Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat eine
Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen, die sich gegen die Sicherstellung
und Beschlagnahme von E-Mails auf dem Mailserver des Providers wendete.
Zwar greifen diese Maßnahmen in das verfassungsrechtlich gewährleistete
Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 Abs. 1 GG ein. Die allgemeinen
strafprozessualen Vorschriften der §§ 94 ff. StPO rechtfertigen jedoch
diesen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis, wenn dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit und den sachlichen Erfordernissen einer
entsprechenden Ausgestaltung des strafprozessualen Verfahrens Rechnung
getragen wird.
Der Verfassungsbeschwerde lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Das Amtsgericht ordnete in einem Ermittlungsverfahren gegen Dritte wegen
Betrugs und Untreue die Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers
an, um dort Unterlagen und Datenträger, insbesondere Textdateien und
E-Mails aufzufinden, die als Beweismittel in Betracht kamen. Der
Beschwerdeführer hatte sein E-Mail-Programm so eingestellt, dass seine
E-Mails nicht standardmäßig auf seinen lokalen Rechner übertragen
wurden, sondern auch nach dem Abruf in einem zugangsgesicherten Bereich
auf dem Mailserver seines Providers gespeichert blieben. Die E-Mails
konnten von dem PC des Beschwerdeführers nur abgerufen werden, indem
eine Internetverbindung hergestellt wurde. Bei der Durchsuchung seiner
Wohnung wies der Beschwerdeführer die Ermittlungspersonen auf diese
Sachlage hin. Er verwahrte sich aber gegen einen Zugriff auf die
E-Mails, weil der Durchsuchungsbeschluss dies nicht zulasse.
Das Amtsgericht ordnete daraufhin die Beschlagnahme der Daten auf dem
E-Mail-Account des Beschwerdeführers bei seinem Provider an. Der
Beschwerdeführer wusste von diesem Beschluss, der fernmündlich von der
Staatsanwaltschaft aus seinen Räumen beantragt und vom Amtsgericht
dorthin übermittelt worden war. Am selben Tag wurden beim Provider die
gesamten etwa 2.500 E-Mails des Beschwerdeführers, die seit Januar 2004
bis März 2006 auf dem Mailserver gespeichert worden waren, auf einen
Datenträger kopiert und den Ermittlungsbehörden übergeben. Die
Beschwerde dagegen blieb ohne Erfolg. Auf einen Eilantrag des
Beschwerdeführers wies die 3. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts im Wege einer einstweiligen Anordnung das
Amtsgericht an, im Einzelnen bezeichnete Datenträger, Ausdrucke und
Schriftstücke zu versiegeln und in Verwahrung zu nehmen.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts wies die
Verfassungsbeschwerde nunmehr zurück und entschied, dass die
angegriffenen Entscheidungen den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den
damit verbundenen Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG genügen, so dass der
Beschwerdeführer durch die Sicherstellung der E-Mails auf dem Server des
Providers nicht in seinen Grundrechten verletzt ist.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Der zugangsgesicherte Kommunikationsinhalt in einem E Mail-Postfach, auf
das der Nutzer nur über eine Internetverbindung zugreifen kann, ist
durch das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) geschützt. Der
Kommunikationsteilnehmer hat keine technische Möglichkeit, die
Weitergabe der E-Mails durch den Provider an Dritte zu verhindern.
Dieser technisch bedingte Mangel an Beherrschbarkeit begründet die
besondere Schutzbedürftigkeit durch das Fernmeldegeheimnis, welches
jenen Gefahren für die Vertraulichkeit begegnen will, die sich aus der
Verwendung eines Kommunikationsmediums ergeben, das einem staatlichem
Zugriff leichter ausgesetzt ist als die direkte Kommunikation unter
Anwesenden. Dies gilt unabhängig davon, ob eine E-Mail auf dem
Mailserver des Providers zwischen- oder endgespeichert ist. Dem Schutz
durch Art. 10 Abs. 1 GG steht nicht entgegen, dass während der
Zeitspanne, während deren die E-Mails auf dem Mailserver des Providers
„ruhen“, ein Telekommunikationsvorgang in einem dynamischen Sinne nicht
stattfindet. Art. 10 Abs. 1 GG folgt nicht dem rein technischen
Telekommunikationsbegriff des Telekommunikationsgesetzes, sondern knüpft
an den Grundrechtsträger und dessen Schutzbedürftigkeit aufgrund der
Einschaltung Dritter in den Kommunikationsvorgang an. Die spezifische
Gefährdungslage und der Zweck der Freiheitsverbürgung von Art. 10 Abs. 1
GG bestehen auch dann weiter, wenn die E-Mails nach Kenntnisnahme beim
Provider gespeichert bleiben. Die Sicherstellung und Beschlagnahme von
auf dem Mailserver des Providers gespeicherten E-Mails greifen in den
Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses ein. Die Auslagerung der E-Mails
auf den nicht im Herrschaftsbereich des Nutzers liegenden Mailserver des
Providers bedeutet nicht, dass der Nutzer mit dem Zugriff auf diese
Daten durch Dritte einverstanden ist.
Die strafprozessualen Regelungen der §§ 94 ff. StPO ermöglichen
grundsätzlich die Sicherstellung und Beschlagnahme von E-Mails, die auf
dem Mailserver des Providers gespeichert sind. Sie genügen insoweit den
verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an eine gesetzliche
Ermächtigung für Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis zu stellen sind.
Insbesondere entsprechen sie insoweit dem Gebot der Normenbestimmtheit
und Normenklarheit.
