Die Beschwerdeführerin, eine Vertragsärztin, hatte beim Sozialgericht
Klage wegen mehrerer Honorarbescheide erhoben, die sie im April 2000 um
zwei weitere Honorarbescheide erweiterte. Das klageabweisende Urteil des
Sozialgerichts bezog sich nicht auf diese Bescheide, obwohl diese Klage
im Januar 2004 zu den bereits anhängigen Klagen verbunden worden war. Im
Berufungsverfahren wies das Landsozialgericht im Februar 2006 daraufhin,
dass die Berufung wegen der fehlenden erstinstanzlichen Entscheidungen
über die zwei Honorarbescheide unzulässig sei. Nach Trennung der
Berufungsverfahren verwarf das Landessozialgericht im Dezember 2007 die
Berufung als unzulässig. Das Urteil wurde der Beschwerdeführerin im
April 2008 zugestellt. Die Beschwerdeführerin erhob Beschwerde gegen die
Nichtzulassung der Revision zum Bundessozialgericht. Über die gestellten
Anträge auf Protokollberichtigung, Urteilsergänzung und
Urteilsberichtigung entschied das Landessozialgericht im Mai 2008
(Protokollberichtigung), im Dezember 2008 (Urteilsergänzung, zugestellt
im April 2009) und im April 2009 (Urteilsberichtigung). Die
Nichtzulassungsbeschwerde verwarf das Bundessozialgericht im März 2009.
Die Beschwerdeführerin erinnerte das Sozialgericht seit Februar 2006
mehrfach an die noch ausstehende Entscheidung über die zwei
Honorarbescheide, die im April 2000 mit Klage angegriffen worden waren.
Das Sozialgericht ergriff weder verfahrensfördernde Maßnahmen noch
erging bis heute eine Entscheidung.
Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen und ihr stattgegeben,
denn die Untätigkeit des Sozialgerichts in diesem Verfahren verletzt die
Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art.
19 Abs. 4 GG). Nach Abwägung der konkreten Umstände des vorliegenden
Verfahrens ist es verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar, dass über
den Abschluss des durch den Schriftsatz vom 2. April 2000 eingeleiteten
erstinstanzlichen Verfahrens nach inzwischen über neun Jahren noch keine
Klarheit besteht.
Die Sachmaterie weist im Vergleich zu den anderen von der
Beschwerdeführerin betriebenen und bereits 2004 in erster Instanz
abgeschlossenen Klageverfahren keine besonderen Schwierigkeiten auf, die
die neunjährige Verfahrensdauer rechtfertigen. Obwohl die
Beschwerdeführerin das Sozialgericht verschiedentlich auf eine noch
ausstehende Entscheidung hinsichtlich der Honorarbescheide für die
fraglichen Quartale hingewiesen hat, hat das Sozialgericht das Verfahren
seit September 2004 nicht mehr gefördert. Selbst wenn man
berücksichtigt, dass der Verfahrensfortgang anfangs nicht unerheblich
durch in der Sphäre der Beschwerdeführerin liegende Gründe behindert
wurde, lässt sich auch dadurch die erhebliche Verfahrensverzögerung
verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen.
Die Einlegung der Rechtsmittel wegen der fehlenden Entscheidung über die
fraglichen Honorarbescheide durch die Beschwerdeführerin führt ebenfalls
nicht zu einer anderen Beurteilung. Für die verfassungsrechtliche
Bewertung ist ausschlaggebend, dass das Verfahren vor dem
Landessozialgericht von der Einlegung der Berufung im Oktober 2004 bis
zur Zustellung des die Berufung verwerfenden Urteils im April 2008
seinerseits knapp dreieinhalb Jahre gedauert hat, ohne dass hierfür ein
sachlicher Grund ersichtlich ist. Ein weiteres Jahr verging, bis im
April 2009 die Entscheidung über den Antrag auf Urteilsergänzung
zugestellt und der Beschluss über den Antrag auf Urteilsberichtigung
getroffen wurden. Das ist in Anbetracht der bereits im Februar 2006 zum
Ausdruck gebrachten Auffassung des Landessozialgerichts, die Berufung
sei hinsichtlich der noch nicht vom Sozialgericht entschiedenen
Klageerweiterung unzulässig, mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes
nicht zu vereinbaren. Das Landesso¬zialgericht hätte spätestens ab
diesem Zeitpunkt alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der
Verfahrensbeschleunigung nutzen müssen, um angesichts des damals
immerhin schon rund sechs Jahre dauernden Verfahrens jede weitere
Verzögerung der seiner Auffassung nach noch ausstehenden
sozialgerichtlichen Entscheidung zu vermeiden.
Nicht anderes gilt im Ergebnis, wenn das Sozialgericht davon ausgegangen
sein sollte, dass die Rechtshängigkeit der unter dem 2. April 2000
erhobenen Klage bereits im Jahr 2004 entfallen ist. In diesem Fall
entspricht es in Anbetracht aller Umstände, namentlich der unklaren
prozessualen Lage, ebenfalls nicht dem Gebot effektiven Rechtsschutzes,
wenn ein Beteiligter eines wirksam anhängig gemachten gerichtlichen
Verfahrens trotz verschiedener Erinnerungen an eine Sachentscheidung vom
dem Gericht, bei dem sein Verfahren möglicherweise noch anhängig ist,
über Jahre im Ungewissen darüber gelassen wird, dass das Gericht das
Verfahren bereits für abgeschlossen hält.
Die weitere Verfassungsbeschwerde, mit der die Beschwerdeführerin
ebenfalls die Untätigkeit des Sozialgerichts in einem seit 2008
anhängigen Verfahren gerügt hatte, wurde nicht zur Entscheidung
angenommen.
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