Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 112/2017
Die Staatsanwaltschaft hatte den beiden Angeklagten vorgeworfen, im Tatzeitraum zwischen 2004 und 2007 betrügerisch Abrechnungen von laborärztlichen Leistungen gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung vorgenommen und diese dadurch um rund 79 Millionen Euro geschädigt zu haben. Nach dem Anklagevorwurf waren die Angeklagten vertretungsberechtigte Geschäftsführer eines Dienstleistungsunternehmens. Das Unternehmen bot u.a. die interdisziplinäre Beratung auf dem Gebiet der Laborrationalisierung, die Bereitstellung von medizinischen Laboreinrichtungen einschließlich Fach- und Wartungspersonal sowie die Systementwicklung im Laborbereich an. Es schloss mit mehreren, an verschiedenen Standorten angesiedelten Laborärzten Dienstleistungsverträge. Gegenüber den jeweils regional zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen traten die Betreiber der laborärztlichen Praxen als selbständige, niedergelassene Laborärzte auf und erklärten in ihren Abrechnungen gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigungen entweder ausdrücklich oder konkludent, die abgerechneten Leistungen – im sozialversicherungsrechtlichen Sinn – „in freier Praxis“ (vgl. § 98 Abs. 2 Nr. 13 SGB V, § 32 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV) erbracht zu haben. Die Anklage ging jedoch davon aus, dass die Laborärzte tatsächlich aufgrund der Verträge mit dem von den Angeklagten geführten Unternehmen und der tatsächlichen Handhabung dieser vertraglichen Beziehungen in einem Abhängigkeitsverhältnis standen, mithin Arbeitnehmer des Dienstleistungsunternehmens waren. Dann aber durften die tatsächlich ausgeführten ärztlichen Leistungen nicht als „in freier Praxis“ erbracht abgerechnet werden.
Von diesen Vorwürfen sind die Angeklagten vom Landgericht Augsburg freigesprochen worden. Die Strafkammer hat sich aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme die Überzeugung gebildet, dass die jeweils betroffenen Laborärzte in einem ausreichenden Maße „frei“ im Sinne des Sozialversicherungsrechts waren. Da sie deshalb laborärztliche Leistungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abrechnen durften, fehlte es nach der Überzeugung des Landgerichts bereits an für die Verwirklichung des Betrugstatbestands (§ 263 StGB) erforderlichen Täuschungshandlungen.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat durch sein heutiges Urteil die dagegen gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft verworfen und damit die Freisprüche bestätigt. Die revisionsgerichtliche Überprüfung der Beweiswürdigung der Strafkammer weist nach den dafür geltenden Prüfungsmaßstäben keine Rechtsfehler auf. Insbesondere enthalten die beweiswürdigenden Erwägungen des Landgerichts keine Lücken oder Widersprüche. Die Strafkammer hat auch keine überspannten Anforderungen an den Nachweis der für den Betrugstatbestand erforderlichen Täuschungshandlungen gegenüber den zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen gestellt. Die Freisprüche sind damit rechtskräftig.
Vorinstanz:
LG Augsburg – Urteil vom 13. Januar 2016 – 9 KLs 501 Js 113815/08
Karlsruhe, den 12. Juli 2017
§ 263 Abs. 1 StGB lautet:
Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
§ 32 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV (Zulassungsverordnung für Vertragsärzte) lautet:
Der Vertragsarzt hat die vertragsärztliche Leistung persönlich in freier Praxis auszuüben.