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Pressemitteilung Nr. 17.09.2009 vom 17. September 2009


Stalking und Täter-Opfer-Ausgleich - Ist das möglich?

Die Fachgruppe Täter-Opfer-Ausgleich der Sozialen Dienste der Justiz im Land Brandenburg bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht hatte am 16. September 2009 zur Auseinandersetzung mit diesem Thema in die Justizakademie Königs Wusterhausen eingeladen. Mitglieder von Polizei, Staatsanwaltschaft und Opferschutzorganisationen sowie Sozialarbeiter der Sozialen Dienste der Justiz und freien Trägern diskutierten, unter welchen Bedingungen der Täter-Opfer-Ausgleich eine angemessene Reaktion auf ein Stalking-Delikt darstellen könnte.

Stalking ist kein Kavaliersdelikt, es ist Psychoterror, der die Opfer schwerwiegend in ihrer Lebensgestaltung beeinträchtigt. So wie in folgendem Fall (Namen geändert):

Sybille Z. und Bernd A. waren zwei Jahre lang liiert. Für beide war es nicht die erste Beziehung, Sybille Z. freute sich deshalb besonders, dass Bernd A. sich auch mit ihren beiden Kindern gut verstand. Nach einiger Zeit stellte sie aber fest, dass ihre Interessen und die ihres Lebenspartners weit auseinander lagen, außerdem gelang es ihr nicht, ihn zur Auseinandersetzung mit in ihren Augen problematischen Seiten der Partnerschaft zu bewegen. Frau Z. entfernte sich emotional von ihrem Partner und trennte sich schließlich. Für Bernd A. kam diese Trennung wie aus heiterem Himmel, er fühlte sich zutiefst verletzt und gekränkt. Außerdem war diese Beziehung für ihn eine Art „letzter Versuch“, in den er viel investiert hatte. Nun konnte und wollte er sich mit dem Scheitern nicht abfinden, er geriet in eine existentielle Krise. Herr A. versuchte, seine Ex-Partnerin zur Wiederaufnahme der Beziehung zu bewegen. Er schickte ihr Blumen und Geschenke, rief an, bat um Gespräche, schrieb Briefe, SMS und E-Mails, in denen er Sybille Z. seine Liebe beteuerte. Frau Z. traf sich zunächst einige Male mit ihm, um ihm unmissverständlich klar zu machen, dass sie keine Fortführung der Partnerschaft wünsche. Als sie eine neue Beziehung einging, setzte sie Herrn A. auch davon in Kenntnis, weil sie hoffte, er werde seine Bemühungen um sie unter diesen Umständen einstellen. Bernd A. intensivierte seine Aktivitäten daraufhin jedoch. Er begann, vor dem Gebäude, in dem Frau Z. arbeitete, auf sie zu warten, stand morgens vor ihrem Haus und folgte ihr in der Stadt. Er versuchte, sich ihr über ihre Kinder und Eltern zu nähern, sprach ihre Kollegen an, um sich mit ihr in Verbindung zu setzen. Sybille Z. erhielt Tag und Nacht hunderte Anrufe, E-Mails und SMS von Herrn A. Sie konnte beobachten, dass er auch nachts vor ihrem Haus stand. Sybille Z. traute sich kaum noch auf die Straße, wechselte Telefonnummer und EMail- Adresse, litt unter Nervosität und Schlafstörungen. Ihre beruflichen Leistungen sanken spürbar ab. Als Bernd A. schließlich begann, ihren neuen Partner zu bedrohen und ihr mitteilte, er wisse in welche Schule ihre jüngere Tochter komme, und werde bei der Einschulung "in der Nähe sein", erstattete sie Strafanzeige wegen Stalking und erwirkte eine einstweilige gerichtliche Verfügung, die ihrem Ex-Partner untersagte, sich ihr und ihren Kindern zu nähern. Die Nachstellungen rissen jedoch nicht ab.

