Die Wahlprüfungsbeschwerde, mit der sich der Beschwerdeführer gegen die
Bekanntgabe des vorläufigen Ergebnisses der Wahl zum 16. Deutschen
Bundestag am 19. September 2005 und damit vor der Nachwahl im Wahlkreis
160 (Dresden I) am 2. Oktober 2005 wandte, hatte keinen Erfolg. Die
Regelung der Nachwahl in § 43 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und Abs. 3 des
Bundeswahlgesetzes in der Fassung vom 23. Juli 1993 und in § 82 BWO ist
mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Anordnung und die Durchführung der
Nachwahl ist ein anerkanntes und herkömmliches Institut des Wahlrechts.
Sie wurde korrekt unter Einhaltung der Vorschriften des § 43 Abs. 2 und
Abs. 3 BWG a.F. in Verbindung mit § 82 BWO durchgeführt. Auch die
Ermittlung und die Bekanntgabe des vorläufigen amtlichen Wahlergebnisses
am Tage der Hauptwahl verletzten weder die Grundsätze der Öffentlichkeit
der Wahl, die Chancengleichheit, die Freiheit der Wahl und die geheime
Wahl. Die Auslegung und die Anwendung der Vorschriften des
Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung sind nicht zu beanstanden.
Den Termin der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag bestimmte der
Bundespräsident auf den 18. September 2005. Nach der Entscheidung über
die Zulassung der Wahlvorschläge verstarb am 7. September 2005 die
Wahlkreisbewerberin der NPD im Wahlkreis 160 (Dresden I). Daraufhin
wurde die Wahl im betroffenen Wahlkreis abgesagt und der Termin für die
Nachwahl auf den 2. Oktober 2005 festgelegt. Nach der Hauptwahl am 18.
September 2005 wurde das erste vorläufige amtliche Ergebnis am frühen
Morgen des 19. September 2005 vom Bundeswahlleiter verkündet. Die
Zweitstimmenanteile für die einzelnen Parteien und die jeweiligen
Mandatszahlen der Landeslisten, einschließlich der Überhangmandate,
wurden zunächst ohne die Ergebnisse des Wahlkreises Dresden I errechnet
(Pressemitteilung des Bundeswahlleiters vom 19. September 2005). Nach
der Bekanntgabe des vorläufigen Wahlergebnisses am 19. September 2005
konnten vergleichsweise präzise Berechnungen dazu angestellt werden,
welches Zweitstimmenergebnis in dem Wahlkreis Dresden I zum Gewinn oder
Verlust eines Überhangmandats oder zu Mandatsverschiebungen führen
würde. Die entsprechenden Berechnungen zu den Zweit- und Erststimmen
wurden in den Medien in den Tagen bis zur Nachwahl in Dresden auch
publiziert. Die Parteien in Dresden stellten ihren Wahlkampf jedenfalls
teilweise auf dieVorhersagen in den Medien ein.
Am Abend der Nachwahl, am 2. Oktober 2005, gab der Bundeswahlleiter
unter Einbeziehung der Wahlergebnisse im Wahlkreis 160 (Dresden I) ein
„zweites vorläufiges amtliches Ergebnis der Wahl zum 16. Deutschen
Bundestag“ bekannt, das gegenüber dem am Tag der Hauptwahl bekannt
gegebenen vorläufigen amtlichen Ergebnis zu Verschiebungen in der
Zuordnung der Sitze im Deutschen Bundestag führte. Mit seiner
Wahlprüfungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die
Bekanntgabe des vorläufigen Wahlergebnisses vor Durchführung der
Nachwahl und gegen die Regelung der Nachwahl im Bundeswahlgesetz. Die
bisherige Lösung des Gesetzes und ihre Ausgestaltung und Anwendung führe
dazu, dass unterschiedliche Wahlgruppen unterschiedliche Erfolgschancen
und dadurch einen unterschiedlichen Stimmwert hätten.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
§ 43 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und Abs. 3 BWG a.F. ist mit dem Grundgesetz,
insbesondere mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl aus Art. 38 Abs.
