Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 7/2016
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde gegen die Neuregelung der Vergütung von freiwillig arbeitenden Strafgefangenen in Rheinland-Pfalz nicht zur Entscheidung angenommen, nach der die nicht monetäre Vergütungskomponente ersatzlos wegfiel. Diese wurde zusätzlich zur monetären Vergütungskomponente unter anderem in Form von Freistellungstagen gewährt, die auch als Urlaub aus der Haft genutzt oder auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet werden konnten. Die Kammer hat allerdings hervorgehoben, dass Arbeit im Strafvollzug einen gewichtigen Resozialisierungsfaktor darstelle, dessen Wirksamkeit davon abhänge, dass die geleistete Arbeit eine angemessene Anerkennung findet. Ob der Strafgefangene freiwillig arbeitet oder eine zugewiesene Pflichtarbeit ausübt, spielt dabei keine Rolle. In beiden Fällen muss die Anerkennung geeignet sein, dem Strafgefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit vor Augen zu führen.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer verbüßt eine Strafhaft in einer Justizvollzugsanstalt in Rheinland-Pfalz und wurde ursprünglich nach den Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes des Bundes zu einer Tätigkeit in der Druckerei/Buchbinderei verpflichtet. Für seine Tätigkeit erhielt er bis zum 31. Mai 2013 eine monetäre sowie eine nicht monetäre Vergütungskomponente.
Am 1. Juni 2013 trat in Rheinland-Pfalz das Landesjustizvollzugsgesetz (LJVollzG) in Kraft, welches das Strafvollzugsgesetz des Bundes weitgehend ersetzte. Durch die Neuregelung fiel die nicht monetäre Vergütungskomponente ersatzlos weg. Der Landesgesetzgeber begründet dies mit einer neuen Vollzugskonzeption, in der Arbeit – anders als im Strafvollzugsgesetz des Bundes – nicht den zentralen, sondern nur einen von vielen Resozialisierungsfaktoren darstelle. Die Neukonzeption sehe überdies keine Pflichtarbeit mehr vor, sondern stelle es dem Strafgefangenen frei, eine Tätigkeit aufzunehmen. Die aus dem Resozialisierungsgebot abgeleitete Forderung, Arbeit angemessen anzuerkennen, stelle sich nur für solche Gefangene, denen verpflichtend eine Arbeit oder eine sonstige Beschäftigung zugewiesen oder zugeteilt worden sei oder die zu einer Hilfstätigkeit verpflichtet worden seien.
Der Beschwerdeführer, der nach wie vor – seit dem Inkrafttreten des LJVollzG nunmehr freiwillig – in der Druckerei/Buchbinderei arbeitet, beantragte bei der Anstaltsleitung die Weitergewährung der nicht monetären Vergütungskomponente. Gegen den abschlägigen Bescheid der Justizvollzugsanstalt beschritt er erfolglos den Rechtsweg. Mit der gegen diese Beschlüsse gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung des Resozialisierungsgebotes.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
- Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil nicht erkennbar ist, dass der Beschwerdeführer den Grundsatz der materiellen Subsidiarität gewahrt hat.
- Allerdings sieht sich die Kammer in Bezug auf die Interpretation der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gefangenenentlohnung durch den Landesgesetzgeber und die rheinland-pfälzischen Gerichte zu folgendem Hinweis veranlasst:
- a) Die Verfassung gebietet, den Strafvollzug auf das Ziel der Resozialisierung der Gefangenen hin auszurichten. Der einzelne Gefangene hat einen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass dieser Zielsetzung bei ihn belastenden Maßnahmen genügt wird. Das Resozialisierungsgebot verpflichtet zunächst den Gesetzgeber, ein wirksames Resozialisierungskonzept zu entwickeln und den Strafvollzug darauf aufzubauen.
- b) Das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot legt den Gesetzgeber nicht auf ein bestimmtes Regelungskonzept fest. Demnach steht es dem Gesetzgeber zwar grundsätzlich frei, dem Resozialisierungsgebot mit anderen Maßnahmen als durch Arbeit Rechnung zu tragen. Indes erscheint es zweifelhaft, dass die Arbeit im Strafvollzug des Landes Rheinland-Pfalz kein gewichtiges Resozialisierungsmittel mehr darstellt. Auch wenn für eine abschließende Bewertung eine umfassende Prüfung des Vollzugskonzepts und seiner praktischen Umsetzung erforderlich wäre, bestehen Zweifel, dass die Resozialisierung auch ohne Arbeit hinreichend gewährleistet ist, zumal therapeutische, psychiatrische sowie Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen den Alltag der Gefangenen in der Regel nicht ausfüllen und sie zudem ohnehin nur für einen Teil der Gefangenen in Betracht kommen dürften. Daher liegt die Annahme nahe, dass die Arbeit auch nach Inkrafttreten des LJVollzG ein gewichtiger Resozialisierungsfaktor geblieben ist.
- c) Arbeit im Strafvollzug ist aber nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel, wenn die geleistete Arbeit eine angemessene Anerkennung findet. Dieser Grundsatz gilt nicht nur für diejenige Arbeit, die dem Gefangenen als Pflichtarbeit zugewiesen ist, sondern auch für eine freiwillig übernommene Tätigkeit. Durch die Vergütung ihrer Arbeit wird den Gefangenen sowohl im Falle der freiwilligen als auch der Pflichtarbeit ermöglicht, Geld für die Erfüllung von Unterhaltsverpflichtungen, den Schuldenabbau, den Ausgleich von Tatfolgen oder den Einkauf zu verdienen. Wegen der gleichgerichteten Zielsetzung muss die Anerkennung daher in beiden Fällen geeignet sein, dem Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit für ein künftiges eigenverantwortetes und straffreies Leben in Gestalt eines für ihn greifbaren Vorteils vor Augen zu führen.
- d) Die bis zum Inkrafttreten des LJVollzG in Rheinland-Pfalz geltende Vergütungsregelung des Strafvollzugsgesetzes des Bundes, welche eine monetäre und eine nicht monetäre Vergütungskomponente kombinierte, war im Jahr 2002 Gegenstand einer Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Die Kammer sah die Regelung als „derzeit noch vertretbar“ an und hob hervor, dass gerade die Gewährung von Freistellung in Abhängigkeit zur geleisteten Arbeit dem Resozialisierungsgebot gerecht werde. Allerdings bleibe der Gesetzgeber auch hier aufgefordert, den Umfang der nicht monetären Leistung einer ständigen Überprüfung zu unterziehen.
- e) Es besteht zwar zu Gunsten des Gesetzgebers ein weiter Spielraum bei der Ausgestaltung der Vergütung der Gefangenenarbeit, sodass eine gesetzgeberische Neukonzeption möglich ist. Jedoch muss die Vergütung für im Vollzug geleistete Arbeit stets geeignet sein, dem Resozialisierungsgebot gerecht zu werden. Auf welche Weise der Gesetzgeber dies erreicht, bleibt ihm überlassen.