Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hob eine Entscheidung des
Anwaltsgerichts wegen des Verstoßes gegen das Grundrecht der freien
Berufsausübung auf, die eine Rüge zum Gegenstand hatte, die dem
Beschwerdeführer, einem Rechtsanwalt, wegen Umgehung des Gegenanwalts
erteilt worden war. Dabei stellte sich die für die Zulässigkeit der
Verfassungsbeschwerde relevante Frage, ob eine vom Fachgericht in der
Sache beschiedene Gegenvorstellung die Monatsfrist zur Einlegung und
Begründung einer Verfassungsbeschwerde erneut in Gang setzt. Diese
Frage, die bisher vom Bundesverfassungsgericht nicht geklärt war, hat
der Senat verneint. Wegen der bisher unklaren Rechtslage wurde dem
Beschwerdeführer, der zunächst Gegenvorstellung erhoben hatte, von Amts
wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. In künftigen
Fällen wird bei der Prüfung dieser Frage nur noch für den Zeitraum von
einem fehlenden Verschulden hinsichtlich des Fristversäumnisses
ausgegangen werden können, der erforderlich ist, um dem Rechtsuchenden
Gelegenheit zu geben, sich auf die nun geklärte Rechtslage einzustellen
und entsprechend zu reagieren. Einem Beschwerdeführer, der bisher von
der Einlegung der Verfassungsbeschwerde abgesehen hatte, weil er
zunächst eine Gegenvorstellung erhoben hatte, wird daher nur dann
Wiedereinsetzung zu gewähren sein, wenn er die Verfassungsbeschwerde
unverzüglich bis spätestens Montag, den 2. März 2009 nachholt.
Der Beschwerdeführer vertrat einen Antragsteller in einer
Wohnungseigentumssache vor Gericht. In der mündlichen Verhandlung
schloss die in dieser Sache ebenfalls anwaltlich vertretene
Antragsgegnerin auf Vorschlag des Gerichts einen unwiderruflichen
Vergleich, obwohl ihr Rechtsanwalt aufgrund einer fehlerhaften
Mitteilung des Gerichts in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend
war. Der Rechtsanwalt der Antragsgegnerin beschwerte sich bei der
Rechtsanwaltskammer und diese erteilte dem Beschwerdeführer wegen eines
Verstoßes gegen das Umgehungsverbot aus § 12 Abs. 1 BORA eine Rüge.
Gegen diese legte der Beschwerdeführer Einspruch ein, der von der
Rechtsanwaltskammer zurückgewiesen wurde. Den daraufhin vom
Beschwerdeführer gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung wies
das Anwaltsgericht zurück. Dagegen erhob der Beschwerdeführer
Gegenvorstellung, die vom Anwaltsgericht zurückgewiesen wurde. Mit
seiner Verfassungsbeschwerde, die sich gegen alle angeführten
Entscheidungen richtet, rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von
Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 103 Abs. 1 GG.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Bei Einlegung der Verfassungsbeschwerde war die dafür bestimmte Frist
(§ 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG) bereits verstrichen, weil die Entscheidung
des Anwaltsgerichts über die von dem Beschwerdeführer erhobene
Gegenvorstellung für den Beginn dieser Frist nicht maßgebend ist. Der
Zulässigkeit steht dies jedoch nicht entgegen; denn der Senat gewährt
dem Beschwerdeführer hinsichtlich der versäumten Frist Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand.
Die Gegenvorstellung zählt nicht zu dem Rechtsweg, dessen Erschöpfung §
90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG grundsätzlich als Voraussetzung für die
Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde bestimmt und dessen
rechtzeitiges Beschreiten folgerichtig die Frist zur Einlegung und
Begründung der Verfassungsbeschwerde offenhält. Mit der
Gegenvorstellung wendet sich der Betroffene vielmehr außerhalb der
einschlägigen Verfahrensordnung und außerhalb förmlicher
Verfahrensrechte an das Gericht mit dem Ziel einer Überprüfung einer
Entscheidung.
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war bislang nicht
geklärt, welche Folgen aus der seit dem Plenarbeschluss vom 30. April
2003 geänderten Rechtsprechung zur Subsidiarität der
Verfassungsbeschwerde gegenüber außerordentlichen Rechtsbehelfen für
das Offenhalten der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG bei
Einlegung einer Gegenvorstellung zu ziehen sind. Gegen die Versäumung
der Frist zur Einlegung und Begründung der Verfassungsbeschwerde ist
dem Beschwerdeführer wegen der bisher unklaren Rechtslage von Amts
wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sämtliche
Voraussetzungen dafür liegen vor, insbesondere hat der Beschwerdeführer
die verspätete Einlegung der Verfassungsbeschwerde nicht verschuldet.
Die dem Beschwerdeführer erteilte Rüge und die diese Maßnahme
bestätigenden Entscheidungen des Kammervorstandes und des
Anwaltsgerichts verletzen den Beschwerdeführer auch in seinem durch
Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Grundrecht auf freie Berufsausübung.
Das Umgehungsverbot aus § 12 Abs. 1 BORA begegnet zwar keinen
grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch wenn mit diesem
Verbot in die Freiheit der Berufsausübung eingegriffen wird, weil es
Rechtsanwälten den unmittelbaren Kontakt mit anwaltlich vertretenen
Gegnern grundsätzlich untersagt und damit deren berufliche Tätigkeit
reglementiert, ist diese Beschränkung der Berufsfreiheit durch
vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls, nämlich den Schutz des Gegners
vor Überrumpelung und damit auch einer funktionsfähigen Rechtspflege,
legitimiert.
Ungeachtet der hiernach verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden
rechtlichen Grundlage verletzen die angegriffenen Entscheidungen des
Vorstandes der Rechtsanwaltskammer und des Anwaltsgerichts den
Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit, weil die
Auslegung des Umgehungsverbots nicht hinreichend Bedeutung und
Tragweite der durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Freiheit der
Berufsausübung berücksichtigt. Die strikte Einhaltung des
Umgehungsverbots hätte von dem Beschwerdeführer verlangt, in der
mündlichen Verhandlung vor Gericht keine Vergleichsverhandlungen mit
der Antragsgegnerin zu führen und insbesondere keinen Prozessvergleich
abzuschließen, obwohl nicht festgestellt wurde, dass die
Antragsgegnerin im konkreten Fall des Schutzes vor Überrumpelung
bedurfte. Dies hätte jedoch offensichtlich dem Interesse des eigenen
Mandanten an einer zügigen und sachgerechten Beendigung des
Rechtsstreits durch Abschluss eines Prozessvergleichs widersprochen, zu
der der Rechtsanwalt vertraglich verpflichtet ist. Unter diesen
Umständen scheidet eine berufsrechtliche Ahndung allein als Sanktion
unkollegialen Verhaltens aus.
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