1 Satz 1 GG, vereinbar. Die Ermittlung, Feststellung und Bekanntgabe des
vorläufigen Wahlergebnisses nach der Hauptwahl sind aus
verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Das bestehende
Regelwerk des Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung führt bei
einer Nachwahl, sofern sie nicht am Tag der Hauptwahl stattfinden kann,
dazu, dass die zur Nachwahl berechtigten Bürger das vorläufige und
unvollständige Wahlergebnis der Hauptwahl kennen. Damit können diese
Wähler in Kenntnis des Wahlausgangs ihre Wahlentscheidung auch unter
taktischen Gesichtspunkten treffen. Die Wahlergebnisse bei der Nachwahl
im Wahlkreis 160 (Dresden I) zeigen, dass von dieser Möglichkeit auch
Gebrauch gemacht wurde. Taktische Wahlentscheidungen stellen aber
grundsätzlich eine legitime Beteiligung des mündigen Bürgers an der
Willensbildung in einem demokratisch verfassten Staat dar. Ob
demgegenüber der ein solches Wahlverhalten leitende
Informationsvorsprung der Wahlberechtigten einer Nachwahl im Verhältnis
zu den übrigen Wählern die Gewährleistungsgehalte der
Wahlrechtsgleichheit beeinträchtigt, kann offen bleiben, denn jedenfalls
wäre eine derartige Beeinträchtigung gerechtfertigt. Die Nachwahl ist -
auch außerhalb des deutschen Wahlsystems - ein anerkanntes und
herkömmliches Institut des Wahlrechts.
Die Nachwahl ermöglicht den Wählern in den betroffenen Wahlkreisen
überhaupt erst die Teilnahme an der Wahl und verwirklicht damit den
Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG). Dieser
gewichtige Wahlgrundsatz wird flankiert von dem Grundsatz der
Chancengleichheit von Parteien und Wahlbewerbern (Art. 21 Abs. 1 GG und
Art. 38 Abs. 1 GG). Die Nachwahl stellt sicher, dass die betroffene
Partei für ihren verstorbenen Wahlkreisbewerber einen anderen Bewerber
benennen und an dem Wettbewerb um das Wahlkreismandat teilnehmen kann.
Die Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses unterliegt auch dem
Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl. Dieser verpflichtet den
Gesetzgeber, das Wahlverfahren in einer Weise zu gestalten, die die
öffentliche Kontrolle der Wahlen durch den Bürger erlaubt. Die Kontrolle
wäre zumindest erheblich erschwert, wenn die Ergebnisse der Hauptwahl
erst nach Abschluss der Nachwahl ermittelt würden. Die ordnungsgemäße
Aufbewahrung der Wahlurnen über einen längeren Zeitraum hin in einer für
die Öffentlichkeit effektiv nachvollziehbaren Weise zu überwachen,
stieße auf kaum überwindliche praktische Schwierigkeiten.
Der Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber und Parteien ist
nicht verletzt. Die Parteien haben zwischen der Haupt- und der Nachwahl
ausreichend Gelegenheit, um auf das Ergebnis der Hauptwahl zu reagieren
und auf dieser Grundlage bei den Nachwählern um deren Stimmen zu werben.
Diese Möglichkeit des Ausgleichs durch den Wahlwettbewerb steht allen
Parteien gleichermaßen offen.
Die Feststellung eines (vorläufigen) Ergebnisses nach der Hauptwahl und
dessen Bekanntgabe durch den Bundeswahlleiter vor Durchführung der
Nachwahl stellen auch keine Beeinträchtigung der Freiheit der Wahl dar.
Es fehlt schon an dem Willen, auf die Wahlhandlung der Wähler Einfluss
auszuüben. Kein Wähler wird durch die vorläufige Bekanntgabe des
Wahlergebnisses zu einem bestimmten Verhalten genötigt oder in seiner
Entscheidungsfreiheit ernstlich beeinträchtigt.
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