§§ 94 ff. StPO sind hinsichtlich der Sicherstellung und Beschlagnahme
von auf dem Mailserver des Providers gespeicherten E-Mails auch
verhältnismäßig. Die wirksame Strafverfolgung, die Verbrechensbekämpfung
und das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen
Wahrheitsermittlung im Strafverfahren sind legitime Zwecke, die eine
Einschränkung des Fernmeldegeheimnisses rechtfertigen können. Zur
Wahrung der Verhältnismäßigkeit ist es nicht geboten, den Zugriff auf
beim Provider gespeicherte E-Mails auf Ermittlungen zu begrenzen, die
zumindest Straftaten von erheblicher Bedeutung betreffen, und
Anforderungen an den Tatverdacht zu stellen, die über den
Anfangsverdacht einer Straftat hinausgehen.
Auch der konkrete Eingriff aufgrund von §§ 94 ff. StPO war
verhältnismäßig. Dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses muss bereits in
der Durchsuchungsanordnung, soweit die konkreten Umstände dies ohne
Gefährdung des Untersuchungszwecks erlauben, durch Vorgaben zur
Beschränkung des Beweismaterials auf den erforderlichen Umfang Rechnung
getragen werden. Beim Zugriff auf umfangreiche elektronisch gespeicherte
E-Mail-Bestände sind die ver-fassungsrechtlichen Grundsätze zu
gewährleisten, die der Senat in seinem Beschluss zur Durchsuchung und
Beschlagnahme eines umfangreichen elektronischen Datenbestands (vgl.
BVerfGE 113, 29 <52 ff.>) entwickelt hat. Die Gewinnung überschießender,
für das Verfahren bedeutungsloser Daten ist nach Möglichkeit zu
vermeiden.
Eine sorgfältige Sichtung und Trennung der E-Mails nach ihrer
Verfahrensrelevanz wird am Zugriffsort nicht immer möglich sein. Sofern
die Umstände des jeweiligen strafrechtlichen Vorwurfs und die auch
technische Erfassbarkeit des Datenbestands eine unverzügliche Zuordnung
nicht erlauben, muss die vorläufige Sicherstellung größerer Teile oder
gar des gesamten E-Mail-Bestands erwogen werden, an die sich eine
Durchsicht gemäß § 110 StPO zur Feststellung der potenziellen
Beweiserheblichkeit und -verwertbarkeit der E-Mails anschließt. Ist den
Strafverfolgungsbehörden im Verfahren der Durchsicht unter zumutbaren
Bedingungen eine materielle Zuordnung der verfahrenserheblichen E-Mails
einerseits oder eine Löschung oder Rückgabe der verfahrensunerheblichen
E Mails an den Nutzer andererseits nicht möglich, steht der Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit einer Beschlagnahme des gesamten Datenbestands
nicht entgegen. Es muss dann aber im Einzelfall geprüft werden, ob der
umfassende Datenzugriff dem Übermaßverbot Rechnung trägt.
Bestehen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass ein Zugriff auf
gespeicherte Telekommunikation Inhalte erfasst, die zum Kernbereich
privater Lebensgestaltung zählen, hat er insoweit zu unterbleiben. Es
muss sichergestellt werden, dass Kommunikationsinhalte des
höchstpersönlichen Bereichs nicht gespeichert und verwertet, sondern
unverzüglich gelöscht werden, wenn es ausnahmsweise zu ihrer Erhebung
gekommen ist.
Der effektive Schutz materieller Grundrechte bedarf auch einer
entsprechenden Ausgestaltung des Verfahrens. Werden in einem Postfach
auf dem Mailserver des Providers eingegangene E-Mails sichergestellt,
ist der Postfachinhaber im Regelfall zuvor von den
Strafverfolgungsbehörden zu unterrichten, damit er jedenfalls bei der
Sichtung seines E-Mail-Bestands seine Rechte wahrnehmen kann. Werden auf
dem Mailserver des Providers gespeicherte E-Mails ausnahmsweise ohne
Wissen des Postfachinhabers sichergestellt, so ist dieser so früh, wie
es die wirksame Verfolgung des Ermittlungszwecks erlaubt, zu
unterrichten. Diesen Anforderungen wird durch § 35 StPO und § 98 Abs. 2
Satz 6 StPO Rechnung getragen.
Die Durchsicht gemäß § 110 StPO bezweckt die Vermeidung einer
übermäßigen und auf Dauer angelegten Datenerhebung. Zur Wahrung der
Verhältnismäßigkeit kann es im Einzelfall geboten sein, den Inhaber der
sichergestellten E-Mails in die Prüfung der Verfahrenserheblichkeit
einzubeziehen. Ob eine Teilnahme an der Sichtung sichergestellter
E-Mails geboten ist, ist im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung
einer wirksamen Strafverfolgung einerseits und der Intensität des
Datenzugriffs andererseits zu entscheiden.
Soweit E-Mails von den Ermittlungsbehörden gespeichert und ausgewertet
werden, kann es erforderlich sein, den Betroffenen Auskunft über die
Datenerhebung zu erteilen, um sie in den Stand zu versetzen, etwaige
Grundrechtsbeeinträchtigungen abzuwehren. Dem wird durch die besonderen
strafprozessualen Auskunftsregelungen gemäß § 147, § 385 Abs. 3, § 397
Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 385 Abs. 3, § 406e und § 475 StPO
sowie bei Nichtverfahrensbeteiligten durch § 491 StPO Rechnung getragen.
Der begrenzte Zweck der Datenerhebung gebietet grundsätzlich die
Rückgabe oder Löschung aller nicht zur Zweckerreichung benötigten
kopierten E-Mails. § 489 Abs. 2 StPO enthält entsprechende
Schutzvorkehrungen.
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