Die Fachgruppe Täter-Opfer-Ausgleich der Sozialen Dienste der Justiz im Land
Brandenburg bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht hatte am 16. September
2009 zur Auseinandersetzung mit diesem Thema in die Justizakademie Königs
Wusterhausen eingeladen. Mitglieder von Polizei, Staatsanwaltschaft und Opferschutzorganisationen
sowie Sozialarbeiter der Sozialen Dienste der Justiz und freien
Trägern diskutierten, unter welchen Bedingungen der Täter-Opfer-Ausgleich eine
angemessene Reaktion auf ein Stalking-Delikt darstellen könnte.
Stalking ist kein Kavaliersdelikt, es ist Psychoterror, der die Opfer schwerwiegend in
ihrer Lebensgestaltung beeinträchtigt. So wie in folgendem Fall (Namen geändert):
Sybille Z. und Bernd A. waren zwei Jahre lang liiert. Für beide war es nicht die erste
Beziehung, Sybille Z. freute sich deshalb besonders, dass Bernd A. sich auch mit
ihren beiden Kindern gut verstand. Nach einiger Zeit stellte sie aber fest, dass ihre
Interessen und die ihres Lebenspartners weit auseinander lagen, außerdem gelang
es ihr nicht, ihn zur Auseinandersetzung mit in ihren Augen problematischen Seiten
der Partnerschaft zu bewegen. Frau Z. entfernte sich emotional von ihrem Partner
und trennte sich schließlich. Für Bernd A. kam diese Trennung wie aus heiterem
Himmel, er fühlte sich zutiefst verletzt und gekränkt. Außerdem war diese Beziehung
für ihn eine Art „letzter Versuch“, in den er viel investiert hatte. Nun konnte und wollte
er sich mit dem Scheitern nicht abfinden, er geriet in eine existentielle Krise. Herr A.
versuchte, seine Ex-Partnerin zur Wiederaufnahme der Beziehung zu bewegen. Er
schickte ihr Blumen und Geschenke, rief an, bat um Gespräche, schrieb Briefe, SMS
und E-Mails, in denen er Sybille Z. seine Liebe beteuerte. Frau Z. traf sich zunächst
einige Male mit ihm, um ihm unmissverständlich klar zu machen, dass sie keine Fortführung
der Partnerschaft wünsche. Als sie eine neue Beziehung einging, setzte sie
Herrn A. auch davon in Kenntnis, weil sie hoffte, er werde seine Bemühungen um sie
unter diesen Umständen einstellen. Bernd A. intensivierte seine Aktivitäten daraufhin
jedoch. Er begann, vor dem Gebäude, in dem Frau Z. arbeitete, auf sie zu warten,
stand morgens vor ihrem Haus und folgte ihr in der Stadt. Er versuchte, sich ihr über
ihre Kinder und Eltern zu nähern, sprach ihre Kollegen an, um sich mit ihr in Verbindung
zu setzen. Sybille Z. erhielt Tag und Nacht hunderte Anrufe, E-Mails und SMS
von Herrn A. Sie konnte beobachten, dass er auch nachts vor ihrem Haus stand.
Sybille Z. traute sich kaum noch auf die Straße, wechselte Telefonnummer und EMail-
Adresse, litt unter Nervosität und Schlafstörungen. Ihre beruflichen Leistungen
sanken spürbar ab. Als Bernd A. schließlich begann, ihren neuen Partner zu bedrohen
und ihr mitteilte, er wisse in welche Schule ihre jüngere Tochter komme, und
werde bei der Einschulung "in der Nähe sein", erstattete sie Strafanzeige wegen
Stalking und erwirkte eine einstweilige gerichtliche Verfügung, die ihrem Ex-Partner
untersagte, sich ihr und ihren Kindern zu nähern. Die Nachstellungen rissen jedoch
nicht ab.
