Das Bundesamt für Strahlenschutz erteilte im April 2003 einem
Unternehmen die Genehmigung, bis einschließlich 31. Dezember 2003 unter
Verwendung von Transport- und Lagerbehältern des Typs "CASTOR HAW 20/28
CG" maximal zwei Schienen- und zwölf Straßentransporte hochaktiver
Glaskokillen aus einer Wiederaufbereitungsanlage zum
Transportbehälterlager Gorleben durchzuführen. Die Beschwerdeführerin
legte als Miteigentümerin eines Wohnhauses, das ungefähr acht Meter von
der Transportstrecke entfernt ist, Widerspruch gegen diese Genehmigung
ein. Nach dessen Zurückweisung erhob sie Klage zum Verwaltungsgericht.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage als unzulässig ab, da die
Beschwerdeführerin nicht klagebefugt sei. Den Antrag auf Zulassung der
Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht ab. Die Beschwerdeführerin
wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die gerichtlichen
Entscheidungen und rügt eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2
Abs. 2 Satz 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.
Die 3. Kammer des Ersten Senats gab der Verfassungsbeschwerde statt,
soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Ablehnung ihres Antrags
auf Zulassung der Berufung wendet. Die Beschwerdeführerin ist durch die
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in ihrem Grundrecht auf
effektiven Rechtsschutz verletzt, weil das Oberverwaltungsgericht den
Zugang der Beschwerdeführerin zum Berufungsrechtszug in unzumutbarer
Weise erschwert hat.
Die Verneinung ernsthafter Zweifel an der Richtigkeit des
erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) genügt nicht den
verfassungsrechtlichen Anforderungen. Das Oberverwaltungsgericht hat
die Frage des drittschützenden Charakters von § 4 Abs. 2 Nr. 3 und Nr.
5 AtG abschließend mit Argumenten verneint, die in der bisherigen
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des
Bundesverfassungsgerichts keine Grundlage finden. Es hat das Urteil des
BVerwG vom 22. Oktober 1982 (NJW 1983, S. 1507/1508), das die
Anforderungen an die Klagebefugnis bei der Anfechtung
immissionsschutzrechtlicher Vorbescheide für ortfeste Anlagen betrifft,
unbesehen auf die atomrechtliche Beförderungsgenehmigung übertragen.
Dabei hat es verkannt, dass das von der Beschwerdeführerin geltend
gemachte spezifische Gefährdungspotential der Beförderung von
Kernbrennstoffen eine andere Qualität hat, als die - der genannten
Entscheidung des BVerwG zugrundeliegende - fortlaufende und dauerhafte
Belastung der Umgebung bei ortsfesten Anlagen. Die Beschwerdeführerin
hatte demgegenüber geltend gemacht, dass sich bei Nichteinhaltung des
gebotenen Schutzstandards auch bei nur kurzzeitiger, aber massiver
Strahlenexposition eine erhebliche Gesundheitsgefährdung und
Eigentumsbeeinträchtigung für "Dritte" ergeben könne.
Das Bundesverwaltungsgericht hat für die Vorschrift des § 7 Abs. 2 Nr.
5 AtG, der zufolge eine atomrechtliche Anlagengenehmigung nur erteilt
werden darf, wenn der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen und
sonstige Einwirkungen Dritter gewährleistet ist, und für die
gleichlautende Vorschrift des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG, die insbesondere
für die Lagerung von Kernbrennstoffen in Standortzwischenlagern
einschlägig ist, sowie für die Vorgabe der bestmöglichen Gefahrenabwehr
gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 3 und § 6 Abs. 2 Nr. 2 AtG einen drittschützenden
Charakter bejaht. Angesichts der Tatsache, dass § 4 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2
und Nr. 5 AtG gleichlautend formuliert sind, drängt sich die Frage der
Übertragbarkeit der für § 7 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 und Nr. 5 sowie § 6
Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 4 AtG im Hinblick auf den Drittschutz geltenden
Grundsätze geradezu auf, ohne dass es für die Frage der Zulassung der
Berufung darauf ankäme, wie dies im Ergebnis zu entscheiden sein wird.
Die Frage, ob die Rechtsprechung des BVerwG zum Rechtsschutz
"Drittbetroffener" gegen atomrechtliche Aufbewahrungsgenehmigungen (§ 6
Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 4 AtG) und Anlagengenehmigungen (§ 7 Abs. 2 Nr. 3
und Nr. 5 AtG) auf die atomrechtlichen Beförderungsgenehmigungen (§ 4
Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 5 AtG) zu übertragen sind, erfüllt auch die
Voraussetzungen der Grundsatzbedeutung gemäß § 124 Abs. Nr. 3 VwGO.
Eine weitere Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts wurde im
Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 2594/06 aus den gleichen Gründen
aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung in der Sache
zurückverwiesen.
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