Gegen den 88-jährigen Beschwerdeführer ist vor dem Landgericht Aachen
ein Strafverfahren wegen gemeinschaftlichen Mordes in drei Fällen
anhängig. Ihm wird zur Last gelegt, in der Zeit von Juli bis September
1944 als SS-Hauptscharführer der „Germanischen SS in den Niederlanden“
im Rahmen völkerrechtswidriger Repressionen gegen die niederländische
Bevölkerung, die unter dem Decknamen "Silbertanne" ausgeführt wurden,
gemeinsam mit anderen SS-Angehörigen drei niederländische Staatsbürger
heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen erschossen zu haben. Nachdem
ein medizinischer Sachverständiger im Zwischenverfahren zu dem Ergebnis
gekommen war, der Beschwerdeführer leide an einer schweren
Herzerkrankung und sei wegen des damit einhergehenden Risikos einer
akuten kardialen Dekompensation nicht verhandlungsfähig, lehnte das
Landgericht im Januar 2009 die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Gegen
den Nichteröffnungsbeschluss legten die Staatsanwaltschaft und ein
Nebenkläger sofortige Beschwerde ein. Das Oberlandesgericht Köln
eröffnete im Juli 2009 das Hauptverfahren vor dem Landgericht Aachen,
weil sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers nach
Zeugenaussagen zusehends verbessert habe. Daraufhin bestimmte der
Vorsitzende der zuständigen Schwurgerichtskammer Termin zur
Hauptverhandlung und ordnete eine ärztliche Betreuung des
Beschwerdeführers während der gesamten Verhandlung an.
Die 2. Kammer des Zweiten Senats hat die Verfassungsbeschwerde des
Beschwerdeführers gegen den Eröffnungsbeschluss des Oberlandesgerichts
Köln und die Ladung zur Hauptverhandlung nicht zur Entscheidung
angenommen. Das Oberlandesgericht hat Bedeutung und Tragweite des
Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2
Satz 1 GG erkannt und bei seiner Entscheidung eine Abwägung zwischen der
Pflicht des Staates zur Gewährleistung einer funktionstüchtigen
Strafrechtspflege und dem grundrechtlich geschützten Interesse des
Beschwerdeführers an seiner körperlichen Unversehrtheit vorgenommen.
Diese Abwägung genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Sie
berücksichtigt nicht nur die schwerwiegenden Tatvorwürfe, die dem
öffentlichen Interesse an der Fortführung des Strafverfahrens ungeachtet
des erheblichen Zeitablaufs besonderes Gewicht verleihen, sondern alle
wesentlichen Umstände des Einzelfalles, insbesondere Art, Umfang und
mutmaßliche Dauer des Strafverfahrens, Art und Intensität der dem
Beschwerdeführer drohenden Gesundheitsschäden sowie die Möglichkeiten,
diesen entgegenzuwirken. Eine umfangreiche, schwierige Beweisaufnahme
ist nicht zu erwarten. Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ist
derzeit zumindest stabil und steht einer Hauptverhandlung von
überschaubarem Umfang bei angepasster Verhandlungsführung nicht
entgegen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht willkürlich, wenn das
Oberlandesgericht die Wahrscheinlichkeit einer akuten kardialen
Dekompensation infolge emotionaler Belastung als eher gering eingestuft
hat. Es begegnet auch keinen Bedenken, dass das Oberlandesgericht im
Ergebnis von der Einschätzung des Sachverständigen, der Beschwerdeführer
sei nicht verhandlungsfähig, abgewichen ist. Die Beurteilung der
Verhandlungsfähigkeit erfolgt nach rechtlichen Maßstäben und ist daher
Aufgabe des Gerichts, nicht des Sachverständigen.
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