Seit dem 3. Oktober 1990 gilt in der Bundesrepublik Deutschland das
Vermögensgesetz. Dieses regelt auch die Restitution an Opfer der
Verfolgung durch das national-sozialistische Regime, die dadurch
Vermögensverluste auf dem Gebiet der ehemaligen DDR erlitten haben. Der
Gesetzgeber trägt damit dem Umstand Rechnung, dass eine Wiedergutmachung
für Vermögensverluste durch NS-Unrecht auf dem Gebiet der ehemaligen
Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und späteren DDR praktisch nicht
stattgefunden hat, hingegen im früheren Bundesgebiet die
Wiedergutmachungsgesetzgebung (Rückerstattungs- und
Entschädigungsgesetze) zunächst der Alliierten und später der
Bundesrepublik den Ausgleich von verfolgungsbedingten
Vermögensschädigungen vorsah. Das Vermögensgesetz unterscheidet zwischen
Rückgabe einzelner Vermögenswerte (Einzelrestitution) und
Unternehmensgesamtheiten (Unternehmensrestitution). Die
Einzelrestitution ist bei einer möglichen Unternehmensrestitution
grundsätzlich ausgeschlossen. Einzelne Vermögensgegenstände, die einem
Unternehmen nach der Schädigung entzogen wurden, können nicht
zurückverlangt werden („weggeschwommene Vermögenswerte“). 1992 schaffte
der Gesetzgeber mit § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG Sonderregelungen für
NS-Verfolgte, wonach eine Einzelrestitution „weggeschwommener“
Vermögenswerte ausnahmsweise neben der Unternehmensrestitution möglich
ist (einfacher Durchgriff). 1997 wurde das Vermögensgesetz dahingehend
ergänzt, dass der Durchgriff auch dann möglich ist, wenn nicht das
Unternehmen, sondern Beteiligungsrechte an dem Unternehmen entzogen
wurden (doppelter Durchgriff). Der in Streit stehende
Restitutionsausschluss durch § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG wurde gleichzeitig
eingeführt. Die Vorschrift nimmt als Gegenausnahme Grundstücke von dem
Durchgriff aus, die von einem Entwicklungs-, Siedlungs- oder
Wohnungsbauunternehmen entsprechend dem vor der verfolgungsbedingten
Schädigung überwiegenden Unternehmenszweck an natürliche Personen bis
zum 8. Mai 1945 zu einem üblichen Preis für den Wohnungsbau veräußert
wurden.
Der Beschwerdeführer begehrte im Wege des doppelten Durchgriffs die
Einräumung von Bruchteilseigentum an einem Grundstück, das Teil der sog.
Sommerfeld-Siedlung in Kleinmachnow (Brandenburg) ist. Ursprüngliche
Eigentümerin des Grundstücks war eine Siedlungsgesellschaft, deren
Anteile zu ca. 80 % dem jüdischen Bauunternehmer Adolf Sommerfeld
gehörten. Die Siedlungsgesellschaft erschloss, parzellierte und
verkaufte Grundstücke ab 1930 direkt an Siedler. Sommerfeld flüchtete im
April 1933 aus Deutschland, nachdem er in seinem Haus von SA-Männern
überfallen worden war. Unmittelbar darauf wurden in seinen Betrieben
NSDAP-Mitglieder als kommissarische Leiter eingesetzt, so dass er
faktisch die Inhaberschaft über seine Unternehmen verlor. Nach dieser
sog. „Arisierung“ setzte die Siedlungsgesellschaft den Geschäftsbetrieb
unverändert fort. Das streitgegenständliche Grundstück wurde 1934
entsprechend dem ursprünglichen Unternehmenszweck zu einem schon vor der
„Arisierung“ üblichen Preis an Privatpersonen veräußert. Nach der
Wiedervereinigung meldete die Conference on Jewish Material Claims
against Germany Inc. vermögensrechtliche Ansprüche an und trat diese an
den Beschwerdeführer ab. Das Verwaltungsgericht lehnte die Einräumung
von Bruchteilseigentum ab. Die Revision war erfolglos. Dagegen erhob der
Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde und rügte eine Verletzung des
Gleichheits- und Eigentumsgrundrechts durch die fachgerichtlichen
Entscheidungen und den Restitutionsausschluss nach § 3 Abs. 1 Satz 11
VermG.
Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung
angenommen. Der Beschwerdeführer ist durch § 3 Abs.1 Satz 11 VermG nicht
in seinem Grundrecht aus Art 3 Abs. 1 GG verletzt. Zwar führt die
Restitutionsausschlussvorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG zu
Ungleichbehandlungen. Diese sind aber verfassungsrechtlich
gerechtfertigt, weil sachlich einleuchtende Gründe für diese
Differenzierung gegeben sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner
bisherigen Rechtsprechung anerkannt, dass der Gesetzgeber einen
besonders weiten Gestaltungsspielraum hat, wenn es um die
Wiedergutmachung von Unrecht geht, das eine dem Grundgesetz nicht
verpflichtete Staatsgewalt zu verantworten hat. Er ist zwar auch
insoweit an den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG
gebunden, muss ihn aber bei diesem Regelungsgegenstand wie allgemein bei
der Bewältigung der Folgen des Krieges und des nationalsozialistischen
Regimes lediglich in seiner Bedeutung als Willkürverbot beachten. Der
Spielraum des Gesetzgebers endet erst dort, wo die ungleiche Behandlung
nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten
Betrachtungsweise vereinbar ist, wo mit anderen Worten ein sich aus der
Natur der Sache ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für
die Differenzierung fehlt. Die sich daraus ergebenden Grenzen sind
vorliegend nicht überschritten.
§ 3 Abs. 1 Satz 11 VermG führt zwar zu Ungleichbehandlungen zwischen
NS-Verfolgten. Anders als bei den von § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG erfassten
Entwicklungs-, Siedlungs- und Wohnungsbauunternehmen
(Unternehmensparzellierern) erfolgt bei den NS-Opfern, die aus ihrem
entzogenen Privatvermögen Grundstücke zu Wohnbauzwecken veräußert haben
(Privatparzellierer), die Rückgabe entzogener Grundstücke nach den
Vorschriften über die Einzelrestitution von entzogenen Vermögenswerten
(§ 3 Abs. 1 Satz 1 VermG). Sie ist im Fall der Weiterveräußerung der
Grundstücke nach der Entziehung keinen Beschränkungen unterworfen.
Insbesondere findet § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts nur auf Veräußerungen durch Unternehmen und
nicht auch auf den Verkauf von Grundstücken aus dem Privatvermögen
natürlicher Personen Anwendung. Für die Frage, ob im Fall eines
verfolgungsbedingt geschädigten Parzellierers ein ausnahmsweise
bestehender Durchgriffsanspruch auf ein „weggeschwommenes“ Grundstück
nach § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG ausgeschlossen sein kann, oder ob es sich
von vornherein um einen Einzelrestitutionsanspruch nach § 3 Abs. 1 Satz
1 VermG handelt, kommt es demnach nur darauf an, ob das betreffende
Grundstück einem Unternehmens- oder einem Privatvermögen zuzuordnen war.
Darüber hinaus lässt sich eine rechtliche Ungleichbehandlung zwischen
solchen von NS-Verfolgung betroffenen Unternehmenseigentümern
feststellen, die schon vor der Schädigung aus ihrem Unternehmensvermögen
Grundstücke zu Wohnbauzwecken an Privatpersonen veräußert haben, ohne
dass dies ihr überwiegender Unternehmenszweck war (z.B. Bankhäusern, die
nur gelegentlich Grundstücke verkauft haben), und den in § 3 Abs. 1 Satz
11 VermG genannten Unternehmen beziehungsweise deren jeweiligen
Anteilseignern. Erstere sind zu einem uneingeschränkten Durchgriff auf
die Grundstücke im Wege der Einzelrestitution nach § 3 Abs. 1 Satz 4
VermG berechtigt, unabhängig von der Art und Weise der Veräußerung,
letztere hingegen nicht.
Diese Ungleichbehandlungen sind jedoch nicht als sachwidrig anzusehen
und damit im Lichte des Art. 3 Abs. 1 GG unbedenklich. Der Gesetzgeber
ging davon aus, der Restitutionsausschluss nach § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG
sei am alliierten Rückerstattungsrecht orientiert. Er trage dem Umstand
Rechnung, dass die NS-Verfolgten durch die Eingliederung ihrer Ansprüche
in das Vermögensgesetz weder schlechter noch besser gestellt werden
sollten als bei der Anwendung des alliierten Rechts. Mit diesem Ziel hat
der Gesetzgeber aber auch die Vorschriften über den Durchgriff auf
„weggeschwommene“ Vermögenswerte in § 3 Abs. 1 Satz 4 und 5 VermG
begründet. Insofern erscheinen die Bestimmungen über den doppelten
Durchgriff nach § 3 Abs. 1 Satz 4 und 5 VermG - einschließlich des § 3
Abs. 1 Satz 11 VermG - als Teil eines Gesamtkonzepts, das für sich in
Anspruch nimmt, an dem einheitlichen Prinzip der Angleichung der Rechte
der Betroffenen an das alliierte Rückerstattungsrecht ausgerichtet zu
sein. Der Beschwerdeführer hatte insoweit eingewandt, das alliierte
Rückerstattungsrecht habe eine dem sektoralen Restitutionsausschluss,
wie er in § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG vorgesehen ist, vergleichbare
Vorschrift tatsächlich aber nicht gekannt. Er meint deshalb, der
Gesetzgeber habe damit seine eigene Konzeption, sich im Ergebnis am
Rückerstattungsrecht zu orientieren, durchbrochen. Das
Bundesverfassungsgericht hat jedoch offen gelassen, ob der Gesetzgeber
mit § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG seinem selbst vorgegebenen System und
Regelungsziel tatsächlich nicht gerecht geworden ist. Denn aus einer
solchen etwaigen Systemwidrigkeit lässt sich dann nichts für einen
Gleichheitsverstoß herleiten, wenn sonst plausible Gründe für die
abweichende Regelung gegeben sind.
Als einen solchen plausiblen Grund hat das Bundesverfassungsgericht den
ebenfalls schon im Gesetzgebungsverfahren mit der Bezeichnung des § 3
Abs. 1 Satz 11 VermG als „Siedlerschutzklausel“ zum Ausdruck gebrachten
weiteren Zweck angesehen. Mit der Vorschrift sollen natürliche Personen,
die ohnehin zur Veräußerung an Siedler vorgesehene Grundstücke im
gewöhnlichen Geschäftsgang zu üblichen Preisen erworben und damit nicht
treuwidrig von der Verfolgung der früheren Unternehmenseigentümer in der
NS-Zeit profitiert haben (sog. „loyale“ Erwerber), vor
Durchgriffsansprüchen geschützt werden. Der Gesetzgeber hat damit
nachvollziehbar die Interessen der Siedler, die bis zum 8. Mai 1945 in
einer bestimmten schützenswerten Weise Eigentum erworben haben,
gegenüber den Restitutionsinteressen der NS-Opfer höher gewichtet. Da
der Schutz sich auf die Eigentümlichkeit des rechtsgeschäftlichen
Erwerbsvorgangs bezieht, ist es zudem jedenfalls nicht sachwidrig, wenn
er auch den Rechtsnachfolgern der ursprünglichen Erwerber gewährt wird.
Ebenfalls unbedenklich ist, dass der Schutz sich nicht allein auf
diejenigen Eigentümern erstreckt, die ihre Grundstücke heute tatsächlich
noch selbst nutzen.
Mit Blick auf diejenigen natürlichen Personen, die ihre
Eigenheimgrundstücke von Unternehmensparzellierern erworben haben,
welche nicht unter § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG fallen, ist allerdings
einzuräumen, dass diese im Einzelfall ebenfalls Eigentum erlangt haben
können, ohne dabei in treuwidriger Weise von einer etwaigen
NS-Verfolgung profitiert zu haben. Der Gesetzgeber war jedoch zu der von
ihm in § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG gewählten typisierenden Regelung
berechtigt, so dass die Außerachtlassung anderer als der in § 3 Abs. 1
Satz 11 VermG genannten Unternehmensparzellierer beim
Restitutionsausschluss von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist.
Vorliegend erscheint eine Typisierung insbesondere mit Blick darauf
gerechtfertigt, dass es sich um Jahrzehnte zurückliegende Sachverhalte
handelt, deren Aufklärung oft nur unter großen Schwierigkeiten möglich
ist. Es liegt deshalb durchaus nahe, dass der Gesetzgeber die
Feststellung eines „loyalen“ Erwerbs auf das Vorliegen einer bestimmten,
leicht feststellbaren Tatbestandskonstellation beschränkt hat, bei der
ein solcher Erwerb angesichts der Umstände jedenfalls mit großer
Sicherheit vorausgesetzt werden kann. Hinsichtlich der Vergleichsgruppe
der Privatparzellierer ist die Differenzierung ebenfalls nicht evident
sachwidrig. Die prinzipielle Ungleichartigkeit der Regelungsgegenstände
hat den Gesetzgeber im Rahmen der restitutionsrechtlichen Vorschriften
des Vermögensgesetzes von vornherein zu einem unterschiedlichen
Regelungsansatz bei der Restitution von Unternehmen und sonstigen
Vermögensgegenständen veranlasst, die durch § 3 Abs. 1 Satz 4 und 5
VermG nur ausnahmsweise durchbrochen ist. Durch die in § 3 Abs. 1 Satz
11 VermG enthaltene Gegenausnahme kehrt das Gesetz für den Fall
bestimmter Unternehmensparzellierer wieder zu der Trennung und
unterschiedlichen rechtlichen Behandlung beider Regelungsbereiche
zurück, die das Vermögensgesetz auch im Übrigen beherrscht.
Auch Art. 14 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Für den hier in Rede
stehenden Fall, dem der verfolgungsbedingte Entzug einer
Unternehmensbeteiligung zugrunde liegt, ist bereits ein Eingriff in das
Grundrecht nicht feststellbar, weil der Restitutionsanspruch nach der
verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegung durch das
Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig mit dem Anspruchsausschluss nach §
3 Abs. 1 Satz 11 VermG in Kraft getreten und damit von vornherein mit
diesem belastet gewesen ist. Damit sind die Durchgriffs-ansprüche nur
mit den Beschränkungen nach § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG in den
Schutzbereich des Art. 14 GG gelangt.
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