Frau Priet von der Opferhilfe Brandenburg e.V. und Herr Gladow, der im Berliner Verein Stop Stalking e.V. mit dieser Art von Tätern arbeitet, stellten in ihrem gemeinsamen Eingangsreferat das Spektrum möglicher Verhaltensweisen von Stalkern dar. Frau Fischer vom Ministerium des Inneren informierte in ihrem Referat über die Gesetzeslage und die Interventionsmöglichkeiten von Polizei und Justiz.

Im Weiteren beleuchteten die Teilnehmer der Tagung gemeinsam Risiken und Chancen des Täter-Opfer-Ausgleichs bei Stalking-Delikten. Sie stellten im Ergebnis fest, dass der Täter-Opfer-Ausgleich hier eine sinnvolle Intervention sein kann, sofern das Procedere den Besonderheiten der Deliktart Rechnung trägt. So sei es beim Stalking wünschenswert, wenn die Konfliktklärung ohne eine direkte Begegnung von Täter und Opfer stattfinde. Dies sei angezeigt, da Stalker von ihren Opfern wahrgenommen werden wollten und zu einer stark verzerrten Realitätswahrnehmung neigten. Eine persönliche Begegnung im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs berge deshalb die Gefahr, von ihnen als "Erfolg" ihrer Aktivitäten gewertet zu werden. Bedingung für eine Konfliktklärung sei die Bereitschaft des Beschuldigten, während des Täter-Opfer-Ausgleichs sämtliche Stalking-Handlungen einzustellen. Das Opfer hingegen müsse konsequent jede Eigeninitiative zur Kontaktaufnahme mit dem Beschuldigten unterlassen. Darüber hinaus sei es hilfreich, in vielen Fällen sogar dringend notwendig, Geschädigte während des Täter-Opfer-Ausgleichs durch die Opferberatungsstellen zu unterstützen. Die Stalker selbst sollten während des Täter- Opfer-Ausgleichs und nach Möglichkeit darüber hinaus spezielle Beratungsangebote, die ihnen bei der Bewältigung ihrer Situation helfen, wahrnehmen.

Der Fall von Sybille Z. und Bernd A. wurde durch die Staatsanwaltschaft an den Täter- Opfer-Ausgleich verwiesen und konnte dort tatsächlich geklärt werden. Es fand eine Vermittlung ohne direkte Begegnung der Beteiligten statt, in deren Ergebnis Herr A. die Verantwortung für sein Handeln übernahm und bereit war, das Leid, das er verursacht hatte, als solches anzuerkennen und sich zu entschuldigen. Frau Z. wurde während des Vermittlungsprozesses durch eine Mitarbeiterin der örtlichen Opferberatungsstelle begleitet. Sie äußerte am Ende, ihr sei klar geworden, inwiefern einige ihrer Handlungen verstärkend auf die Stalking-Situation gewirkt hätten. Durch diese Klarheit verlor die Situation für sie ihre höchst beängstigende Unberechenbarkeit. Herr A. und Frau Z. vereinbarten, dass Herr A. in einem Probezeitraum von drei Monaten sämtliche Nachstellungen unterlassen werde. Nach dem Ablauf dieser Zeit konnten die als Mediatoren in Strafsachen tätigen Sozialarbeiter der Staatsanwaltschaft berichten, dass die Vereinbarung eingehalten worden war. Das Verfahren gegen Herrn A. wurde daraufhin eingestellt, da Frau Z. kein weiteres Interesse an einer Strafverfolgung hatte.

Insgesamt sahen die Teilnehmer der Tagung eine intensive Vernetzung von Polizei, Justiz einschließlich der Sozialen Dienste, Opferhilfe und Beratungsangeboten für Täter im Hinblick auf ein effektives Vorgehen gegen Stalking als unverzichtbar an. Die gestrige Zusammenkunft in der Justizakademie Königs-Wusterhausen soll der Grundstein für eine solche Zusammenarbeit im Land Brandenburg sein.

Brandenburg, den 17. September 2009


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