Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat im Urteil vom 10. Juni
2009 (- 1 BvR 706/08 - 1 BvR 814/08 - 1 BvR 819/08 - 1 BvR 832/08 und 1
BvR 837/08; vgl. insoweit Pressemitteilung vom 10. Juni 2009)
entschieden, dass die von den privaten Krankenversicherungen
angegriffenen Vorschriften des GKV-WSG und des VVG-ReformG grundsätzlich
mit der Verfassung im Einklang stehen. Daneben waren noch
Verfassungsbeschwerden von zwei kleineren Versicherungsvereinen auf
Gegenseitigkeit anhängig, die ausschließlich eine bestimmte Berufsgruppe
(Priester) versichern. Diese wurden vom Ersten Senat mit der Maßgabe
zurückgewiesen, dass der Kontrahierungszwang für den Basistarif durch
die Gesundheitsreform 2007 bei diesen kleineren Versicherungsvereinen
auf Gegenseitigkeit in die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG)
eingreift und ein solcher daher nur gegenüber Aufnahmebewerbern besteht,
welche die satzungsmäßigen Voraussetzungen des Vereins für eine
Mitgliedschaft erfüllen.
Bei den Beschwerdeführern handelt es um kleinere Versicherungsvereine
auf Gegenseitigkeit, die ihren Mitgliedern
Krankenkostenvollversicherungen und bestimmte Zusatzversicherungen
anbieten. Sie sind verpflichtet, die Versicherungsverträge stets im
Rahmen eines Mitgliedschaftsverhältnisses abzuschließen.
Versicherungsgeschäfte ohne Mitgliedschaft, die den größeren
Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit gestattet sind, sind ihnen
gesetzlich untersagt. Die beiden Beschwerdeführer wandten sich mit ihrer
Verfassungsbeschwerde gegen die neugeschaffenen Vorschriften des
Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG) vom 26.
März 2007 und des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts
(VVG-ReformG) vom 23. November 2007. Sie rügten vor allem, dass die
Vorschriften über den Kontrahierungszwang im Basistarif für sie ein
faktisches Verbot der reinen Standesversicherung darstellten. Auch in
dem absoluten Kündigungsverbot für alle Krankenkostenvollversicherungen
sahen sie eine Verletzung ihrer Vereinigungsfreiheit.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: §
193 Abs. 5 Satz 1 VVG und § 12 Abs. 1b Satz 1 VAG sind
verfassungskonform so auszulegen, dass ein Antragsteller nur dann im
Basistarif aufgenommen werden muss, soweit er zum satzungsmäßigen
Mitgliederkreis des jeweiligen kleineren Versicherungsvereins zählt.
Anders als bei den großen Privaten Krankenversicherern, stellt die
Pflicht zur Gewährung von Versicherungsschutz im Basistarif für kleinere
Versicherungsvereine, die im Gegensatz zu den großen
Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit nur Mitglieder-, aber keine
Vertragsgeschäfte führen dürfen, einen Eingriff in deren Recht auf
Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) dar. Eine von diesem Grundrecht
angeleitete verfassungskonforme Auslegung ergibt jedoch, dass der
Kontrahierungszwang im Basistarif nicht in vollem Umfang für kleinere
Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit gilt, so dass ein Verstoß gegen
die Vereinigungsfreiheit im Ergebnis nicht vorliegt.
Die kleineren Versicherungsvereine haben bestimmungsgemäß einen
sachlich, örtlich oder personal eng begrenzten Wirkungskreis. Die
personale Komponente des kleineren Versicherungsvereins wird
insbesondere bei den Beschwerdeführern deutlich, die ausschließlich eine
bestimmte, in Beruf und Glauben verbundene Berufsgruppe versichern. In
diesem Fall wird häufig nicht allein der wirtschaftliche Aspekt, sondern
auch der spezielle Solidargedanke eines bestimmten Kollektivs für die
Entscheidung über die Mitgliedschaft maßgeblich sein.
Die Vorschriften über den Kontrahierungszwang greifen in die
Vereinigungsfreiheit deshalb ein, weil die kleineren
Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit nicht mehr frei darin sind, nur
nach Maßgabe ihrer Satzung über die Aufnahme neuer Mitglieder zu
entscheiden, sondern auch Personen als Mitglieder aufnehmen müssen,
welche die Voraussetzungen des § 193 Abs. 5 Satz 1 VVG erfüllen. Durch
den Kontrahierungszwang im Basistarif würden den Beschwerdeführern trotz
ihrer personal ausgestalteten Struktur Personen als Mitglieder
aufgezwungen, die mit dem bisher versicherten Personenkreis in keiner
Beziehung mehr stehen. Das gesetzgeberische Ziel des
GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes, einen ausreichenden
Versicherungsschutz für alle der privaten Krankenversicherung
zugewiesenen Personen sicherzustellen, wird aber bereits durch die
großen Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit und Aktiengesellschaften
gewährleistet, die den Markt fast vollständig abdecken. Eine andere
Betrachtungsweise ist auch nicht deshalb geboten, weil die
Beschwerdeführer einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil erlangen
würden. Denn sie nehmen am Risikoausgleich im Basistarif nach § 12 g VAG
in gleicher Weise wie die großen Unternehmen teil. Da ein kleiner
Versicherungsverein nur unter engen Voraussetzungen zugelassen werden
kann, wird auch kein Anreiz zur Gründung kleiner Versicherungsvereine
geschaffen, um dem Kontrahierungszwang im Basistarif zu entgehen.
Soweit das für alle substitutiven Krankenvollversicherungen geltende
absolute Kündigungsverbot des § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG angegriffen wird,
berührt die Vorschrift zwar den Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit
(Art. 9 Abs. 1 GG), dieser Eingriff ist aber aus Gründen des gemeinen
Wohls gerechtfertigt. Das Kündigungsverbot erfüllt den legitimen Zweck,
den Verlust des Versicherungsschutzes zu verhindern und damit die
Vollfunktionalität der privaten Krankenversicherungen für den ihnen
zugewiesenen Personenkreis sicherzustellen und den mit der Kündigung des
Versicherungsvertrags verbundenen Verlust der Altersrückstellung zu
verhindern. Ob in Ausnahmefällen aus verfassungsrechtlichen Gründen eine
Durchbrechung des absoluten Kündigungsverbots geboten sein kann, konnte
der Senat hier dahinstehen lassen.
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