Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 30/2019
Das Landgericht Oldenburg hat zwei Angeklagte von Vorwürfen des Verstoßes gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz freigesprochen. Darüber hinaus hat es gegen die beiden von den Angeklagten geleiteten nebenbeteiligten Unternehmen die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen beschäftigte eines der nebenbeteiligten Unternehmen auf Vermittlung des anderen im Tatzeitraum vom 25. Februar 2008 bis zum 31. Juli 2010 insgesamt 933 bulgarische Arbeiter. Die dafür damals erforderlichen Genehmigungen der Bundesagentur für Arbeit waren nicht beantragt worden; vielmehr verschleierten die Angeklagten die Beschäftigungsverhältnisse mittels Scheinwerkverträgen. Die Arbeiter leisteten mehr als 830.000 Arbeitsstunden.
Das Landgericht hat die Feststellungen dahin gewertet, dass sich zwar die Angeklagten wegen Beschäftigung von Ausländern ohne Genehmigung in größerem Umfang nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG (bzw. der Beihilfe hierzu) strafbar gemacht hätten, insoweit jedoch ab dem 31. Juli 2016 Verfolgungsverjährung eingetreten sei. Gleichwohl sei gegen die nebenbeteiligten Unternehmen auf die Einziehung von Taterträgen zu erkennen, die sich zum einen auf den Wert der geleisteten Arbeitsstunden von mehr als 10,5 Mio. €, zum anderen auf den Erlös aus den Vermittlungsleistungen in Höhe von 72.000 € bemesse. Denn nach dem durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) mit Wirkung zum 1. Juli 2017 geänderten Recht sei die Anordnung der selbständigen Einziehung von Erträgen auch aus verjährten Straftaten zulässig (§ 76a Abs. 2 Satz 1, § 78 Abs. 1 Satz 2, § 76b Abs. 1 Satz 1 StGB). Nach der Übergangsvorschrift des Art. 316h Satz 1 EGStGB sei das neue Recht rückwirkend auch auf Taten anwendbar, die vor dem Inkrafttreten begangen worden seien.
Der 3. Strafsenat hat die Revisionen der Staatsanwaltschaft verworfen, mit denen sich diese gegen die Freisprüche gewandt hat. Auf die gegen die Anordnung der selbständigen Einziehung von Taterträgen gerichteten Revisionen der nebenbeteiligten Unternehmen hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:
Ist Art. 316h Satz 1 EGStGB mit den im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und in den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes unvereinbar, soweit er § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB i.V.m. § 78 Abs. 1 Satz 2 StGB sowie § 76b Abs. 1 StGB jeweils in der Fassung des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 in Fällen für anwendbar erklärt, in denen hinsichtlich der rechtswidrigen Taten, aus denen der von der selbständigen Einziehung Betroffene etwas erlangt hat, bereits vor dem Inkrafttreten der Neuregelung am 1. Juli 2017 Verfolgungsverjährung eingetreten war?
Zwar entsprechen die Einziehungsentscheidungen des Landgerichts dem neuen Vermögensabschöpfungsrecht, das nach Art. 316h Satz 1 EGStGB anzuwenden ist. Die Anwendung der Regelungen über die selbständige Einziehung von Taterträgen in Fällen, in denen nach altem Recht hinsichtlich der Vermögensabschöpfung bereits vor dem 1. Juli 2017 Verfolgungsverjährung – aufgrund deren Koppelung an die Verjährung der Tat – eingetreten war, verstößt nach der Überzeugung des 3. Strafsenats jedoch gegen das in der Verfassung verankerte grundsätzliche Verbot echt rückwirkender Gesetze:
Das Ziel, das der Gesetzgeber mit dem neuen Vermögensabschöpfungsrecht verfolgt, strafrechtswidrig geschaffene Vermögenslagen zukunftsbezogen zu beseitigen, eröffnet ihm einen weiten – freilich nicht unbegrenzten – Gestaltungsspielraum. Dieses Ziel legitimiert indes für sich noch kein echt rückwirkendes Gesetz. Der nachträglichen Anordnung der selbständigen Einziehung von Taterträgen aus bereits vor dem 1. Juli 2017 verjährten Taten steht ein schutzwürdiges Vertrauen der Rechtsunterworfenen in die vor der Reform geltenden Verjährungsvorschriften entgegen. Sinn der strafrechtlichen Verjährungsvorschriften ist es, nach Ablauf einer gesetzlich bestimmten Zeit Rechtssicherheit herzustellen. Hat der Gesetzgeber das Gebot der Rechtssicherheit mit dem gegenläufigen Gedanken der materiellen Gerechtigkeit nach seinen Vorstellungen in einen angemessenen Ausgleich gebracht, so dürfen sich die Betroffenen grundsätzlich darauf verlassen, dass er nicht im Nachhinein eine abweichende Abwägung vornimmt und die ursprünglichen Verjährungsvorschriften rückwirkend für unanwendbar erklärt.
Vorinstanz:
LG Oldenburg – 2 KLs 950 Js 42953/10 (86/12) – Urteil vom 17. Oktober 2017
Karlsruhe, den 7. März 2019
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
Art 316h – Übergangsvorschrift zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung
Wird über die Anordnung der Einziehung des Tatertrages oder des Wertes des Tatertrages wegen einer Tat, die vor dem 1. Juli 2017 begangen worden ist, nach diesem Zeitpunkt entschieden, sind abweichend von § 2 Absatz 5 des Strafgesetzbuches die §§ 73 bis 73c, 75 Absatz 1 und 3 sowie die §§ 73d, 73e, 76, 76a, 76b und 78 Absatz 1 Satz 2 des Strafgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) anzuwenden. …
§ 76a StGB – Selbständige Einziehung
(1) …
(2) Unter den Voraussetzungen der §§ 73, 73b und 73c ist die selbständige Anordnung der Einziehung des Tatertrages und die selbständige Einziehung des Wertes des Tatertrages auch dann zulässig, wenn die Verfolgung der Straftat verjährt ist. …
…
§ 76b StGB – Verjährung der Einziehung von Taterträgen und des Wertes von Taterträgen
(1) Die erweiterte und die selbständige Einziehung des Tatertrages oder des Wertes des Tatertrages nach den §§ 73a und 76a verjähren in 30 Jahren. …
…
§ 78 StGB – Verjährungsfrist
(1) Die Verjährung schließt die Ahndung der Tat und die Anordnung von Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) aus. § 76a Absatz 2 bleibt unberührt.
…