Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 93/2015
Juristische Personen des Privatrechts müssen ihre Grundrechtsfähigkeit in einer Verfassungsbeschwerde jedenfalls dann näher darlegen, wenn es aufgrund der äußeren Umstände nahe liegt, dass sie von der öffentlichen Hand beherrscht werden oder öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Dies hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichten Beschlüssen bekräftigt und Verfassungsbeschwerden von zwei Gesellschaften mit beschränkter Haftung wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
In den Verfahren 1 BvR 1530/15 und 1 BvR 1531/15 wendet sich ein Energieversorgungsunternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) gegen die Heranziehung zu Schmutzwasseranschlussbeiträgen auf der Grundlage des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg. Beschwerdeführerin der Verfahren 1 BvR 1766/15, 1 BvR 1783/15 und 1 BvR 1815/15 ist eine kommunale Wohnungsbau-GmbH; sie wendet sich gegen die Heranziehung zu Schmutzwasseranschlussbeiträgen auf der Grundlage des Kommunalabgabengesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
- Nach § 90 Abs. 1 BVerfGG kann „jedermann“ mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein, Verfassungsbeschwerde erheben. Beschwerdefähig ist demnach, wer Träger eines als verletzt gerügten Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts sein kann. Grundrechtsträger sind nach Art. 19 Abs. 3 GG auch inländische juristische Personen, soweit Grundrechte betroffen sind, die ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Die Grundrechte dienen vorrangig dem Schutz der Freiheitssphäre des einzelnen Menschen als natürlicher Person gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt. Die Grundrechtsfähigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts ist vor diesem Hintergrund grundsätzlich dann zu verneinen, wenn diese öffentliche Aufgaben wahrnimmt. Gleiches gilt für juristische Personen des Privatrechts, die von der öffentlichen Hand gehalten oder beherrscht werden (vgl. BVerfGE 128, 226).
- Das Beschwerde führende Energieversorgungsunternehmen hat zur Frage seiner Grundrechts- und Beschwerdefähigkeit nichts vorgetragen, obwohl ein Vorbringen hierzu angezeigt war. Es ist eine juristische Person des Privatrechts, aus deren Firmierung sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sie von der öffentlichen Hand gehalten oder jedenfalls beherrscht wird. Die Energieversorgung ist eine typische öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge. Für die Beschwerdeführerin bestand daher Anlass, sich mit ihrer Grundrechts- und Beschwerdefähigkeit auseinanderzusetzen.
- Das Beschwerde führende Wohnungsbauunternehmen wird von der öffentlichen Hand gehalten. Es nimmt Aufgaben der Wohnraumversorgung und der Förderung des Wohnungsbaus, insbesondere des sozialen Wohnungsbaus, und damit typische Aufgaben der Daseinsvorsorge wahr, ohne einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet zu sein. Der Beschwerdeführerin fehlt es daher an der Grundrechts- und Beschwerdefähigkeit für die gerügten Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 GG in Verbindung mit dem aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit.