Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts Nr. 83/2016
Ein Familienangehöriger kann nur dann nachträglich in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers einbezogen werden, wenn er seinen Wohnsitz seit dessen Aussiedlung ununterbrochen im Aussiedlungsgebiet hatte. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.
Die 1936 geborene Klägerin und ihr 1971 geborener Sohn stammen aus Kasachstan. Sie reisten im November 1994 auf der Grundlage eines ihnen jeweils erteilten Aufnahmebescheides nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG) nach Deutschland ein und beantragten im Dezember 1994 die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung. Noch vor Ausstellung einer Bescheinigung kehrte der Sohn der Klägerin im Januar 1995 nach Kasachstan zurück zu seiner schwangeren Lebensgefährtin. Nachdem der Gesetzgeber die Rechtsgrundlagen für die Einbeziehung von Familienangehörigen erweitert hatte, beantragte die Klägerin im März 2012, ihren Sohn nachträglich in den ihr erteilten Aufnahmebescheid einzubeziehen. Das für Angelegenheiten der Spätaussiedler zuständige Bundesverwaltungsamt lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Sohn sei nicht im Aussiedlungsgebiet verblieben; vielmehr sei er nach erfolgter Aussiedlung dorthin zurückgekehrt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, den Sohn der Klägerin nachträglich in den ihr erteilten Aufnahmebescheid einzubeziehen, und auf die im Entscheidungszeitpunkt (wieder) bestehende Trennung abgestellt.
Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Die Voraussetzungen für eine nachträgliche Einbeziehung liegen nicht vor, weil der Sohn der Klägerin nicht – wie von § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG verlangt – „im Aussiedlungsgebiet verblieben“ ist. Diese Voraussetzung legt bereits nach ihrem Wortlaut nahe, dass der Familienangehörige im gesamten Zeitraum von der Aussiedlung des Spätaussiedlers bis zur Entscheidung über die nachträgliche Einbeziehung im Aussiedlungsgebiet wohnhaft gewesen sein muss. Auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, der Gesetzessystematik und dem Sinn und Zweck der Norm ergeben sich jedenfalls keine positiven Anhaltspunkte dafür, dass (auf Dauer angelegte) Zwischenaufenthalte außerhalb des Aussiedlungsgebiets den Anspruch auf nachträgliche Einbeziehung unberührt lassen. Zwar hat der Gesetzgeber mit der Erleichterung der nachträglichen Einbeziehung von Familienangehörigen im Jahr 2013 eine Möglichkeit schaffen wollen, aussiedlungsbedingte Familientrennungen in möglichst vielen Fällen zu beseitigen. Dieses allgemeine Ziel hat er jedoch nur im Rahmen der tatbestandlichen Voraussetzungen und unter Beibehaltung der allgemeinen vertriebenenrechtlichen Systematik verwirklicht. Dazu gehört der kontinuierliche Aufenthalt des Familienangehörigen im Aussiedlungsgebiet.
Aus denselben Gründen hat das Bundesverwaltungsgericht den Revisionen des Bundesverwaltungsamts in zwei vergleichbaren Verfahren stattgegeben.
BVerwG 1 C 19.15 – Urteil vom 27. September 2016
Vorinstanzen:
OVG Münster 11 A 1882/14 – Urteil vom 16. September 2015
VG Köln 10 K 8156/13 – Urteil vom 03. September 2014
BVerwG 1 C 20.15 – Urteil vom 27. September 2016
Vorinstanzen:
OVG Münster 11 A 626/14 – Urteil vom 16. September 2015
VG Köln 10 K 3385/12 – Urteil vom 05. Februar 2014
BVerwG 1 C 21.15 – Urteil vom 27. September 2016
Vorinstanzen:
OVG Münster 11 A 1747/14 – Urteil vom 16. September 2015
VG Köln 10 K 3558/13 – Urteil vom 30. Juli 2014