Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 102/2016
Die Parteien streiten nach dem Eintritt der Insolvenz über das Vermögen der beklagten Bank um Ansprüche aus zuvor geschlossenen Optionsgeschäften.
Die Klägerinnen hatten mit der beklagten Bank, einer Handelsgesellschaft englischen und walisischen Rechts, Aktienoptionsgeschäfte geschlossen. Die Klägerinnen räumten der Beklagten Kaufoptionen für SAP-Aktien dergestalt ein, dass die Beklagte das Recht hatte, zu einem bestimmten Stichtag eine bestimmte Anzahl dieser Aktien zu einem bestimmten Kaufpreis (Ausübungspreis) zu erwerben. Die Option sollte als ausgeübt gelten, wenn der Börsenkurs der Aktien am Stichtag höher oder gleich dem vereinbarten Ausübungspreis sein würde. Andernfalls sollten die Optionen verfallen. Dem Vertrag lag unter anderem der „Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte“ zugrunde. Dieser beruht auf dem vom deutschen Bundesverband Deutscher Banken publizierten Muster „Deutscher Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte“.
Am 15. September 2008 wurde über das Vermögen der beklagten Bank beim zuständigen High Court of Justice in London das Insolvenzverfahren eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt war zwischen der Beklagten den Klägerinnen jeweils noch ein Optionsgeschäft mit Ausübungsstichtag 18. Dezember 2009 über jeweils 2 Mio. SAP-Aktien zu einem Kaufpreis in Höhe von 36,10 € je Aktie offen. Der Schlusskurs der SAP-Aktie belief sich am 15. September 2008 auf 38,15 €. Am 18. Dezember 2009, dem vorgesehenen Stichtag, betrug der Schlusskurs 32,205 €.
Die Parteien streiten darüber, welche Auswirkungen die Insolvenz der Beklagten vor dem Hintergrund der Regelungen des Rahmenvertrages und den Vorschriften der Insolvenzordnung hat. Die Beklagte errechnete auf der Basis des Rahmenvertrages für sich einen Ausgleichsanspruch in Höhe von 12,974 Mio. € je streitgegenständlichem Optionsgeschäft und verweigerte vor diesem Hintergrund die Herausgabe der verpfändeten Aktien. Das Landgericht hat die entsprechende Widerklage der Beklagten abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht dem Anspruch der Bank bis auf einen kleinen Teil stattgegeben.
Es ist mit dem Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Beklagten gegenüber den Klägerinnen ein Anspruch in Höhe des Marktpreises der Option zusteht. Dies folge allerdings nicht aus dem Rahmenvertrag, sondern aus § 104 Abs. 2 und 3 InsO. Maßgebend sei der Marktpreis am 17. September 2008.
Der Senat ist davon ausgegangen, dass das in § 104 InsO geregelte Ausgleichsregime im Insolvenzfall gegenüber dem Rahmenvertrag vorrangig ist. Dies ergibt sich aus § 119 InsO, wonach Vereinbarungen, die wie die Vorliegende im Voraus die Anwendung von § 104 InsO beschränken, unwirksam sind. Danach ist die Vereinbarung unwirksam, soweit die darin vorgesehene Berechnungsmethode für den Ausgleichsanspruch im Insolvenzfall von § 104 Abs. 2 und 3 InsO abweicht. Es sei widersprüchlich, wenn einerseits die Masse durch § 104 Abs. 2 InsO geschützt werden solle, indem diese Vorschrift kein Insolvenzverwalterwahlrecht vorsehe, andererseits die Parteien gerade diesen Zweck des Masseschutzes durch individualvertragliche Vereinbarungen umgehen könnten, die eine vom Gesetz zu Lasten der Masse abweichende Berechnungsweise des Ausgleichsanspruchs vorsehen. Insbesondere die im Rahmenvertrag, nicht jedoch in § 104 Abs. 3 InsO vorgesehene Beschränkung eines von der solventen Partei auszugleichenden finanziellen Vorteils auf den von der insolventen Partei erlittenen Schaden wäre geeignet, das durch § 104 Abs. 3 InsO gewährleistete Niveau des Masseschutzes abzusenken. Der Umstand, dass in § 104 Abs. 2 Satz 3 InsO Rahmenverträge über Finanzdienstleistungen erwähnt werden, eröffne nicht die Möglichkeit, über den in dieser Vorschrift vorgesehenen Regelungsrahmen hinaus Abweichungen von § 104 InsO vertraglich vorzusehen.
Die Anwendung des § 104 InsO führe auch nicht zu einem unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten untragbaren Ergebnis, weil die Klägerinnen grundsätzlich im Anschluss an den Insolvenzzeitpunkt eine entsprechende Zahl von Optionen mit demselben Stichtag an Dritte hätten verkaufen und so Erlöse hätten erzielen können, die ebenso hoch gewesen wären wie die der Beklagten zu erstattende Ausgleichsforderung. Die Lage der Klägerinnen hätte dann derjenigen entsprochen, die ohne die Insolvenz der Beklagten bestanden hätte.
Die Vorschrift des § 104 Abs. 3 InsO macht den Anspruch der Masse wegen Nichterfüllung nicht davon abhängig, dass tatsächlich ein in gleicher Weise gesichertes Deckungsgeschäft abgeschlossen werden konnte. § 104 InsO gibt eine abstrakte Berechnungsmethode für die Forderung wegen Nichterfüllung vor. Der Partei, die am maßgeblichen Stichtag „im Geld“ steht, soll der durch die Vertragsbeendigung verloren gegangene Vorteil nach Marktpreisen erstattet werden.
Aufgrund der Regelung des § 104 Abs. 2 InsO endet das Finanzgeschäft automatisch. Will eine Vertragspartei die gewünschten Wertpapiere weiterhin am vereinbarten Stichtag erhalten oder weiterhin am vereinbarten Stichtag zur Lieferung verpflichtet sein, muss sie ein Ersatzgeschäft abschließen.
Da sich die Ausgleichsforderung nach § 104 Abs. 3 InsO und nicht nach der unwirksamen Nr. 8 Abs. 1 des Rahmenvertrages richtet, hätte das Berufungsgericht bei seiner Berechnung aber nicht auf den 15. September 2008 abstellen dürfen, sondern gemäß § 104 Abs. 3 Satz 2 InsO auf den zweiten Werktag nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, also auf den 17. September 2008. Die Berechnung des Berufungsgerichts begegnete im Übrigen aus weiteren prozessualen Gründen rechtlichen Bedenken.
Der Senat hat deshalb das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Im Rahmen der nachzuholenden Beweisaufnahme zum Marktwert der Optionen am 17. September 2008 wird das Berufungsgericht zu klären haben, ob die Ermittlung eines Marktwertes der Option überhaupt möglich ist. Für den Marktpreis ist nicht die Handelbarkeit der Option maßgeblich, sondern die bestehende Möglichkeit einer Ersatzeindeckung für denselben Ausübungsstichtag. War eine solche Ersatzeindeckung nicht möglich, besteht auch kein Ausgleichsanspruch.
Vorinstanzen:
LG Frankfurt am Main – 2-18 O 374/10 – Entscheidung vom 22. August 2012
OLG Frankfurt am Main – 16 U 183/12- Entscheidung vom 5. Dezember 2013
Karlsruhe , den 9. Juni 2016