Sachverhalt:
Der Veranstalter meldete für den 5. September 2009 eine Versammlung in
Dortmund samt Aufzug unter dem Motto „Gegen imperialistische
Kriegstreiberei und Aggressionskriege - für freie Völker in einer freien
Welt“ mit einer zu erwartenden Teilnehmerzahl von circa 1.000
Teilnehmern an (Fünfter Antikriegstag). Mit an den Beschwerdeführer als
Versammlungsleiter adressierter Verbotsverfügung vom 14. Juli 2009
verbot die Versammlungsbehörde die geplante Versammlung unter Berufung
auf das Erscheinen von Demonstranten aus der Szene der „Autonomen
Nationalisten“ wegen der unmittelbaren Gefahr für die öffentliche
Sicherheit gemäß § 15 Abs. 1 VersG und erklärte das Verbot für sofort
vollziehbar. Die vom Beschwerdeführer angestrengten Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten blieben
erfolglos. In seinem mit einer Verfassungsbeschwerde verbundenen Antrag
auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom heutigen Tage rügt der
Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts der
Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG. Die erste Kammer des Ersten
Senats des Bundesverfassungsgerichts hat in ihrem Beschluss die
aufschiebende Wirkung der Klage des Beschwerdeführers gegen die
Verbotsverfügung wiederhergestellt, da die Versammlungsbehörde und die
Verwaltungsgerichte keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für
eine unmittelbare - ein Verbot rechtfertigende - Gefahr für die
öffentliche Sicherheit aufgezeigt haben. Gleichzeitig hat die Kammer die
einstweilige Anordnung mit der Maßgabe versehen, dass von der
Versammlungsbehörde für erforderlich gehaltenen Auflagen Folge zu
leisten ist.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die mögliche Teilnahme einer größeren Zahl von Anhängern der „Autonomen
Nationalisten“ an einer Großdemonstration begründet nicht schon für sich
gesehen die Annahme, dass von einer unmittelbaren Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit auszugehen ist und allein deshalb ein Verbot der
Versammlung gerechtfertigt ist.
Keine der von der Versammlungsbehörde und den Verwaltungsgerichten für
die Gefahrenprognose herangezogenen Äußerungen und Aufrufe aus der Szene
der „Autonomen Nationalisten“ im Internet weist einen Bezug zu der
konkret geplanten Versammlung auf. Soweit die Versammlungsbehörde und
die Verwaltungsgerichte eine Indizwirkung für das Gefahrenpotential aus
früheren rechtsradikalen Versammlungen ableiten, ist eine hinreichend
konkrete Tatsachengrundlage ebenfalls nicht dargetan. Als
Vorgängerversammlungen sind in erster Linie diejenigen Veranstaltungen
heranzuziehen, die bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des
Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplante
Versammlung aufweisen. Die Antikriegstags-Versammlungen in den Jahren
2005, 2006 und 2007 sind nach den Angaben in der Verbotsverfügung
gänzlich ohne Vorkommnisse durchgeführt worden. Auf der
Antikriegstag-Versammlung im Jahr 2008 ist es zwar augenscheinlich zu
gewissen tätlichen Auseinandersetzungen gekommen, die Angaben der
Versammlungsbehörde zu Umfang, Intensität und Folgen dieser
Tätlichkeiten sind allerdings zu unbestimmt, um den Schluss zuzulassen,
dass die Versammlung selbst die Schwelle zur Gewaltanwendung
überschritten hat. Die früheren 1. Mai-Demonstrationen standen unter
einem anderem Motto, erfolgten zu einem anderen, noch
konfliktträchtigeren Datum, teils an einem anderen Ort und teils ohne
Anmeldung. Auch gab es knapp einen Monat vor der geplanten Versammlung
in Bad Nenndorf eine rechtsradikale Versammlung unter Beteiligung von
Demonstranten der „Autonomen Nationalisten“ ohne jegliche
Gewaltanwendung.
Die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte haben hinsichtlich
der Bereitschaft und Fähigkeit der verantwortlichen Organisatoren der
Versammlung auch nicht hinreichend berücksichtigt, dass sich diese in
einem auf die konkrete Versammlung bezogenen Aufruf ausdrücklich von
Gewaltanwendung distanziert und insoweit Anstrengungen unternommen
haben, die auf einen gewaltfreien Verlauf der geplanten Versammlung
abzielen. Dabei hätten die Versammlungsbehörde und die
Verwaltungsgerichte in Rechnung stellen müssen, dass der
Beschwerdeführer unwidersprochen vorgetragen hat, seit fast zehn Jahren
als Versammlungsleiter tätig zu sein und nahezu Hundert Versammlungen
durchgeführt zu haben, ohne dass eine Versammlung unfriedlich verlaufen
sei. Das Gegenteil dieser Behauptung ist von den Verwaltungsgerichten
nicht festgestellt worden. Des Weiteren hätten die Verwaltungsgerichte
den Umstand einbeziehen müssen, dass der Beschwerdeführer die Polizei
ermutigt hat, frühzeitig und konsequent von ihren präventiven
Kontrollbefugnissen im Vorfeld der geplanten Versammlung Gebrauch zu
machen.
Schließlich scheidet vor diesem Hintergrund ein Versammlungsverbot - als
stärkster Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit - auch
deswegen aus, weil mildere Mittel nicht ausgeschöpft worden sind. Die
Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte haben im vorliegenden
Fall alternative Methoden der Rechtsgüterkonfliktbewältigung wie
beispielsweise versammlungsrechtliche Auflagen oder den frühzeitigen und
verstärkten Einsatz polizeilicher Vorabkontrollen nicht hinreichend
geprüft und mit tragfähiger Begründung ausgeschieden.
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