Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 99/2016
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute veröffentlichtem Beschluss bekräftigt, dass die nur begrenzte Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus dem Sonderversorgungssystem des Ministeriums für Staatssicherheit in die gesetzliche Rentenversicherung der BRD verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Die Verfassungsbeschwerden von ehemaligen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit waren damit nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Beschwerdeführer haben insbesondere keine neuen Tatsachen vorgebracht, um eine erneute verfassungsrechtliche Prüfung der Überführung der Rentenansprüche zu rechtfertigen.
Sachverhalt:
Die Beschwerdeführer waren hauptamtliche Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Sie gehörten für die Zeit ihrer Zugehörigkeit zum MfS dem dortigen Sonderversorgungssystem an, durch das eine eigenständige Sicherung der Mitglieder des MfS außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung in der DDR gewährleistet werden sollte.
In zwei Urteilen aus dem Jahr 1999 erklärte das Bundesverfassungsgericht die für die Überführung in der DDR erworbener Rentenansprüche von Mitgliedern des MfS maßgeblichen Vorschriften des § 7 Abs. 1 Satz 1 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) beziehungsweise § 307b SGB VI für in begrenztem Umfang mit dem Grundgesetz unvereinbar, woraufhin der Gesetzgeber die Vorschriften änderte. Die gegen die Beschwerdeführer in der Folge ergangenen Rentenbescheide begrenzten die Höhe der Rentenansprüche der Beschwerdeführer entsprechend der gesetzlichen Regelung. Mit ihren Verfassungsbeschwerden wenden sich die Beschwerdeführer gegen die belastenden Rentenbescheide und die dazu ergangenen Gerichtsentscheidungen. Sie rügen im Wesentlichen eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Sie begründen ihre Verfassungsbeschwerden damit, dass sich aus den von ihnen vorgelegten Gutachten neue rechtserhebliche Tatsachen ergäben, die eine erneute Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts „über das MfS-Sonderreglement“ notwendig machten.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Verfassungsbeschwerden sind unzulässig.
- Soweit sie sich gegen § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG n. F. richten, haben die Verfassungsbeschwerden keinen Erfolg, weil das Vorbringen der Beschwerdeführer und die von ihnen vorgelegten Unterlagen keinen ausreichenden Grund darstellen, in eine erneute verfassungsrechtliche Prüfung der Überführung der Rentenansprüche aus der Zeit der Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem des MfS einzutreten.
- a) Zunächst hat das Bundesverfassungsgericht – entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer – in der Entscheidung aus dem Jahre 1999 § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG nicht uneingeschränkt für mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG unvereinbar und nichtig erklärt; es hat vielmehr den diesbezüglichen Ausspruch ausdrücklich darauf beschränkt, dass dies (nur) gelte, soweit für die Rentenberechnung das zugrunde zu legende Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen unter das jeweilige Durchschnittsentgelt im Beitrittsgebiet abgesenkt werde. Es wurden auch hinreichend deutlich die Gründe dargestellt, wegen derer eine Absenkung bis zum Durchschnittsentgelt verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.
- b) Zwar ist eine erneute Prüfung trotz einer früheren verfassungsgerichtlichen Entscheidung zur gleichen rechtlichen Regelung nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Sie wäre jedoch nur zulässig, sofern neue rechtserhebliche, gegen die damals tragenden Feststellungen sprechende Tatsachen vorlägen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Argumente, die bei unveränderter Sach- und Rechtslage nur die Richtigkeit der damaligen Entscheidung in Frage stellen, sind dagegen von vornherein nicht geeignet, eine erneute Überprüfung zu eröffnen.
Konkret haben die Beschwerdeführer jedoch keine neuen Tatsachen vorgebracht, die die damalige Entscheidungsgrundlagen in Frage stellen könnten. Sie kritisieren lediglich die gesetzliche Regelung mit Argumenten, die für das Bundesverfassungsgericht schon 1999 kein Grund waren, eine Reduzierung auf das Durchschnittseinkommen als verfassungsrechtlich unzulässig zu bewerten. Wegen der Besonderheit des Sonderversorgungssystems des MfS können auch die wiederholten, einschränkenden Gesetzesänderungen zu anderen Versorgungssystemen und die diesen zugrunde liegenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht als maßgebliche Änderungen des rechtlichen Umfelds oder als neue Tatsachen begriffen werden.
- Soweit ein Beschwerdeführer eine Verfassungswidrigkeit von § 307b SGB VI geltend macht, ist die Verfassungsbeschwerde ebenfalls unzulässig.
- a) Ein Beschwerdeführer ist gehalten, den Sachverhalt, aus dem sich die Grundrechtsverletzung ergeben soll, substantiiert und schlüssig darzulegen. Ferner muss sich die Verfassungsbeschwerde mit dem zugrunde liegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen. Es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll. Bei der Rüge eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz muss der Beschwerdeführer darlegen, zwischen welchen konkreten Vergleichsgruppen eine Ungleichbehandlung bestehen soll und inwieweit es sich bei den von ihm gebildeten Vergleichsgruppen um im Wesentlichen gleiche Sachverhalte handelt. Außerdem muss er sich mit naheliegenden Gründen für eine Differenzierung zwischen den Vergleichsgruppen auseinandersetzen.
- b) Ausgehend von diesen Anforderungen erscheint die Argumentation des Beschwerdeführers bereits im Ausgangspunkt nicht plausibel. § 307b SGB VI enthält zur Höhe der in die Berechnung einzustellenden Arbeitsverdienste keine Regelung; er knüpft vielmehr für die Vergleichsrentenberechnung an den Versicherungsverlauf und damit an außerhalb der Vorschrift liegende Normen an. Im Übrigen übersieht der Beschwerdeführer, dass es das Bundesverfassungsgericht nur als gleichheitswidrig angesehen hat, dass bei der Neuberechnung von Bestandsrenten aus Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Sonderversorgungssystem die während der gesamten Versicherungszeit bezogenen tatsächlichen Arbeitseinkommen zugrunde gelegt wurden, während für die sonstigen Bestandsrentner aus dem Beitrittsgebiet ein 20-Jahres-Zeitraum maßgeblich war (und ist). Schließlich verkennt der Beschwerdeführer, dass durch die angegriffenen Vorschriften die ohnehin erheblichen Schwierigkeiten der Überführung von rund vier Millionen laufender Renten beherrschbar gemacht werden sollten. Die mit der Regelung typischerweise einhergehende Besserstellung der Bestandsrentner war nur eine aus Typisierungsgründen hinnehmbare Nebenfolge, die dann allerdings für die Überführung von Bestandsrenten aus allen Sonder- und Zusatzversorgungssystemen der DDR gelten muss. Tritt diese Besserstellung wegen der Besonderheiten des individuellen Lebenslaufes oder der berücksichtigungsfähigen Entgelte nicht ein, so lässt sich ein Gleichheitsverstoß damit nicht nachvollziehbar begründen.