Der Beschwerdeführer ist Journalist, Verleger, Publizist und
Mitherausgeber einer großen deutschen Zeitung. Im. Juni 2003 strahlte
der Fernsehsender "n-tv" die Sendung "Talk in Berlin" aus, an der sich
der Beschwerdeführer als Diskussionsteilnehmer beteiligte. Die Sendung
befasste sich mit dem seinerzeit in den Medien viel beachteten
Ermittlungsverfahren gegen den damaligen Vizepräsidenten des
Zentralrates der Juden, Rechtsanwalt und Moderator Dr. F., der in den
Verdacht des unerlaubten Umgangs mit Betäubungsmitteln geraten war. Im
Rahmen der Sendung äußerte der Beschwerdeführer u.a.:
"Und ich bin ganz sicher, dass dieser staatsanwaltliche, man muss
wirklich sagen: Skandal eines ganz offenkundig, ich sag`s ganz offen,
durchgeknallten Staatsanwaltes, der hier in Berlin einen außerordentlich
schlechten Ruf hat, der vor einem Jahr vom Dienst suspendiert worden
ist, der zum ersten Mal überhaupt wieder tätig wird. Dieser Skandal wird
zweifellos dazu führen, dass sich die hiesige Justizbehörde und die ihr
zugeordnete Staatsanwaltschaft fragen muss, ob man auf diese Art und
Weise gegen Privatpersonen vorgehen kann."
Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Beschwerdeführer wegen
Beleidigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 300,00 €. Das
Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Bezeichnung als
„durchgeknallt“ umgangssprachlich in dem Sinne von „verrückt“ oder
„durchgedreht“ verstanden werde. Hierin liege aber eine Schmähkritik,
die allein auf die Diffamierung des Betroffenen ziele und deshalb
generell unzulässig sei. Die Revision gegen das Urteil verwarf das
Kammergericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ohne weitere
Begründung.
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
Entscheidungen aufgehoben, weil sie das Grundrecht des Beschwerdeführers
auf Meinungsfreiheit aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes
verletzen. Die Gerichte haben die Bezeichnung als „durchgeknallt“ zu
Unrecht als generell unzulässige Schmähkritik angesehen und deshalb die
hier gebotene Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des
Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers nicht
vorgenommen. Weil der Begriff der Schmähkritik eine besonders
gravierende Ehrverletzung bezeichnet, bei der noch nicht einmal mehr
eine Abwägung mit der Meinungsfreiheit stattfindet, sondern die
Meinungsfreiheit absolut verdrängt wird, ist dieser Begriff eng zu
definieren. Selbst eine für sich genommen herabsetzende Äußerung wird zu
einer Schmähkritik erst dann, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in
der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik -
die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Auch wenn der
Bezeichnung als „durchgeknallt“ als solcher ehrverletzender Gehalt
zukommt, muss bei Beurteilung einer schmähenden Wirkung der Zusammenhang
berücksichtigt werden, in dem die Äußerung fällt.
Der Kontext der Äußerung im Zusammenhang mit der Kritik an der
Informationspolitik der zuständigen Staatsanwaltschaft spricht hier
gegen die Annahme, dass der Beschwerdeführer dem Betroffenen pauschal
die geistige Gesundheit habe absprechen und ihn damit ungeachtet seines
Sachanliegens habe diffamieren wollen. Vielmehr liegt es aus Sicht des
unvoreingenommenen Publikums nahe, dass er auch durch diese Begriffswahl
Kritik an dem Umgang des Generalstaatsanwaltes mit den
Persönlichkeitsrechten eines Beschuldigten üben wollte. Die Herauslösung
des Begriffes "durchgeknallt" aus diesem Kontext verstellt den Blick
darauf, dass die umstrittene Äußerung im Zusammenhang mit einer
Sachauseinandersetzung um die Ausübung staatlicher
Strafverfolgungsbefugnisse fiel. In diesem Kontext kann der verwendeten
Begriffswahl aber nicht jeglicher Sachbezug abgesprochen werden, da sie
- wenn auch in polemischer und in herabsetzender Form - durchaus die
Sachaussage transportieren kann, dass ein als verantwortlich angesehener
Staatsanwalt im Zuge der Strafverfolgungstätigkeit die gebotene
Zurückhaltung und Rücksichtnahme auf das Persönlichkeitsrecht eines
Beschuldigten in unsachgemäßer und übertriebener Weise habe vermissen
lassen.
Die Bezeichnung als „durchgeknallt“ weist auch nicht einen derart
schwerwiegenden diffamierenden Gehalt auf, dass der Ausdruck in jedem
denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen
erschiene und daher unabhängig von seinem konkreten Kontext stets als
persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden müsste, wie dies
bei der Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter - etwa aus
der Fäkalsprache - der Fall sein kann.
Teil der von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfassten Freiheit, seine Meinung
in selbstbestimmter Form zum Ausdruck zu bringen, ist auch, dass der
Äußernde von ihm als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender
und personalisierter Weise für die zu kritisierende Art der
Machtausübung angreifen kann, ohne befürchten zu müssen, dass die
personenbezogenen Elemente seiner Äußerung aus diesem Kontext
herausgelöst betrachtet werden und als solche die Grundlage für eine
einschneidende gerichtliche Sanktion bilden. Die Personalisierung eines
Sachanliegens in anklagender Form ist in solch unterschiedlicher Form
und Intensität möglich, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die
Meinungsfreiheit in diesen Fällen wie bei Schmähungen stets und
ungeachtet der weiteren Umstände zurücktreten zu lassen. Vielmehr ist es
erforderlich, in die gebotene Abwägung einzustellen, ob der Betreffende
als private Person oder sein öffentliches Wirken mit seinen
weitreichenden gesellschaftlichen Folgen Gegenstand der Äußerung ist und
welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität des Betroffenen von
der Äußerung ausgehen.
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