Die Beschwerdeführerin verlegt eine Zeitschrift, die sich mit dem
Börsengeschehen befasst. Im November 2000 veröffentlichte sie innerhalb
der ständigen Rubrik „Meinungen - Presseschau - Nachrichten“, in der sie
regelmäßig als solche gekennzeichnete fremde Berichte anderer
Presseorgane wiedergibt, Auszüge aus einer zuvor in einer Tageszeitung
erschienenen Berichterstattung, die sich mit einem strafrechtlichen
Ermittlungsverfahren gegen den Kläger des Ausgangsverfahrens wegen des
Verdachts der verbotenen Insidergeschäfte und des Betruges zum Nachteil
von Kapitalanlegern befasst. Das Strafverfahren wurde kurz darauf durch
die Staatsanwaltschaft eingestellt, da eine Beteiligung des Klägers an
den seinem Mitarbeiter vorgeworfenen Taten nicht nachgewiesen werden
könne.
Das Landgericht Hamburg verurteilte die Beschwerdeführerin zur
Unterlassung der in der beanstandeten Wiedergabe des Fremdberichtes
enthaltenen Tatsachenbehauptung, der Kläger sei an den betreffenden
Taten beteiligt gewesen. Diese Behauptung komme zwar nicht offen, wohl
aber verdeckt in der beanstandeten Presseschau zum Ausdruck. Ob in
dieser auszugsweisen Darstellung eine eigene Erklärung der
Beschwerdeführerin zu sehen sei, könne offen bleiben, da sie jedenfalls
als Verbreiterin fremder Äußerungen hafte. Eine Distanzierung, welche
die Verbreiterhaftung ausschließen könne, liege hinreichend weder in der
Veröffentlichungsform der kenntlich gemachten Wiedergabe fremder
Beiträge innerhalb einer Presseschau, noch werde sie in genügender Weise
durch den Hinweis bewirkt, die Beschwerdeführerin zitiere an dieser
Stelle nur fremde Meinungen und enthalte sich der eigenen Stellungnahme.
Angesichts ihres Verschuldens sei die Beschwerdeführerin auch dem Grunde
nach zum Schadensersatz verpflichtet.
Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg wies die hiergegen gerichtete
Berufung zurück. Mit Veröffentlichung ihrer Presseschau habe die
Beschwerdeführerin auch nicht einen „Markt der Meinungen“ eröffnet, der
einer Verbreiterhaftung entgegenstehe könne, denn die beanstandete
Wiedergabe des Fremdberichts sei thematisch isoliert und gerade nicht im
Rahmen einer Zusammenstellung verschiedener Äußerungen zu demselben
Thema veröffentlicht worden.
Die Verfassungsbeschwerde, mit der die Beschwerdeführerin insbesondere
eine Verletzung ihrer Grundrechte auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1
Satz 1 GG) und auf Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) rügt, hat
die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts nicht zur
Entscheidung angenommen. Die angegriffenen Entscheidungen begegnen
allerdings Bedenken, soweit die Verurteilung zu Unterlassung und
Schadensersatz auf eine uneingeschränkte Verbreiterhaftung gestützt
wurde. Verfassungsrechtlich ist es zwar dem Grundsatz nach nicht zu
beanstanden, wenn die Fachgerichte demjenigen, der die Äußerung eines
Dritten verbreitet, ohne sie sich zu eigen zu machen, die Pflicht
auferlegen, sich vom Wahrheitsgehalt der weitergegebenen
Tatsachenbehauptungen zu vergewissern. Auch bei Bemessung derjenigen
Sorgfaltspflichten, die der Presse bei Verbreitung einer fremden
Äußerung abzuverlangen sind, darf die Wahrheitspflicht aber nicht
überspannt werden, um den von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten freien
Kommunikationsprozess nicht einzuschnüren. Eine Presseschau
beziehungsweise ein Pressespiegel stellt ein klassisches Instrument der
Presseberichterstattung dar, um dem Mediennutzer einen Überblick über
