Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 19/2019
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts Anträge der AfD-Bundestagsfraktion auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Änderung der Parteienfinanzierung verworfen. Die Fraktion hatte die Aussetzung des Vollzugs des zugrunde liegenden Gesetzes bis zu einer Entscheidung über ihre Anträge im Organstreitverfahren und hilfsweise einen Vorbehalt der Rückerstattung für die Auszahlung der den politischen Parteien zusätzlich zu gewährenden staatlichen Mittel beantragt. Diese Anträge sind unzulässig. Zur Begründung hat der Senat angeführt, dass das Rechtsschutzziel der Antragstellerin nicht der vorläufigen Sicherung ihrer Rechte dient und auf Rechtsfolgen gerichtet ist, die im Hauptsacheverfahren nicht bewirkt werden könnten. Im Organstreitverfahren kann grundsätzlich weder eine Entscheidung über die Gültigkeit einer Norm getroffen, noch eine Handlungsverpflichtung des Präsidenten des Deutschen Bundestages angeordnet werden.
Sachverhalt:
Der am 5. Juni 2018 von den Regierungsfraktionen vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze sah vor, das Gesamtvolumen der staatlichen Mittel, die den anspruchsberechtigten Parteien gemäß § 18 Abs. 2 PartG jährlich insgesamt ausgezahlt werden (absolute Obergrenze), ab dem Jahr 2019 von 165 Millionen Euro auf 190 Millionen Euro anzuheben. Der Gesetzentwurf wurde am 8. Juni 2018 erstmals im Plenum des Deutschen Bundestages beraten und federführend an den Ausschuss für Inneres und Heimat überwiesen. Aufgrund eines vorab gefassten Beschlusses vom 6. Juni 2018 hörte der Ausschuss am 11. Juni 2018 fünf Sachverständige zu dem Gesetzentwurf an. Am 13. Juni 2018 legte er einen Bericht vor und empfahl, den Gesetzentwurf inhaltlich unverändert zu beschließen. Am 15. Juni 2018 erfolgten die zweite und dritte Lesung des Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag. In der anschließenden Schlussabstimmung wurde er angenommen. Das Gesetz wurde am 10. Juli 2018 vom Bundespräsidenten ausgefertigt und am 13. Juli 2018 im Bundesgesetzblatt verkündet.
Mit dem Hauptantrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt die Antragstellerin die Aussetzung des Vollzugs des Gesetzes bis zu einer Entscheidung über ihre Anträge im Organstreitverfahren 2 BvE 5/18. Hilfsweise beantragt sie, dass die Auszahlung der nach diesem Gesetz den politischen Parteien zusätzlich zu gewährenden staatlichen Mittel unter dem Vorbehalt der Rückerstattung erfolgt.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
- Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen. Bei der Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet.
Der strenge Maßstab für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG erhöht sich, wenn der Vollzug eines Gesetzes ausgesetzt werden soll, weil dies einen erheblichen Eingriff in die originäre Zuständigkeit des Gesetzgebers darstellt. Müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe schon im Regelfall so schwer wiegen, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machen, so müssen sie im Fall der begehrten Außervollzugsetzung eines Gesetzes darüber hinaus besonderes Gewicht haben.
Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist regelmäßig unzulässig, wenn das Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Rechtsfolge im Hauptsacheverfahren nicht bewirken könnte. Demgemäß kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreit, welche die vorläufige Unanwendbarkeit einer Norm oder die Verpflichtung des Antragsgegners zu einem bestimmten Verhalten zum Gegenstand hat, grundsätzlich nicht in Betracht. Das Bundesverfassungsgericht stellt im Organstreit lediglich fest, ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt. Kassatorische oder rechtsgestaltende Wirkung kommt der Entscheidung im Organstreit nicht zu. Insbesondere kann das Bundesverfassungsgericht im Organstreit weder eine Entscheidung über die Gültigkeit einer Norm treffen, noch eine Verpflichtung des Antragsgegners zu einem bestimmten Verhalten aussprechen. Dient der Organstreit damit allein der Klärung der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander und nicht einer allgemeinen Verfassungsaufsicht, ist dies bei der Bestimmung des zulässigen Inhalts eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreitverfahren zu beachten. Gegenstand eines solchen Antrags kann allein die vorläufige Sicherung des streitigen organschaftlichen Rechts des Antragstellers sein, damit es nicht im Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache durch die Schaffung vollendeter Tatsachen überspielt wird.
- Nach diesen Maßstäben haben die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg. Sowohl der Haupt- als auch der Hilfsantrag sind im Verfahren der einstweiligen Anordnung nicht statthaft, weil sie nicht der vorläufigen Sicherung der Beteiligungsrechte der Antragstellerin im Gesetzgebungsverfahren dienen und auf Rechtsfolgen gerichtet sind, die im Organstreitverfahren nicht bewirkt werden können.
- a) Der Hauptantrag ist in der Sache auf die Feststellung der Nichtigkeit der Novellierung des Parteiengesetzes gerichtet. Für eine derartige Nichtigerklärung ist aber im Organstreit regelmäßig kein Raum. Der Statthaftigkeit des Hauptantrags steht zudem entgegen, dass durch die Suspendierung des Vollzugs des Parteiengesetzes eine vorläufige Sicherung der Beteiligungsrechte der Antragstellerin im Gesetzgebungsverfahren nicht erreichbar ist. Mit der Ausfertigung und Verkündung des Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze im Bundesgesetzblatt ist das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen. Eine vorläufige Sicherung von Beteiligungsrechten kann daher nicht mehr bewirkt werden.
- b) Auch der Hilfsantrag ist nicht auf die vorläufige Sicherung der Beteiligungsrechte der Antragstellerin im Verfahren zur Änderung des Parteiengesetzes gerichtet, da ein Vorbehalt der Rückerstattung der an anspruchsberechtigte Parteien ausgezahlten staatlichen Mittel hierfür ohne Belang ist. Der Antrag zielt vielmehr auf eine Handlungsverpflichtung des Präsidenten des Deutschen Bundestages, dem gemäß § 19a PartG die Festsetzung der Höhe der an jede anspruchsberechtigte Partei jährlich auszuzahlenden staatlichen Mittel obliegt. Abgesehen von dem Umstand, dass Adressat der mit dem Hilfsantrag begehrten einstweiligen Anordnung damit nicht der Antragsgegner, sondern ein von diesem zu unterscheidender Dritter wäre, steht deren Erlass jedenfalls entgegen, dass sie auf eine Handlungsverpflichtung gerichtet ist, die das Bundesverfassungsgericht im Hauptsacheverfahren nicht anordnen könnte.