenstand hat und bei dem aus
der Leibrente Berechtigten die Phase der Vermögensbildung bereits
abgeschlossen ist, so dass die Anreizwirkung des Sparer-Freibetrags, der
gerade in der Ansparphase einsetzen soll, nicht mehr zum Tragen kommen
kann. Ebenso wurde nicht erörtert, ob die im Gesetzgebungsverfahren
genannten Gründe für die unterschiedliche Besteuerung von Leibrenten und
Zinsen geeignet wären, eine Ungleichbehandlung hinsichtlich des
Sparer-Freibetrags zu rechtfertigen.
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