das in der Presse referierte oder vertretene Meinungsspektrum zu einem
aktuellen Thema zu vermitteln. Ungeachtet dessen, ob eine solche
Veröffentlichung in Form einer gegenüberstellenden Darstellung
verschiedener Meinungen und Standpunkte zu einem bestimmten Thema
erfolgt, die in der fachgerichtlichen Rechtsprechung in Anwendung der
Rechtsfigur der Eröffnung eines Marktes der Meinungen bereits eine
Privilegierung durch Einschränkung der Haftung des Veröffentlichenden
als Verbreiter erfährt, oder ob die Presseschau sich auf die Wiedergabe
thematisch für sich stehender Fremdberichte beschränkt, nimmt die Presse
auf diese Weise ihre Aufgabe wahr, in Ausübung der Meinungsfreiheit die
Öffentlichkeit zu informieren und an der demokratischen Willensbildung
mitzuwirken. Bereits aus der äußeren Form einer Presseschau, die in
einer eigenständigen Rubrik publiziert wird und sich unter exakter
Quellenangabe sowie Verzicht auf sprachliche Eleganz auf knappe Auszüge
fremder Berichte beschränkt, ergibt sich aus Sicht des
unvoreingenommenen Lesers im Übrigen, dass an dieser Stelle ein
Fremdbericht in stark verkürzter Form wiedergegeben wird, dem keine
eigenen Recherchen des Verbreiters zu Grunde liegen. Aus
verfassungsrechtlicher Sicht ist daher zumindest zweifelhaft, ob im Fall
einer Presseschau den Verbreiter die Recherchepflicht uneingeschränkt
trifft beziehungsweise ob nicht die eindeutige Kennzeichnung als
gekürzter Fremdbericht im Regelfall als hinreichende Distanzierung
anzusehen ist. Die angegriffenen Entscheidungen lassen nicht erkennen,
dass die Fachgerichte bei Bemessung der Sorgfalts? oder
Distanzierungspflichten des Verbreiters die Ausstrahlungswirkungen des
Grundrechts der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG
hinreichend berücksichtigt haben. Ebenso ist ihren Gründen nicht zu
entnehmen, dass die Fachgerichte den Verbürgungen des Art. 10 Abs. 1 der
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in ihrer
Auslegung, die sie durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
erfahren haben und die einer von den Gerichten angenommenen generellen
Obliegenheit, sich von dem Inhalt einer wiedergegebenen
Fremdberichterstattung zu distanzieren, möglicherweise entgegenstehen,
hinreichend Rechnung getragen haben.
Einer endgültigen Entscheidung bedürfen die aufgeworfenen
verfassungsrechtlichen Fragen allerdings nicht, da deutlich absehbar
ist, dass die Beschwerdeführerin auch bei Zurückverweisung in der Sache
keinen Erfolg haben wird. Die Fachgerichte haben bei Beurteilung des den
Schadensersatzanspruch tragenden Verschuldens in verfassungsrechtlich
nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass die Beschwerdeführerin
durch Auslassung wesentlicher Tatsachen den Sinngehalt des
Ursprungsbeitrages verfälscht hat. Die darin liegende grobe Verletzung
der pressemäßigen Sorgfaltspflichten, die mit Rücksicht auf das
Persönlichkeitsrecht des von der wiedergegebenen Berichterstattung
Betroffenen auch bei Verbreitung fremder Äußerungen in einer Presseschau
Beachtung verlangen, ist geeignet, die angegriffenen Entscheidungen
ungeachtet einer eventuell eingeschränkten Recherchepflicht oder einer
eventuellen Distanzierung von der Richtigkeit der selektiv
wiedergegebenen Tatsachenbehauptungen im Rahmen einer Abwägung zu
tragen. Die Entscheidungen lassen auch erkennen, dass die Gerichte im
Fall der Zurückverweisung im Rahmen der Abwägung zu keinem anderen
Ergebnis kommen würden.
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