G20-Protestcamp muss vorsorglich den Regeln des Versammlungsrechts unterstellt werden, kann aber beschränkt werden

G20-Protestcamp muss vorsorglich den Regeln des Versammlungsrechts unterstellt werden, kann aber beschränkt werden

Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 51/2017

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts im Wege der einstweiligen Anordnung der Stadt Hamburg aufgegeben, über die Duldung des im Stadtpark geplanten Protestcamps versammlungsrechtlich zu entscheiden. Die Entscheidung der Kammer beruht auf einer Folgenabwägung.

Nicht Gegenstand der Entscheidung ist die Frage, ob und wieweit das Protestcamp in Blick auf die öffentliche Sicherheit beschränkt oder möglicherweise auch untersagt werden kann.

Sachverhalt:

Der Antragsteller ist Anmelder und vorgesehener Leiter einer geplanten Veranstaltung, die vom 30. Juni bis 9. Juli 2017 in der Form eines politischen Protestcamps auf der großen Festwiese des Hamburger Stadtparks stattfinden soll. Es werden etwa 10.000 Personen aus aller Welt erwartet, die in 3.000 Zelten wohnen und übernachten sollen. Während seiner Dauer soll das Camp einen durchgängig bei Tag und bei Nacht wahrnehmbaren Ort des Protestes gegen das am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg stattfindende Zusammentreffen der Staats- und Regierungschefs der Gruppe der 20 größten Industrie- und Schwellenländer (G20-Gipfel) darstellen.

Die Freie und Hansestadt Hamburg ordnete das geplante Protestcamp nicht als Versammlung ein und untersagte die Veranstaltung unter Verweis auf ein grünanlagenrechtliches Verbot, auf öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen zu zelten. Das hiergegen angerufene Verwaltungsgericht verpflichtete die Stadt dazu, den Aufbau des Protestcamps bis zur Bekanntgabe eines versammlungsrechtlichen Bescheids zu dulden. Auf die Beschwerde der Stadt hat das Oberverwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers mit der Begründung abgelehnt, dass das Protestcamp nicht den Charakter einer von Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlung habe. Mit seinem beim Bundesverfassungsgericht gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verfolgt der Antragsteller sein Anliegen weiter, die Stadt Hamburg zu verpflichten, die Vorbereitung, den Aufbau und die Durchführung des Protestcamps zu dulden.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

  1. Das Bundesverfassungsgericht kann einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist (§ 32 Abs. 1 BVerfGG). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache haben außer Betracht zu bleiben, es sei denn, der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht eine Folgenabwägung vornehmen.
  2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet; sie wirft vielmehr schwierige und in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung ungeklärte Fragen auf, die im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend beurteilt werden können. Danach ist schon unklar, ob oder wieweit das Protestcamp als Versammlung von Art. 8 Abs. 1 GG geschützt ist.

Demnach war auf der Grundlage einer Folgenabwägung zu entscheiden. Sie fällt teilweise zugunsten des Antragstellers aus.

Erginge eine einstweilige Anordnung nicht, stellte sich im Hauptsacheverfahren dann aber heraus, dass zumindest Teile des Protestcamps unter den Schutz der Versammlungsfreiheit fielen und damit jedenfalls grundsätzlich zulässig wären, bliebe es dem Antragsteller beim derzeitigen Sachstand vollständig verwehrt, im Rahmen des bevorstehenden G 20-Gipfels von seinem Versammlungsgrundrecht in Form der Durchführung eines Protestcamps Gebrauch zu machen. Damit würde sein Versammlungsrecht bei einem besonders herausragenden politischen Großereignis nachhaltig entwertet.

Erginge demgegenüber eine einstweilige Anordnung und würde die Stadt Hamburg zur Duldung des Aufbaus, Betriebs und Abbaus des Protestcamps im Zeitraum vom 28. Juni bis zum 11. Juli 2017 verpflichtet, stellte sich dann aber im Hauptsacheverfahren heraus, dass das geplante Protestcamp nicht unter den Schutz der Versammlungsfreiheit fiele, so würde nicht nur die Öffentlichkeit für rund drei Wochen unberechtigt um ein Erholungsgebiet gebracht, sondern würde der öffentlichen Hand ohne Grund auch das Risiko aufgebürdet, dass die Parkanlage nachhaltig Schaden nimmt.

Angesichts der sich insoweit gegenüberstehende Nachteile ist als Regelung im Rahmen des Eilrechtsschutzes ein Ausgleich geboten, der dem Antragsteller die Durchführung eines Protestcamps anlässlich des G20-Gipfels möglichst weitgehend ermöglicht, anderseits müssen aber nachhaltige Schäden des Stadtparks verhindert und die diesbezüglichen Risiken für die öffentliche Hand möglichst gering gehalten werden. Danach ist anzuordnen, dass die Versammlungsbehörde das vom Antragsteller geplante Protestcamp vorsorglich den Regeln des Versammlungsrechts zu unterstellen hat. Dabei ist sie hierbei jedoch mit einem angemessenen Entscheidungsspielraum auszustatten, der sie – soweit möglich in Kooperation mit dem Veranstalter – berechtigt, den Umfang des Camps so zu begrenzen und mit Auflagen zu versehen, dass eine nachhaltige Beeinträchtigung des Stadtparks durch langfristige Schäden hinreichend ausgeschlossen ist. Ist dies in einer dem Anliegen des Antragstellers entsprechenden Weise nicht möglich ‑ wie nach den Akten durchaus naheliegend ist und wie sich im Übrigen insbesondere im Blick auf (hier noch nicht berücksichtigte) Sicherheitsbelange ergeben kann -, kann sie ihm stattdessen auch einen anderen Ort für die Durchführung des geplanten Protestcamps zuweisen, der in Blick auf die erstrebte Wirkung dem Anliegen des Antragstellers möglichst nahe kommt. Auch insoweit ist sie zum Erlass von Auflagen befugt, die eine Schädigung der Anlagen des zugewiesenen Ersatzortes möglichst weitgehend verhindern, soweit erforderlich auch unter Beschränkung des Umfangs des geplanten Protestcamps. Hierbei kann auch berücksichtigt werden, in welchem Umfang die Maßnahmen notwendige Infrastruktur zu eigenständigen Versammlungselementen darstellen und wieweit sie darüber hinausgehen. Insbesondere sind die Behörden berechtigt, die Errichtung von solchen Zelten und Einrichtungen zu untersagen, die ohne Bezug auf Akte der Meinungskundgabe allein der Beherbergung von Personen dienen sollen, welche anderweitig an Versammlungen teilnehmen wollen.

Da der vorliegende Beschluss auf den rechtlichen Verfahrensgegenstand des Ausgangsverfahrens beschränkt ist, bleiben Fragestellungen hinsichtlich möglicher Gefahren, die von der geplanten Veranstaltung ausgehen, ausgeklammert. Diesbezügliche weitere Entscheidungen, insbesondere zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, bleiben den Behörden – unter Beachtung der allgemeinen verfassungsrechtlichen Maßstäbe – unbenommen. Ob und wieweit sie das Protestcamp unter diesen Gesichtspunkten weiter beschränken oder auch untersagen können, ist nicht Gegenstand dieser Entscheidung.