Frau Priet von der Opferhilfe Brandenburg e.V. und Herr Gladow, der im Berliner
Verein Stop Stalking e.V. mit dieser Art von Tätern arbeitet, stellten in ihrem gemeinsamen
Eingangsreferat das Spektrum möglicher Verhaltensweisen von Stalkern dar.
Frau Fischer vom Ministerium des Inneren informierte in ihrem Referat über die Gesetzeslage
und die Interventionsmöglichkeiten von Polizei und Justiz.
Im Weiteren beleuchteten die Teilnehmer der Tagung gemeinsam Risiken und
Chancen des Täter-Opfer-Ausgleichs bei Stalking-Delikten. Sie stellten im Ergebnis
fest, dass der Täter-Opfer-Ausgleich hier eine sinnvolle Intervention sein kann, sofern
das Procedere den Besonderheiten der Deliktart Rechnung trägt. So sei es beim
Stalking wünschenswert, wenn die Konfliktklärung ohne eine direkte Begegnung von
Täter und Opfer stattfinde. Dies sei angezeigt, da Stalker von ihren Opfern wahrgenommen
werden wollten und zu einer stark verzerrten Realitätswahrnehmung neigten.
Eine persönliche Begegnung im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs berge
deshalb die Gefahr, von ihnen als "Erfolg" ihrer Aktivitäten gewertet zu werden. Bedingung
für eine Konfliktklärung sei die Bereitschaft des Beschuldigten, während des
Täter-Opfer-Ausgleichs sämtliche Stalking-Handlungen einzustellen. Das Opfer hingegen
müsse konsequent jede Eigeninitiative zur Kontaktaufnahme mit dem Beschuldigten
unterlassen. Darüber hinaus sei es hilfreich, in vielen Fällen sogar dringend
notwendig, Geschädigte während des Täter-Opfer-Ausgleichs durch die Opferberatungsstellen
zu unterstützen. Die Stalker selbst sollten während des Täter-
Opfer-Ausgleichs und nach Möglichkeit darüber hinaus spezielle Beratungsangebote,
die ihnen bei der Bewältigung ihrer Situation helfen, wahrnehmen.
Der Fall von Sybille Z. und Bernd A. wurde durch die Staatsanwaltschaft an den Täter-
Opfer-Ausgleich verwiesen und konnte dort tatsächlich geklärt werden. Es fand
eine Vermittlung ohne direkte Begegnung der Beteiligten statt, in deren Ergebnis
Herr A. die Verantwortung für sein Handeln übernahm und bereit war, das Leid, das
er verursacht hatte, als solches anzuerkennen und sich zu entschuldigen. Frau Z.
wurde während des Vermittlungsprozesses durch eine Mitarbeiterin der örtlichen Opferberatungsstelle
begleitet. Sie äußerte am Ende, ihr sei klar geworden, inwiefern
einige ihrer Handlungen verstärkend auf die Stalking-Situation gewirkt hätten. Durch
diese Klarheit verlor die Situation für sie ihre höchst beängstigende Unberechenbarkeit.
Herr A. und Frau Z. vereinbarten, dass Herr A. in einem Probezeitraum von drei
Monaten sämtliche Nachstellungen unterlassen werde. Nach dem Ablauf dieser Zeit
konnten die als Mediatoren in Strafsachen tätigen Sozialarbeiter der Staatsanwaltschaft
berichten, dass die Vereinbarung eingehalten worden war. Das Verfahren gegen
Herrn A. wurde daraufhin eingestellt, da Frau Z. kein weiteres Interesse an einer
Strafverfolgung hatte.
Insgesamt sahen die Teilnehmer der Tagung eine intensive Vernetzung von Polizei,
Justiz einschließlich der Sozialen Dienste, Opferhilfe und Beratungsangeboten für
Täter im Hinblick auf ein effektives Vorgehen gegen Stalking als unverzichtbar an.
Die gestrige Zusammenkunft in der Justizakademie Königs-Wusterhausen soll der
Grundstein für eine solche Zusammenarbeit im Land Brandenburg sein.
Brandenburg, den 17. September 2009
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