Die Beschwerdeführerin war Eigentümerin mehrerer Grundstücke mit
Kiesvorkommen. Diese wurden 1986 versteigert, nachdem das im
Ausgangsverfahren beklagte Kreditinstitut seine Zusage, der
Beschwerdeführerin zur Abwendung der Zwangsversteigerung einen Kredit zu
gewähren, am Tag der Versteigerung zurückgezogen hatte. Im Jahr 1987
reichte die Beschwerdeführerin beim Landgericht Hamburg eine Klage auf
Schadensersatz gegen das Kreditinstitut ein, weil sie der Meinung war,
die Grundstücke seien weit unter Wert verschleudert worden. Im Jahr 1990
sprach das Oberlandesgericht in zweiter Instanz der Beschwerdeführerin
den Schadensersatzanspruch dem Grunde nach zu Zweidritteln zu und
verwies die Sache zur Entscheidung über die Höhe des
Schadensersatzanspruchs an das Landgericht zurück. Eine Entscheidung im
Betragsverfahren erging bis heute nicht. Zunächst führte das Landgericht
von Februar 1991 bis September 1993 das Verfahren auf Bitten der
Beschwerdeführerin wegen schwebender Vergleichsverhandlungen nicht fort.
Während des Betragsverfahrens wechselte die Beschwerdeführerin mehrfach
den Prozessbevollmächtigten, änderte wiederholt ihre Klaganträge und
stellte mehrere Prozesskostenhilfeanträge. Soweit ihre
Prozesskostenhilfeanträge abgelehnt wurden, focht die Beschwerdeführerin
die Entscheidungen des Landgerichts an. Überdies stellte sie
verschiedene Befangenheitsanträge gegen die Richter der Zivilkammer und
die vom Gericht beauftragten Sachverständigen. Im Jahr 1996 gab das
Landgericht ein erstes Gutachten zur Feststellung des Verkehrswerts der
versteigerten Grundstücke ohne Berücksichtigung der Kiesvorkommen in
Auftrag. Im Jahr 2007 beauftragte das Landgericht einen anderen
Sachverständigen mit der erneuten Bewertung der Grundstücke; diesmal
unter Berücksichtigung der Kiesvorkommen. Nach Erstattung des Gutachtens
Anfang 2008 lehnte die Beschwerdeführerin den Sachverständigen
erfolgreich als befangen ab, woraufhin das Landgericht die Einholung
eines Gutachtens durch einen neuen Sachverständigen anordnete. Mit ihrer
Verfassungsbeschwerde wandte sich die Beschwerdeführerin gegen die
überlange Dauer des Hauptsacheverfahrens und gegen die Zurückweisung
eines ihrer Prozesskostenhilfeanträge.
Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin angenommen, soweit sie eine
Verletzung ihres aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG folgenden
Rechts auf effektiven Rechtsschutz rügt. Die bisherige Dauer des
Verfahrens begründet einen Verfassungsverstoß. Auch wenn die
Beschwerdeführerin durch ihr Prozessverhalten zur Länge des Verfahrens
beigetragen hat, ist es nach Abwägung sämtlicher Umstände
verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, dass der Abschluss des
erstinstanzlichen Verfahrens nach über 22 Jahren noch nicht absehbar
ist. Das Landgericht ist nunmehr gehalten, unverzüglich geeignete
Maßnahmen zu ergreifen, die zu einem möglichst raschen Abschluss des
Verfahrens führen. Angesichts der Außergewöhnlichkeit der
verfassungswidrigen bisherigen Gesamtdauer wird auch das Präsidium des
Landgerichts Sorge für die Sicherstellung von Rahmenbedingungen zu
tragen haben, unter denen die Kammer das Verfahren bestmöglich fördern
kann.
In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich
aus Art. 2 Abs. 1 iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) die
Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes für
bürgerlichrechtliche Streitigkeiten im materiellen Sinn ableiten lässt
und sich daraus die Verpflichtung der Fachgerichte ergibt,
Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen.
Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist aber stets nach den
besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen. Es gibt keine
allgemeingültigen Zeitvorgaben; verbindliche Richtlinien können auch der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht
entnommen werden.
Bei der Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der
Verfahrensdauer im vorliegenden Fall ist zu bedenken, dass die
Bestimmung der Schadensersatzhöhe in Anbetracht der Schwierigkeit der
Bewertung von Kiesgrundstücken nicht unerhebliche Probleme aufwirft,
zumal angesichts der unübersichtlichen Rechtsverhältnisse unklar ist,
welche Belastungen der Grundstücke im Zeitpunkt der Zwangsversteigerung
bestanden. Überdies ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin
durch eine Vielzahl von Fristverlängerungsanträgen, mehrfache
Anwaltswechsel, vier Befangenheitsanträge, mehrfache Klagänderungen
sowie durch das von ihr veranlasste Nichtfortführen des Verfahrens
zwischen 1991 und 1993 selbst erhebliche Verzögerungen verursacht hat.
Gleichwohl sind hier angesichts der außergewöhnlich langen
Verfahrensdauer die Grenzen des für einen Prozessbeteiligten unter dem
Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes noch Hinnehmbaren deutlich
überschritten: Die Pflicht zur nachhaltigen Beschleunigung des
Verfahrens durch die Fachgerichte wird dadurch verstärkt, dass die
Beschwerdeführerin durch den Rechtsstreit erheblichen finanziellen
Lasten ausgesetzt ist. Außerdem hat sie trotz Zuerkennung von
Zweidritteln des Anspruchs dem Grunde nach auch nach beinahe 19 Jahren
noch keinen vollstreckbaren Titel erhalten.
Zu justiziell zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen ist es im
Zusammenhang mit Wechseln in der Besetzung der entscheidenden Kammer
gekommen, die eine zeitweise Untätigkeit des Landgerichts zur Folge
hatten. Diese sind dem Staat jedenfalls insoweit zuzurechnen, als sie
durch eine anderweitige Organisation hätten verhindert werden können.
Dies gilt insbesondere für voraussehbare personelle Engpässe.
Entscheidend für die Feststellung des Verfassungsverstoßes ist, dass
sich das Landgericht angesichts der außergewöhnlich langen
Verfahrensdauer nicht darauf hätte beschränken dürfen, das Verfahren wie
einen gewöhnlichen, wenn auch komplizierten Rechtsstreit zu behandeln.
Vielmehr hätte es unter Zugrundelegung seines rechtlichen
Ausgangspunktes sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der
Verfahrensbeschleunigung nutzen müssen. Gegebenenfalls wäre es gehalten
gewesen, sich um gerichtsinterne Entlastungsmaßnahmen zu bemühen. Es ist
nicht ersichtlich, dass das Landgericht besondere Maßnahmen zur
Beschleunigung des Verfahrens ergriffen hätte. Eine Beschleunigung war
hier jedenfalls nicht ausgeschlossen. Dies gilt insbesondere
hinsichtlich der Beweisaufnahme. Bereits bei Einholung des ersten
Gutachtens hatte das Landgericht erkannt, dass ein weiteres Gutachten
zur Bewertung der Kiesvorkommen erforderlich sein würde. Dies hätte es
jedenfalls unverzüglich nach Eingang des ersten Gutachtens, wenn nicht
schon parallel in Auftrag geben müssen. Überdies hätte das Landgericht
die Hauptsache während der schwebenden Beschwerdeverfahren über die
Prozesskostenhilfeentscheidungen weiter betreiben können. Der
organisatorische Aufwand für die Anfertigung eines Aktendoppels konnte
angesichts der Verfahrensdauer keinen Hinderungsgrund darstellen.
Soweit die Beschwerdeführerin sich gegen die
Prozesskostenhilfeentscheidungen wendet, wurde die Verfassungsbeschwerde
mangels Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen.
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