Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 98/2015
In die von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erhobene Umlage darf Schadensersatzaufwand jedenfalls insoweit eingerechnet werden, als er durch einfach fahrlässige Amtspflichtverletzungen verursacht wird und im Verhältnis zur Gesamtumlage nicht beträchtlich ins Gewicht fällt. Dies hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden. Durch die Umlage soll eine wirkungsvolle Aufsichtstätigkeit finanziert werden; dies wirkt sich auch zum Vorteil der beaufsichtigten Unternehmen aus. Dabei werden sich einfach fahrlässige Fehlleistungen kaum vollständig vermeiden lassen. Die beschwerdeführende Bank wird durch die Umlagebescheide der BaFin und sie bestätigende verwaltungsgerichtliche Entscheidungen nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit den finanzverfassungsrechtlichen Anforderungen an Sonderabgaben mit Finanzierungsfunktion verletzt.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin unterliegt der Aufsicht der BaFin, die ihre Kosten aus eigenen Einnahmen deckt, unter anderem mit einer von den beaufsichtigten Unternehmen erhobenen Umlage nach § 16 Abs. 1 Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz (FinDAG). Im Jahr 2006 urteilte das Oberlandesgericht Frankfurt, dass einem früheren Vorstandsmitglied einer (anderen) Bank dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch aus Amtspflichtverletzung gegen die BaFin zusteht. Zur Deckung des voraussichtlich zu leistenden Schadensersatzes stellte die BaFin in den Haushaltsplan 2009 einen – im Vergleich zum Vorjahr um 2,2 Millionen Euro höheren – Betrag von insgesamt 2,45 Millionen Euro ein, was etwa 2 % des gesamten Umlagevolumens entsprach. Die Beschwerdeführerin wurde von der BaFin für 2009 zu Umlagevorauszahlungen von rund 1,03 Millionen Euro herangezogen. Widersprüche und Klagen, die sich ausschließlich gegen die anteilige Umlage der Kosten aus Amtshaftungsansprüchen richteten, blieben ohne Erfolg.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
- Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 16. September 2009 (BVerfGE 124, 235) bereits entschieden, dass die Abgabe nach § 16 FinDAG den Anforderungen an nichtsteuerliche Abgaben mit Finanzierungsfunktion genügt.
- a) Sie ist der Bewältigung derjenigen Risiken gewidmet, die von einem unreglementierten Tätigwerden der beaufsichtigten Unternehmen ausgehen können, und soll das Vertrauen der Anleger in die Solidität und Lauterkeit dieser Unternehmen als notwendige Rahmenbedingung für einen funktionsfähigen Finanzmarkt stärken. Damit dient sie einem Sachzweck, der über die bloße Mittelbeschaffung hinausgeht. Die beaufsichtigten Unternehmen sind eine homogene und abgrenzbare Gruppe, die durch gemeinsame Gegebenheiten und Interessenlagen verbunden ist.
Die in Anspruch genommene Gruppe steht zum Sachzweck der Abgabe in einer spezifischen Beziehung. Charakteristisch für den Finanzmarkt ist, dass Fehlentwicklungen, denen die Aufsicht vorbeugen soll, nicht nur das einzelne Unternehmen, sondern in besonderem Maße den Markt insgesamt betreffen. Der Finanzmarkt hat wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig für seine Tätigkeit das uneingeschränkte Vertrauen der Öffentlichkeit in die Sicherheit und das solide Geschäftsgebaren des gesamten Gewerbes zur Voraussetzung. Das Abgabenaufkommen wird gruppennützig verwendet, denn Sachnähe der belasteten Unternehmen zum Zweck der Abgabenerhebung und korrespondierende Finanzierungsverantwortung bedeuten, dass die zweckentsprechende Verwendung des Abgabenaufkommens zugleich gruppennützig wirkt, die Gesamtgruppe der Abgabenschuldner nämlich von einer ihrem Verantwortungsbereich zuzurechnenden Aufgabe entlastet.
- b) Die für nichtsteuerliche Abgaben zentrale Anforderung einer besonderen sachlichen Rechtfertigung gilt nicht nur für die Abgabenerhebung dem Grunde nach, sondern wirkt auch begrenzend für die Bemessung der nichtsteuerlichen Abgabe der Höhe nach. Die beaufsichtigten Unternehmen dürfen in ihrer Gesamtheit nicht in höherem Maße in Anspruch genommen werden, als dies im Hinblick auf die Gewährleistung einer effektiven Aufsicht erforderlich ist.
- Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, einfach fahrlässige Schädigungen, deren finanzielle Auswirkungen im Verhältnis zur Gesamtumlage nicht beträchtlich ins Gewicht fallen, mit der Umlage zu erfassen.
- a) Ausweislich der angegriffenen Urteile des Verwaltungsgerichts, die von der Verfassungsbeschwerde insoweit nicht infrage gestellt werden, lag der BaFin lediglich einfache Fahrlässigkeit zur Last. In derartigen Schadensfällen unterhalb der Schwelle zur groben Fahrlässigkeit enthält Art. 34 Satz 2 GG ein Rückgriffsverbot; auch das einfache Recht sieht keine Haftung der Beamtinnen und Beamten gegenüber ihrem Dienstherrn vor, weil die Amtstätigkeit nicht durch übergroße Vorsicht zur Vermeidung von Haftungsrisiken gehemmt werden soll.
Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, zur Gewährleistung einer effektiven Aufsicht jedenfalls einfach fahrlässig verursachte Ersatzaufwendungen in die Umlage einzubeziehen, zumal sich eine wirkungsvolle Aufsicht gerade auch zum Vorteil der Aufsichtsunterworfenen auswirkt. Im Rahmen der Aufsichtstätigkeit werden sich einfach fahrlässige Fehlleistungen kaum vollständig vermeiden lassen, selbst wenn der Amtsträger im Übrigen größtmögliche Sorgfalt walten lässt. Andernfalls könnte sich die BaFin veranlasst sehen, das interne Kontrollwesen zu intensivieren, um selbst einfach fahrlässigen Pflichtverletzungen noch weitergehend zu begegnen. Dies dürfte indes ihren allgemeinen, grundsätzlich umlagefähigen Haushalt mit weiteren Personal- und Sachkosten belasten.
- b) Die vorliegende Umlage von Amtshaftungsaufwand begegnet auch deshalb keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil sie lediglich einen geringen Anteil am gesamten Umlagevolumen ausmacht.